Restposten Fußballprofi
Die Kammer weist den Antrag aus "prozessualen Gründen" ab, der vorliegende Fall könne nicht in einem Eilverfahren entschieden werden. Inhaltlich gibt sie dem Schweizer Nationalspieler jedoch recht und terminiert ein "Hauptsacheverfahren" für den 12. September. Ein kleiner Sieg für den Fußballer, dessen Saison sich schon vor dem Beginn der Bundesliga-Spielzeit 2013/14 zum Albtraum entwickelt hatte.
Was war passiert? Derdiyok und fünf andere Spieler, darunter Ex-Nationaltorwart Tim Wiese, waren von Hoffenheim-Trainer Markus Gisdol bis auf weiteres in die sogenannte "Trainingsgruppe 2" abgeschoben worden, in der sie isoliert von ihren Mannschaftskameraden trainieren, bis sie zu einem anderen Verein wechseln. Die Teilnahme am regulären Spielbetrieb und das Parken auf dem Trainingsgelände ist den Aussortierten nicht gestattet.
Diese ungewöhnliche Art der Personalpolitik des Bundesligisten aus dem Kraichgau war über Wochen Thema in den deutschen Sportmedien. Und in der Tat wirft das Hoffenheimer Gebaren Fragen auf: Rechtfertigt das Milliardengeschäft Fußball einen derartigen Umgang mit Menschen? Dürfen Fußballprofis bei Nichtgefallen einfach beiseite geschoben und zum "Restposten" degradiert werden?
Wenig Platz für Sentimentalitäten
Dass das Business mit dem runden Leder für Sentimentalitäten wenig Platz hat, bekommt schon die Jugend der Profivereine zu spüren. Die Neustrukturierungen in der Jugendarbeit, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in Folge des katastrophalen Abschneidens der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2000 vollzog, zeigen heute sportlich Früchte - führen aber auch dazu, dass schon 10-Jährige konstant auf Top-Niveau agieren müssen. Wer unzureichende Leistungen zeigt oder nicht spurt, für den ist der Traum Profifußball schnell beendet.
Oft reichen Kleinigkeiten - wie im Fall des Ex-Fußballers Timo Heinze. Der Junioren-Nationalspieler durchlief sämtliche Jugendmannschaften des FC Bayern und war Teil der A-Jugend, die 2004 die deutsche Meisterschaft gewann. 2008 kommt es zum Bruch: Heinze, damals Spielführer der zweiten Mannschaft, wird von Trainer Hermann Gerland nach ein paar durchschnittlichen Spielen plötzlich auf die Bank gesetzt und seines Kapitänsamts enthoben. Er sei nicht mehr gut genug, heißt es knapp. Heinze stürzt daraufhin ins Nichts. Nach einem weiteren Jahr bei der Spielvereinigung Unterhaching beendet er frustriert seine Profikarriere. Seine Erfahrungen verarbeitet der 27-Jährige in dem Buch "Nachspielzeit - eine unvollendete Fußballkarriere".

Auch der italienische Nationaspieler Mario Balotelli ist immer wieder rassistischen Anfeindungen in den Stadien ausgesetzt.
Der Anteil der Fußballtalente, die den Sprung ins Profigeschäft schaffen, liegt im einstelligen Prozentbereich. Bis dahin ist es ein langer und entbehrungsreicher Weg. Freunde treffen, Partys, Spaß haben - was für andere Jugendliche normal ist, findet im Alltag der Nachwuchskicker kaum Platz. Tag für Tag, oft hunderte Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt, arbeiten sie für ihren Traum, es nach ganz oben zu schaffen. Ständig präsent: der Gedanke, schon morgen gegen ein anderes Talent ausgetauscht werden zu können.
Schon zu Beginn ihrer Profikarriere sind Fußballer also mit den Mechanismen des Geschäfts vertraut. Und sportrechtlich gesehen, bewegen sich Maßnahmen wie die Einführung einer "Trainingsgruppe 2" trotz des Urteilsspruchs des Arbeitsgerichts Mannheim im legalen Rahmen - den Spielern muss lediglich das Trainieren auf professionellem Niveau gewährleistet werden. Das macht den Umgang mit den Lizenzspielern freilich nicht besser. Doch in einem stetig wachsenden Milliardenbusiness, in dem der sportliche Erfolg ausschlaggebend für das Überleben ist, zählt einzig und allein das Leistungsprinzip. Auf persönliche Schicksale wird hier selten Rücksicht genommen - ein Spiel, das Fans und Medien bereitwillig mitspielen.
"Wie auf dem Viehmarkt"
Freiburgs Trainer Christian Streich beklagte sich vergangene Saison darüber, dass seine Spieler anderen Vereinen "wie auf dem Viehmarkt" angeboten würden. Passend dazu äußerte sich Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vor wenigen Wochen zum Unternehmen Bundesliga-Klub: "Im übertragenen Sinne sind die Spieler das, was für einen produzierenden Betrieb die Maschinen sind. Nur haben wir im Fußball das Problem, dass ständig jemand versucht, einem die besten Maschinen wegzukaufen."
Ethisch gesehen ist das durchaus fragwürdig. Ändern wird sich daran jedoch nichts. Die Sensibilität für den Umgang mit Spielern hat sich auch seit dem Selbstmord des ehemaligen Nationaltorhüters Robert Enke im Jahr 2009 kaum erhöht. Durch die zunehmende Professionalisierung und Globalisierung herrscht - wie in anderen Branchen auch - ein enormer Druck, den die Vereine fast zwangsläufig an ihre Spieler weitergeben. Die Millionengehälter der Bundesligafußballer sind daher auch als Ausgleichszahlungen für den mitunter unmenschlichen Umgang zu verstehen.
Bleibt den Spielern also nur die Möglichkeit, diese Gegebenheiten zu akzeptieren oder den Job zu wechseln? Eren Derdiyok hat sich für Ersteres entschieden und ist inzwischen zu seinem Ex-Klub Bayer Leverkusen zurückgekehrt, das angesetzte "Hauptsacheverfahren" wurde daher hinfällig. Sicherlich eine bessere Entscheidung, als zum FC Parma zu wechseln: Der italienische Erstligist verpflichtete in diesem Sommer die unfassbare Zahl von 166 Spielern. Ein Paradebeispiel für das Geschäft mit der Ware Fußballprofi.
Von Martin Henning