Abschiebehaft in deutschen Gefängnissen steht auf der Kippe

Wenn Flüchtlinge neben Mördern wohnen

Veröffentlicht am 24.09.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Flüchtlinge

München ‐ Es ist ein Thema, von dem Politiker am liebsten die Finger lassen. Jetzt aber könnte die unliebsame Angelegenheit bald auf ihrem Schreibtisch landen. Es geht um Flüchtlinge, die aus Deutschland abgeschoben werden sollen und deshalb im Gefängnis sitzen, umgeben von Schwerstkriminellen. Und das, obwohl sie keine Straftat begangen haben. Diese Form der Unterbringung von Abschiebehäftlingen ist vor dem Europäischen Gerichtshof gelandet – mit Unterstützung der Jesuiten.

  • Teilen:

Die Frau aus Syrien hatte in Deutschland Asyl beantragt. Allerdings schon 2010, vor Ausbruch des Bürgerkrieges in ihrer Heimat, deshalb lehnten die Behörden den Antrag ab. Um sicherzustellen, dass die Frau Deutschland auch wirklich verlässt, schickte das zuständige Amtsgericht sie in Abschiebehaft. Und weil es in Hessen, wo die Frau lebte, keine Einrichtung für Abschiebungshäftlinge gibt, landete sie in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankfurt.

Tricks zu Lasten der Flüchtlinge

Wie der Syrierin geht es hunderten Flüchtlingen in Deutschland – täglich. "Diese Menschen fragen: Warum bin ich eigentlich hier, ich hab doch nichts verbrochen?" Dieter Müller besucht seit Jahren Abschiebehäftlinge und versucht ihnen zu helfen. Der Jesuit arbeitet beim Flüchtlingsdienst seines Ordens – für die Betroffenen ist er Seelsorger, Sozialarbeiter und Gesprächspartner in juristischen Fragen. Zwar werden Abschiebehäftlinge inzwischen in separaten Abteilungen der Justizvollzugsanstalten untergebracht. Und dennoch: "Es bleibt ein Gefängnis", sagt Dieter Müller. "Es bleibt der Geruch für die Betroffenen: Ich bin jetzt ein Krimineller."

Afrikanische Flüchtlinge in Hamburg.
Bild: ©picture alliance / dpa/Sven Hoppe

Afrikanische Flüchtlinge in Hamburg.

Der Jesuitenflüchtlingsdienst hält diese Form für fragwürdig – auch in rechtlicher Hinsicht. Und bekommt nun Unterstützung aus Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof (BGH) hegt Zweifel an der Abschiebehaft in Gefängnissen. Denn laut der EU-Rückführungsrichtlinie aus dem Jahr 2008 müssen die Mitgliedsstaaten Betroffene grundsätzlich in "speziellen Hafteinrichtungen" unterbringen. Mit einer Ausnahme. So heißt es in der EU-Richtlinie wörtlich: "Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht." Bei der Übertragung in deutsches Recht machten Juristen aus dem Wort "Mitgliedsstaat" den Begriff "Land".

"Ein Trick", meint Jesuit Müller. Denn aus dieser Spitzfindigkeit leiten die meisten Bundesländer ihr Recht ab, Abschiebehäftlinge im Gefängnis unterzubringen. Begründung: Auf ihrem Gebiet – sprich Bundesland – gebe es eben keine spezielle Hafteinrichtung. Ausnahmen bilden etwa die Länder Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz, die gesonderte Unterkünfte geschaffen haben. Zwar sind die Flüchtlinge dort ebenfalls eingesperrt, aber mit deutlich mehr Freiheiten, sagt der Münchner Rechtsanwalt Michael Sack: "Gerade was die Besuchszeiten und die Möglichkeiten zu telefonieren angeht." In der JVA etwa müssen die Abschiebehäftlinge ihr Handy abgeben, in einer speziellen Haftanstalt dürfen sie es behalten. Entsprechende Regeln hätten auch Folgen für das weitere Verfahren, etwa wenn es um Kontaktmöglichkeiten zu Anwälten geht. "Von daher bin ich nicht der Meinung, dass in Gefängnissen die Trennung entsprechend der EU-Richtlinie vollzogen wird", erklärt Rechtsanwalt Sack.

Zweifel des Bundesgerichtshofs

Das Bundesinnenministerium ist da anderer Meinung. Ein Sprecher antwortet auf Anfrage: "Von einem Verstoß gegen die Richtlinie kann keine Rede sein." Im Übrigen sei es Sache der Länder, zu entscheiden, in welchen Haftanstalten sie die Abschiebungshaft vollziehen. Diese Auffassung der Politik stellt der BGH allerdings in Frage und wandte sich in zwei Verfahren an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das oberste rechtsprechende Organ der EU muss nun entscheiden, ob Deutschland gegen die europäische Rückführungsrichtlinie verstößt. Dies kann Monate oder sogar Jahre dauern. Doch der BGH lässt durchblicken, dass er an der derzeitigen Praxis – Unterbringung in Gefängnissen – Zweifel hegt, weil es auf dem Gebiet der Bundesrepublik getrennte Abschiebehafteinrichtungen gibt. An dieser Tendenz müssten sich nun die unteren Gerichte orientieren, sagt Rechtsanwalt Sack: "In den Ländern, wo es keine getrennte Unterbringung gibt, müssten eigentlich alle Abschiebehäftlinge sofort aus der Haft entlassen werden."

„In den Ländern, wo es keine getrennte Unterbringung gibt, müssten eigentlich alle Abschiebehäftlinge sofort aus der Haft entlassen werden“

—  Zitat: Rechtsanwalt Michael Sack

Deshalb hat der Jesuitenflüchtlingsdienst mehrere Anwälte beauftragt, mit Verweis auf den BGH Haftbeschwerden bei verschiedenen Gerichten einzureichen. Erfolgreich: Das Landgericht München kommt in einem Fall zum Ergebnis, die Anordnung der Haft könnte unverhältnismäßig sein, "solange ein Vollzug in einer speziellen Haftanstalt nicht durchgeführt werden kann". Und weiter: "Die Kammer beabsichtigt, die Vollziehung auszusetzen." Sollten andere Richter dies ähnlich sehen, könnte die Abschiebehaft in Gefängnissen bald kippen.

Die Syrierin, deren Fall nun beim EuGH landete, wurde übrigens mit Hilfe der Härtefallkommission des Landes Hessen aus der JVA Frankfurt entlassen. Nun will sie nachträglich feststellen lassen, dass ihre Rechte verletzt wurden. Gleichzeitig bekommen Betroffene, Juristen und Politiker Klarheit in der Frage, ob Flüchtlinge, die keine Straftat begangen haben, zu Recht im Gefängnis sitzen. Jesuit Dieter Müller ist zuversichtlich: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der EuGH der Bundesrepublik Deutschland erlaubt, weiter in Gefängnissen zu inhaftieren."

Von Burkhard Schäfers

Weitere Informationen

Der Informationsverbund Asyl und Migration ist ein Zusammenschluss von in der Flüchtlings- und Migrationsarbeit aktiven Organisationen. Gemeinsames Ziel ist es, für die Beratungs- und Entscheidungspraxis relevante Informationen zugänglich zu machen. Informationsverbund Asyl und Migration