Schwester M. Salome Zeman über das heutige Sonntagsevangelium

Die Gerechtigkeit Gottes

Veröffentlicht am 25.09.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Bonn ‐ Im Sonntagsevangelium geht es um einen reichen Mann, der in der Hölle landet. Der arme Lazarus aber gelangt in den Himmel. Ist das die Liebe Gottes? Schwester Salome Zeman legt den Text aus.

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Impuls von Schwester M. Salome Zeman

Wenn ich das Gleichnis vom armen Lazarus und dem reichen Mann lese, erschrecke ich bei der Vorstellung, dass so der Himmel und die Hölle sein könnten. Und ich frage mich, ob es vielleicht ein Bild für die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes ist. Manche wundern sich, was das mit Barmherzigkeit zu tun haben soll – wenn Gott wirklich barmherzig wäre, würde er dann nicht den Reichen aus der Hölle retten? Und wenn es mit Gerechtigkeit zu tun haben soll, schmeckt sie doch ziemlich schal.

Ich glaube, dass wir das Bild genauer und tiefer anschauen müssen. Wenn Jesus vom Leben nach dem Tod redet, spricht er von Gott und davon, was bei ihm Gerechtigkeit und Barmherzigkeit heißen. Schauen wir Lazarus an: Er hat ein schlechtes Leben, und kommt zum Ausgleich nach dem Tod in den Himmel (oder "Abrahams Schoß") – aber liegt in dieser Ausgleichsgerechtigkeit schon die Liebe Gottes?

Lazarus sieht vom Himmel aus, dass der Reiche in der Hölle leidet – damit erfüllt sich für ihn vielleicht sogar ein heimlicher Rachewunsch. Ob dadurch aber das Leid, das ihm angetan wurde, Gerechtigkeit erfährt, wage ich anzuzweifeln. Wenn ich Rachegedanken habe oder jemanden sogar bestrafen kann, fühle ich mich meist hinterher nicht besser. Wirklich besser geht es mir erst, wenn der, der mich verletzt hat, einsieht, was er mir angetan hat. Wenn ich selbst verstehe, dass ich jemanden verletzt habe, tut das auch mir weh. Erst dieses tiefe Erkennen meiner Verletzung kann den ersten Schmerz heilen. Wenn der, der mich verletzt hat, seine Worte oder Taten wirklich bereut, verliere ich die Lust auf Rache.

Bei dem Reichen sehe ich keine Anzeichen für echte Reue. Er erkennt nicht, welches Leid er verursacht hat. Er könnte Verantwortung übernehmen, möchte aber nur sich und die Seinen retten. Hier spiegelt sich die dunkle Seite der Liebe Gottes: Gott liebt den Reichen und zeigt ihm täglich im armen Lazarus seine Aufgabe, aber der Reiche entscheidet sich jeden Tag, Lazarus sich selbst zu überlassen. Gott nimmt diese Entscheidung ernst; unser freier Wille und die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden, sind Teil unserer Gottebenbildlichkeit. Gott bietet uns immer wieder Auswege aus den Sackgassen an, in die wir uns selbst hineinmanövrieren, aber Umkehr setzt auch voraus, dass ich die Augen öffne und die Sackgasse als solche erkenne.

Darin liegen für mich die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit Gottes: dass er uns Menschen ernst nimmt und dass er nicht einseitig vergibt oder bestraft. Gottes Liebe schenkt mir die Freiheit, umzukehren, mein Leben anzuschauen und sowohl Lazarus als auch den Reichen in mir und meinen Mitmenschen zu erkennen.

Von Sr. M. Salome Zeman OSF

Evangelium nach Lukas (Lk 16, 19-31)

In jener Zeit sprach Jesus: Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte.

Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.

Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von weitem Abraham, und Lazarus in seinem Schoß.

Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir, und schick Lazarus zu mir; er soll wenigstens die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer.

Abraham erwiderte: Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber musst leiden.

Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte.

Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.

Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.

Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.

Die Autorin

Sr. M. Salome Zeman ist Franziskanerin und Diplomtheologin und arbeitet zur Zeit in der Musikbibliothek des Klosters Sießen.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.