missio-Präsident Klaus Krämer zum Weltmissionsmonat

"Notsituationen wahrnehmen und helfen"

Veröffentlicht am 02.10.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Hilfswerke

Aachen ‐ Armut, Naturkatastrophen, Korruption: Auf den Philippinen, dem katholischsten Land Asiens, gibt es viel zu tun. missio-Präsident Klaus Krämer spricht über die Proleme und deren Lösung.

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Die Philippinen sind das katholischste Land Asiens. Die Inselgruppe, die immer wieder von Katastrophen heimgesucht wird, ist Beispielland des Monats der Weltmission (2. bis 23. Oktober), getragen von den Internationalen Katholischen Missionswerken missio Aachen und missio München. Im Interview erläutert Klaus Krämer, Präsident von missio Aachen, wie das Hilfswerk Notleidende nicht nur in Asien unterstützt.

Frage: Herr Krämer, der Weltmissionsmonat steht vor der Tür. Worum geht es in der neuen Aktion?

Krämer: Unter dem biblischen Leitwort "... denn sie werden Erbarmen finden" greifen wir das von Papst Franziskus ausgerufene Heilige Jahr der Barmherzigkeit auf. Barmherzigkeit drückt sich immer in konkreten Taten aus. Deshalb müssen wir die Notsituationen in aller Welt wahrnehmen und helfen. Die Kollekte zum Sonntag der Weltmission in über 100 Ländern der Welt kommt den ärmsten Diözesen in Afrika, Asien und Ozeanien zugute. Jedes Jahr veranschaulichen wir an einem anderen Schwerpunktland der Kampagne, wie die Kirche in diesen Kontinenten arbeitet.

Frage: Diesmal sind es die Philippinen, also ein sehr katholisches Land...

Krämer: In den vergangenen Jahren hatten wir stärker den Blick auf Länder gelenkt, in denen Christen in der Minderheit sind und Fragen der Religionsfreiheit eine große Rolle spielen. In diesem Jahr geht es um die soziale und gesellschaftliche Entwicklung im katholischsten Land Asiens. Die setzt vor allem Familien unter Druck. Hier wollen wir zeigen, welche sozial-pastoralen Herausforderungen die Kirche zu bestehen hat.

Bild: ©missio

Klaus Krämer ist Präsident des katholischen Hilfswerks "missio".

Frage: Was sind die größten Probleme?

Krämer: Die Philippinen sind ein Land extremer Gegensätze. Obwohl es reich an natürlichen Ressourcen ist, leben viele Menschen in großer Armut. Naturkatastrophen, Korruption und mangelnde Einkommensmöglichkeiten gehören zu den großen Herausforderungen des Inselstaates. Die Globalisierung hinterlässt auch ihre Spuren. Armen Familien bleibt oft nur die Landflucht in die Großstädte. Viele Väter und Mütter sind gezwungen, im Ausland zu arbeiten. Viele Familien brechen auseinander, Kinder leben auf der Straße, rutschen schnell in Bandenkriminalität oder Prostitution ab. Gewalt und Drogen spielen eine verheerende Rolle.

Frage: Beim Stichwort Drogen ist man schnell beim neuen Präsidenten Rodrigo Duterte mit seiner sehr radikalen Drogenpolitik. Wie steht die Kirche dazu?

Krämer: Unsere Partner sehen das sehr kritisch. Sie warnen eindringlich davor, dass die staatlichen Organe unter Präsident Duterte immer mehr Gewalt anwenden und keine rechtsstaatlichen Prinzipien mehr einhalten. Die philippinische Bischofskonferenz mischt sich in die politische Debatte ein. Als missio sagen wir ganz klar, dass das wahllose Töten von Menschen, die des Drogenkonsums oder Drogenhandels verdächtigt werden, nicht hinnehmbar ist. Hier sollte die Bundesregierung auch entschieden Position gegenüber der Regierung Duterte beziehen. Wir können insgesamt nicht erkennen, dass Präsident Duterte die Probleme des Landes an der Wurzel packt.

Frage: Und wie packt die Kirche diese Probleme an?

Krämer: Durch ihre sozial-pastorale Arbeit an der Seite der Ärmsten und der Familien. Hier spielen die Ordensgemeinschaften eine wichtige Rolle. Sie stärken die Persönlichkeit und Menschenwürde der gefährdeten Jugendlichen in den Familien. Das ist Präventionsarbeit. Die philippinischen Bischöfe fordern auch mehr staatliche Drogentherapiezentren.

Frage: Auch wenn die Christen die Mehrheit stellen: Wie steht es um das Miteinander der Religionen?

Krämer: Rund 80 Prozent sind Christen. Auf der südlichen Inselgruppe Mindanao gibt es aber Gebiete, in denen traditionell mehrheitlich Muslime leben. Hier siedelten sich seit den 1950er Jahren immer mehr Christen an. Das führte zu einem seit Jahrzehnten schwelenden blutigen Konflikt. Das ist eine große Herausforderung für unsere Partner. Es gibt aber hoffnungsvolle Projekte, die den Dialog zwischen den Religionen und den verschiedenen Volksgruppen fördern. Christen und Muslime arbeiten zum Beispiel in der Jugendarbeit eng zusammen und zeigen, dass ein friedliches Miteinander möglich ist.

Linktipp: Der Monat der Weltmission

Das katholische Hilfswerk missio startet den Monat der Weltmission. Themen sind unter anderem Klimawandel und Armutsentwicklung, Rechte der indigenen Bevölkerung, Ausbeutung der Rohstoffe und Umweltzerstörtung auf den Philippinen.

Frage: Wie geht missio mit seinen Partnern Probleme an?

Krämer: In der Nähe von Tacloban habe ich ein eindrucksvolles Projekt der Missionsbenediktinerin Celine Saplala besucht. Dort waren die Verwüstungen des Taifuns Haiyan vor drei Jahren am schwersten. Die Häuser der Fischerfamilien wurden zerstört. Schwester Celine hat ein neues Dorf für die obdachlosen Fischer aufgebaut. In 30 Doppelhäusern können 60 Familien unterkommen. Und sie arbeitet auch inhaltlich mit diesen Familien. Die Fischer sind dabei, ihre Lebensgrundlage zu verlieren, weil die Gewässer überfischt sind und sie kaum noch Einkommen durch das Fischen haben. Deshalb müssen sie umgeschult werden und sich neue Arbeitsplätze suchen. In einem Gemeinschaftsraum werden die Mütter bei den Fragen der Kindererziehung und gesunder Ernährung beraten und auch, wie sie sich noch Nebenerwerbsquellen erschließen können, um Geld für den Unterhalt ihrer Familien dazu zu verdienen. Familienpastoral, die durch die Not der Obdachlosigkeit nach dem Taifun herausgefordert wird, wird hier sehr konkret gelebt.

Frage: Können Sie weitere Beispiele nennen?

Krämer: In Manila haben wir ein weiteres großes Projekt mit den Missionsbenediktinerinnen. Dort gibt es viele obdachlose Familien, die auf der Straße leben - zum Teil in Fahrrad-Rikschas. Viele Familien leben auch auf Friedhöfen. Das geht natürlich besonders unter die Haut, wenn zwischen den Grabsteinen und Grüften Kinder schlafen, essen und spielen. Die Schwestern haben nun ein Zentrum für Familien und Straßenkinder aufgebaut. Sie organisieren Freizeit und Nachhilfe für die Kinder, die Mütter werden in allen Lebensfragen beraten. Das ist umfassende, integrale Familienarbeit, die erste Früchte trägt. Es gibt Familien, die nicht mehr in Fahrrad-Rikschas oder auf dem Friedhof leben müssen, sondern sich eine eigene, bescheidene Existenz aufbauen konnten.

Frage: Was hat Sie auf den Philippinen am meisten beeindruckt?

Krämer: Trotz positiver Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft gibt es immer mehr Menschen, die auf der Verliererseite stehen und in desolatesten Situationen leben. Das ist sehr deprimierend. Auf der anderen Seite erlebt man die Fröhlichkeit und Lebensfreude dieser Menschen - gerade, wenn sie durch unsere Hilfe wieder Zuversicht und Hoffnung gewinnen. Wir können von ihnen lernen, dass man eben auch in noch so schwierigen Situationen die Zuversicht nicht verliert. Für viele wird diese Zuversicht aus ihrem Glauben und ihrer religiösen Praxis genährt. Das alles beeindruckt mich sehr.

Von Gottfried Bohl (KNA)