Enthüllungen durch "Mormon Leaks"
Vergangene Woche erhielt der ehemalige Mormone Ryan McKnight, der im Internetforum reddit.com unter dem Namen "Fearless Fixer" schreibt, eine mysteriöse E-Mail. Darin meldete sich ein angeblicher - möglicherweise ehemaliger - Mitarbeiter der Kirchenführung bei ihm mit einem speziellen Anliegen: Er sei im Besitz von einem "Stapel Videos" mit internen Anhörungen des "Kollegiums der Zwölf Apostel" - dem zweithöchsten Führungsgremium der Mormonen. Diese Videos wolle er der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Der anonyme Schreiber stellte eine Bedingung: Das Material müsse vor dem Ende der halbjährlichen Generalversammlung publiziert werden. McKnight sagte seiner Quelle die Veröffentlichung zu. Nach eingängiger Prüfung des Materials auf seine Echtheit stellte der "Fearless Fixer" vergangenen Sonntag die 15 Videos auf Youtube ein.
Präsentationen zu strittigen Fragen
Die versammelten Kirchenführer zeigten sich wenig erfreut über das Leck. Es gibt einen Blick ins Innenleben einer Glaubensgemeinschaft frei, die mit dem Image ringt, wenig transparent zu sein.
Die Aufnahmen stammen aus den Jahren zwischen 2007 und 2012. Sie dokumentieren Präsentationen verschiedener Mormonen, die säkulare Ämter oder Berufe ausüben. Die Auftritte sollten das "Kollegium der Zwölf Apostel" über aktuelle politische Themen informieren. Dabei ging es um strittige Fragen wie das Verhältnis zur Homosexualität und zur Abtreibung, aber auch um den medizinischen Gebrauch von Marihuana, Missionierung im Mittleren Osten und den Einfluss von Mormonen in Washington.
Ein Mitschnitt dokumentiert auch die Ideen des konservativen katholischen Princeton-Theologen Robert George. Er führt aus, wie Mormonen und Katholiken bei kontroversen sozialen Themen kooperieren könnten.
Die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" - wie der offizielle Name der Mormonen lautet - war mit ihrer aktiven Rolle bei einem Referendum in Kalifornien über die Zulässigkeit der Homo-Ehe im Jahr 2008 ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Seitdem suchte die Kirchenführung nach neuen Strategien.
Politiker, die Türen öffnen könnten
In einem der Videos rät Senator Gordon Smith aus Oregon den "Aposteln", sich "mit den Führern anderer Glaubensgemeinschaften zu verbünden, die enge Beziehungen zu Abgeordneten haben, die missliebige Gesetze verhindern können".
Smith ist seit 2009 nicht mehr im Senat. Er pries aber den Wert des politischen Engagements von bekannten Mormonen, darunter die Senatoren Mike Crapo aus Idaho, Orrin Hatch und Bob Bennett aus Utah und Harry Reid aus Nevada, die für die Mormonenkirche Türen öffnen könnten.
An anderer Stelle suggerierte Smith, der Irak-Krieg habe der Mormonenkirche die Möglichkeit eröffnet, im Mittleren Osten zu missionieren. Er habe für die Invasion gestimmt, "weil ich dachte, dass der Herr seine Hand darin hatte".
„Wir sind verpflichtet, über aktuelle Themen informiert zu sein.“
In einem anderen Video erörterte Paul B. Pieper, der heute der Kirchenleitung angehört, dass die Kurden ein guter Ansatzpunkt für die Bekehrung im Mittleren Osten seien: "Trotz der aktuellen politischen Herausforderungen wird die frohe Botschaft diese altertümlichen Menschen erreichen." Kirchenführer Bruce D. Porter stimmte dem zu und empfahl, in den USA und Europa Kurden zu missionieren.
Ein Mitschnitt aus dem Jahr 2012 dokumentiert eine Diskussion über die Arbeit der "Arbeitsgruppe Islam". Es geht unter anderem um die Übersetzung von Schriften der Mormonenkirche in das Arabische und andere Sprachen, die in muslimischen Ländern gesprochen werden. Obwohl die Missionierung in muslimischen Ländern in der Regel verboten ist, gelang es der Mormonenkirche, 20.000 Gläubige zu gewinnen.
In einem weiteren Video diskutieren die Kirchenführer über die Besorgnis, dass junge Mormonen immer später heirateten und weniger Kinder bekämen. Die Ehe selbst stehe aber nicht zur Disposition.
Eric Hawkins, Sprecher der Mormonenkirche, spielte die Bedeutung von "Mormon Leaks" herunter: Die in den Videos gezeigten Beiträge hätten dem Informationsbedarf der Kirchenführung gedient, sagte er. Man fühle sich schließlich "verpflichtet, über aktuelle Themen informiert zu sein".