Der frühere ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer wird 80 Jahre alt

Hartnäckig und unabhängig

Veröffentlicht am 13.10.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Hans Joachim Meyer
Bild: © KNA
Laien

Berlin ‐ Er war Minister unter Lothar de Maiziere und Kurt Biedenkopf. Und er war oberster Laienkatholik in Deutschland. Heute wird Hans Joachim Meyer 80 Jahre alt. Auch im Ruhestand teilt er manchmal noch aus.

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Bescheiden wirkt das nicht gerade. Hans Joachim Meyer hat seine 2015 erschienenen Lebenserinnerungen in einen dicken Wälzer von 770 Seiten gepackt. Doch der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) hat turbulente Zeiten erlebt: in der katholischen Kirche, aber auch als sächsischer Wissenschaftsminister in den Kabinetten von Kurt Biedenkopf und zuvor als Bildungsminister der letzten DDR-Regierung von Lothar de Maiziere. Am 13. Oktober wird der CDU-Politiker und gebürtige Rostocker 80 Jahre alt. "In keiner Schublade", so lautet der Titel der elegant formulierten Autobiografie. Unabhängiges Denken und Hartnäckigkeit - diese Eigenschaften kamen dem Sohn eines Apothekers und einer Lehrerin schon zu DDR-Zeiten zu Gute. Das Jurastudium musste er 1958 aus politischen Gründen abbrechen, ein Jahr später durfte sich Meyer für Anglistik und Geschichte in Ost-Berlin einschreiben. Trotz Distanz zum SED-Staat schaffte er es zum Professor der Sprachwissenschaften.

Seit den 1970er Jahren engagierte sich der Katholik mit preußischer Ausstrahlung in der katholischen Kirche und lernte dort, "was eine freie und demokratische Debatte ist". Nach der Wende leitete Meyer den "Gemeinsamen Aktionsausschuss katholischer Christen in der DDR" und wurde ins ZdK berufen - das höchste repräsentative Gremium des deutschen Laien-Katholizismus. In dieser Zeit begann auch seine politische Karriere. Lothar de Maiziere (CDU) machte den unbelasteten Akademiker 1990 zum Wissenschafts- und Bildungsminister der letzten DDR-Regierung.

Linktipp: "Christen waren keine gleichberechtigten Bürger"

Es sei eine "skandalöse Behauptung", dass in der DDR nur wenige Christen in ihrer Lebensgestaltung behindert wurden, sagt Hans Joachim Meyer. Der Politiker und Katholik erklärt, was er von den Aufarbeitungsplänen Thüringens hält.

Meyer weint der DDR keine Träne nach. Aber er verleugnet nicht seine Prägung: sein "Ossi-Herz", wie er selber schreibt. Und so kann er auch das Dilemma beschreiben, das viele frühere DDR-Bürger noch heute empfinden: "Wir wollten der Bundesrepublik beitreten und doch wir selbst bleiben." Doch während viele Westdeutschen in ihrem Alltagsleben von der Wiedervereinigung nur begrenzt berührt wurden, wurde das Leben der Ostdeutschen komplett umgekrempelt. Das Übermaß der Westbestimmung, die westdeutsche Arroganz und Besserwisserei habe die Wirklichkeit des Ostens entwertet, schreibt er.

Die bitterste Erfahrung seiner Amtszeit

Dass es die Deutschen in der DDR waren, "die als erste jene Freiheit errangen", davon, meint Meyer, "spricht und schreibt im Westen so gut wie niemand". Auch als Wissenschafts- und Bildungsminister wehrte sich Meyer zu Beginn der 1990er Jahre dagegen, die Universitäten und Schulen der untergegangenen DDR sozusagen zum Abbruch freizugeben. Das Bildungswesen der DDR sei zwar "hochideologisiert" gewesen, "aber in seinem fachlichen Kernbestand solide und anwendungsorientiert". Von 1997 bis 2009 stand Meyer als erster Ostdeutscher an der Spitze des ZdK - das war noch vor dem Missbrauchsskandal, der die Koordinaten der Kirche in Deutschland stark verändern sollte. Den von Papst Johannes Paul II. durchgesetzten Ausstieg der Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung bezeichnet Meyer als bitterste Erfahrung seiner Amtszeit.

Zum 80. Geburtstag wünscht sich Hans Joachim Meyer:

"Ich wünsche mir, dass wir der größten Herausforderung gerecht werden, vor der wir jetzt stehen: Flüchtlinge als Menschen in Not zu sehen und sie so zu behandeln, wie es Christen zukommt, nämlich ihnen zu helfen. Natürlich können wir das Elend der Welt nicht dadurch beheben, dass alle Notleidenden nach Europa kommen. Deshalb müssen wir auch nachdrücklich dafür eintreten und Opfer bringen, dass Menschen in ihrer Heimat menschenwürdig leben können." (gho)

Dialogbereitschaft, aber auch Hartnäckigkeit und eine bisweilen harsche Wortwahl zeichneten Meyer als ZdK-Präsident aus. Dem Papst und den Bischöfen in allem gehorsam zu sein, hält er für "unkatholisch". Schließlich gehöre er nicht einer "Kommandokirche" an, betonte er. Deshalb verteidigte er auch das von konservativen Katholiken immer wieder angegriffene ZdK und die Deutschen Katholikentage: "Wer sagt, Strukturen seien völlig unwichtig, ist in Wahrheit gegen wirklichen Wandel."

Er teilt aus, eckt an - noch immer

Auch im Ruhestand ist Meyer ein gefragter Redner und Interviewpartner. Dabei teilt er ohne ideologische Scheuklappen in alle Richtungen aus. So hält er seinen ostdeutschen Landsleuten mit Blick auf die Erfolge von AfD und Pegida einen Mangel an Dialogfähigkeit und Weltoffenheit vor. Den Westdeutschen wirft er dagegen ein unterentwickeltes Nationalbewusstsein vor, das dem Rechtspopulismus Auftrieb gebe. Auch in seinem Heimatbistum Berlin scheut Meyer nicht davor zurück, anzuecken. So ist er der prominenteste Wortführer der Gegner eines Umbaus der Berliner Sankt-Hedwigs-Kathedrale. Unbeirrt verteidigt Meyer die bestehende Raumgestalt, die beim Wiederaufbau vor 50 Jahren entstand, als "geniales Zeugnis zeitgenössischer Architektur".

Von Christoph Arens (KNA)