"Wir haben Erwartungen an die Lutheraner"
Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch (66) ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Zum gemeinsamen Reformationsgedenken von Papst Franziskus und Spitzenvertretern des Lutherischen Weltbunds wird er Ende des Monats in Schweden sein. Im Interview spricht der päpstliche Ökumene-Verantwortliche über Erwartungen an das Treffen und Perspektiven der Ökumene.
Frage: Herr Kardinal Koch, in Lund wird Papst Franziskus gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund (LWB) der Reformation gedenken. Warum ausgerechnet in dieser schwedischen Stadt?
Koch: Der Lutherische Weltbund hat immer betont, dass das Reformationsgedenken nicht mehr nur eine deutsche Angelegenheit ist, sondern eine universale. Um es mit seinen Worten zu sagen: "Die Reformation ist eine Weltbürgerin geworden". Deshalb fiel die Wahl auf Lund als Gründungsort des LWB. Diese Einladung haben wir gerne angenommen.
Frage: Was erwarten Sie sich von der Gedenkveranstaltung?
Koch: In der Vergangenheit war eine solche Gedenkveranstaltung oft sehr konfessionell geprägt, teilweise mit großem Triumphalismus und Polemik auf beiden Seiten. Dass der Präsident des LWB, Bischof Munib Younan, und der Generalsekretär, Martin Junge, zum ersten Mal gemeinsam mit Papst Franziskus dem Gottesdienst zum Gedenken an die Reformation vorstehen, ist meines Erachtens ein sehr starkes Zeichen. Wir begehen nicht nur 500 Jahre der Reformation; das gemeinsame Reformationsgedenken ist auch ein Ergebnis von 50 Jahren intensivem ökumenischen Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken.
Frage: Es ist auch eine Gemeinsame Erklärung von Papst Franziskus und Bischof Munib Younan geplant. Was können Sie uns dazu sagen?
Koch: Eine Gemeinsame Erklärung bleibt solange geheim, bis sie veröffentlicht wird.
Frage: Von Seiten der Lutheraner ist immer wieder das Thema gemeinsames Abendmahl zu hören.
Koch: Die Lutheraner haben mit Recht Erwartungen an die Katholiken - aber die Katholiken haben auch Erwartungen an die Lutheraner. Was daraus entstehen kann, müssen wir gemeinsam suchen. Mit dem Reformationsgedenken allein haben wir die Einheit noch nicht erreicht. Für uns Katholiken ist die gemeinsame Eucharistiefeier der sichtbare Ausdruck der vorhandenen und erreichten Kirchengemeinschaft. Auf diesem Weg müssen wir deshalb weitergehen. Das Dokument, auf dem das gemeinsame Reformationsgedenken basiert, heißt "From Conflict to Communion" (Vom Konflikt zur Gemeinschaft). Wir sind unterwegs, aber wir haben diese "Communion" noch nicht erreicht, sondern müssen weiteren Konsens bei noch unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen finden.
Frage: Sie und der Papst haben jüngst betont, dass es verschiedene Ebenen der Ökumene gibt. Werden Fortschritte in theologischen Streitfragen vielleicht etwas langsamer?
Koch: Es gilt zwischen dem Dialog der Liebe und dem Dialog der Wahrheit zu unterscheiden. Der Dialog der Liebe ist die Pflege freundschaftlicher, geschwisterlicher Beziehungen zwischen den verschiedenen Kirchen. Der Dialog der Wahrheit ist die Aufarbeitung theologisch offener Fragen. Selbstverständlich kann ohne den Dialog der Liebe der Dialog der Wahrheit nicht wirklich geführt werden.
Die erste, fundamentale Ebene ist die spirituelle Ökumene, das Gebet um die Einheit der Christen. Dann gibt es den praktischen Ökumenismus, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kirchen, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, die eine große Herausforderung ist. Es gibt auch eine kulturelle Ökumene. Der theologische Dialog ist wichtig, aber er alleine reicht nicht.
Frage: Ist das Reformationsgedenken 2017 ausschließlich auf Luther konzentriert, oder werden von vatikanischer Seite auch andere Reformatoren - Calvin, Zwingli - gewürdigt?
Koch: 1517 ist natürlich ein lutherisches Jahr, das sich auf den sogenannten Thesenanschlag von Martin Luther in Wittenberg bezieht - der so gar nicht stattgefunden hat. Wie das Gedenken mit anderen reformatorischen Strömungen begangen werden kann, hängt davon ab, wie sich diese im Reformationsgedenken von 2017 wiederfinden. 1517 bedeutet beispielsweise für Zwingli in der Schweiz nicht viel, das war erst 1519. Der Präsident des Rates des Evangelischen Kirchenbundes in der Schweiz, Pfarrer Gottfried Locher, hat den Papst im Rahmen des Reformationsgedenkens für 2017 in die Schweiz eingeladen. Es gibt noch keine Zusage.
Frage: Deutschland ist aber vom Tisch?
Koch: Bisher hat sich der Papst dazu nicht geäußert.
Frage: Es scheint, dass dem Papst die protestantischen Freikirchen sehr am Herzen liegen. Gibt es da eine Akzentverschiebung, oder läuft der Dialog mit dem Lutherischen Weltbund und den Pfingstlern und Freikirchen parallel?
Koch: Papst Franziskus liegen alle Christen am Herzen. Es ist ein neues Phänomen in der Ökumene, dass Freikirchen, evangelikale, charismatische und pentekostalische Bewegungen stark wachsen. Der Pentekostalismus ist heute rein zahlenmäßig die zweitgrößte Realität nach der römisch-katholischen Kirche. Man muss von einer Pentekostalisierung des Christentums reden oder von einer vierten Form des Christseins: katholisch, orthodox, protestantisch, pentekostalisch.
Das sind ganz neue Herausforderungen, zumal hier auch andere Themen im Vordergrund stehen als bei den historischen Großkirchen. Der Papst hat auch ein offenes Herz für diese Bewegungen. Das ist sehr positiv, weil es dort auch noch eher antiökumenische und antikatholische Gruppierungen gibt. Wenn der Papst deren Repräsentanten zu sich einlädt und sie zu der Überzeugung kommen, dass er auch ein Christ ist - vielleicht sogar ein guter - dann öffnet uns das die Tür für weitere Dialoge.