Die Angst läuft mit

Veröffentlicht am 27.10.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN
Sport

Bonn ‐ Am 3. November jährt sich der prestigeträchtige New-York-Marathon zum 43. Mal. Auch dieses Jahr werden mehr als 49.000 Läufer an den Start gehen. Die Vorfreude ist groß, schließlich fiel die Veranstaltung aufgrund des Hurrikans "Sandy" im vergangenen Jahr aus. In die Freude über das anstehende Großevent mischt sich aber noch eine andere Emotion: Angst. Davor, dass es erneut zu Anschlägen kommt wie beim Boston-Marathon am 15. April dieses Jahres.

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Bevor die beiden Bomben in Boston explodierten, hätte man beinahe denken können, die USA hätten ihr altes Selbstbewusstsein zurückgewonnen. Außenpolitisch hatte sich die Lage entspannt, gerade erst schien die Angst der Amerikaner vor einem weiteren Terroranschlag überwunden zu sein. Doch nicht einmal zwölf Jahre nach den Anschlägen am 11. September 2001 wurde erneut ein Attentat auf das Land verübt. Knapp sieben Monate sind seit den Anschlägen auf den Boston-Marathon vergangen. Die Bilanz der Schreckenstat: Drei Tote, 264 zum Teil schwer Verletzte.

Die aus Kirgisien stammenden Brüder Tamerlan und Dzhokhar Tsarnaev wurden vom FBI als alleinige Täter identifiziert. Laut Aussagen des jüngeren Bruders Dzhokar habe man die Bomben ursprünglich am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitsfeiertag, zünden wollen. Da der Bau der Bomben jedoch schneller als erwartet vonstatten ging, habe man das Attentat bereits beim Boston-Marathon verübt.

An Symbolik mangelte es auch diesem Ziel nicht: Die Sprengsätze explodierten beim traditionsreichsten Marathonlauf nach den Olympischen Spielen, in einer Stadt, die den "Freedom Trail" beheimatet und in der einst Siedler gegen die britische Kolonialpolitik aufbegehrten. Noch dazu am "Patriot's Day", der an die Gefechte von Lexington und Concord am 19. April 1775 erinnert, einer der ersten Schlachten des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Ein "Angriff in Amerikas Herz", so kommentierte der "Spiegel" die Ereignisse.

Parallele zum 11. September 2001

Vor allem eine Parallele zum 11. September 2001 drängt sich auf – wie vor zwölf Jahren war auch der Bombenanschlag auf den Boston-Marathon religiös motiviert. Zwei Monate nach den Ereignissen berichteten US-Medien von einer Nachricht, die Dzhokar Tsarnaev auf dem Boot hinterließ, in dem er sich bis zu seiner Verhaftung vor der Polizei versteckt hielt. Die Bomben seien als Vergeltung für Angriffe auf Muslime im Irak und in Afghanistan zu verstehen. Jeder Angriff auf einen Muslim sei ein Angriff auf alle Muslime, schrieb Tsarnaev. Seinen Bruder Tamerlan, der bei der Verfolgungsjagd mit der Polizei ums Leben kam, vermisse er nicht - schließlich werde er ihm bald als Märtyrer ins Paradies folgen.

Bei zwei Bombenanschlägen beim Boston Marathon sind am 16.04.13 mehrere Menschen getötet und verletzt worden.
Bild: ©picture alliance / AP Photo

Bei zwei Bombenanschlägen beim Boston Marathon sind am 16.04.13 mehrere Menschen getötet und zahlreiche verletzt worden.

Bei Bekannten riefen diese Aussagen Verwunderung hervor. Einer der drei Freunde des 19-Jährigen, die sich wegen Behinderung der Justiz beziehungsweise Falschaussage vor einem US-Gericht verantworten müssen - sie hatten Beweismaterial entfernt -, sagte aus, Dzhokhar Tsarnaev habe sich "weder radikal noch religiös" verhalten. Auch andere ehemalige Wegbegleiter zeichneten das Bild eines ruhigen, intelligenten und sportlichen jungen Mannes, der keinem Menschen etwas antun könne.

Höchstwahrscheinlich trug Dzhokhars älterer Bruder Tamerlan Tsarnaev entscheidend zur Radikalisierung bei. Bereits seit Anfang 2011 war dieser als "Anhänger eines radikalen Islam" beim FBI gelistet und auch verhört worden. Eine Verbindung zu terroristischen Aktivitäten schloss die amerikanische Ermittlungsbehörde nach der Befragung von Familienmitgliedern sowie der Überprüfung von Reisedokumenten, Internetverkehr und persönlichen Kontakten jedoch aus. Vermutlich spielte auch die Mutter des Brüderpaars eine entscheidende Rolle: Zubeidat Tsarnaeva soll sich in den Jahren vor der Tat radikalisiert und ihren Kindern in einem Telefonat dazu geraten haben, sich dem Jihad anzuschließen. Sie sei es auch gewesen, die ihrem Sohn Tamerlan den Islam näherbrachte - aus Angst, dieser könne in ein Leben mit Alkohol und Drogen abrutschen.

Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen im "Big Apple"

Offenbar planten Tamerlan Tsarnaev und sein 19-jähriger Bruder, das ergaben Vernehmungsprotokolle des FBI, auch in New York Anschläge. Dort hat man die Sicherheitsvorkehrungen ob des anstehenden Marathons noch einmal erhöht. Läufer müssen sich Abtastkontrollen unterziehen und dürfen ihre Ausrüstung ausschließlich in Plastikbeuteln unterbringen. Auch Zuschauer, Mitarbeiter und Freiwillige werden intensiver unter die Lupe genommen. Zudem setzt die Polizei Spürhunde ein. In Punkto Sicherheit müsse jedoch eine Balance gefunden werden, sagte der Vize-Präsident und technische Direktor der Läufer-Organisation "New York Road Runners", Peter Ciaccia. Man wolle den Menschen nicht das Gefühl geben, dass sie "in einem Polizeistaat gelandet" seien.

Dennoch: die Bemühungen um ein in allen Belangen sicheres Event treffen auf große Zustimmung. In New York rufen die Ereignisse von Boston zwangsläufig Erinnerungen an den 11. September hervor. Die Gewissheit, dass jederzeit etwas passieren kann, ist in die Köpfe Vieler zurückgekehrt. Nichtsdestotrotz freut man sich im "Big Apple" auf den ersten Marathon seit zwei Jahren.

Bei einer Sache sind sich alle Beteiligten einig: Selbst terroristische Akte werden den Marathonsport nicht zerstören können. Auch in Boston ist man dieser Meinung. Dort fand am 24. Juni 2013 das erste Rennen nach dem Attentat statt. Am 10-km-Lauf "BAA 10 k" nahm auch der Sieger des Boston-Marathons, Lelisa Desisa, teil. Der 23-jährige Äthiopier überreichte Bürgermeister Menino seine Siegermedaille als Geste des Mitgefühls für die Opfer der Bombenanschläge. Übrigens waren die Startnummern für den Lauf bereits nach 13 Stunden vergriffen - auch ein Statement dafür, wie die Bevölkerung mit den Anschlägen umgeht.

Von Martin Henning