Eine Replik auf Daniel Deckers' FAZ-Artikel

Keine Alternative für Christus

Veröffentlicht am 24.11.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Bonn ‐ Der FAZ-Redakteur Daniel Deckers urteilte vor wenigen Tagen: Christen beider Konfessionen fühlen sich von der AfD nicht besonders abgestoßen. Der Publizist Andreas Püttmann widerspricht. Eine Replik.

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Viel Platz widmete die FAZ vom Dienstag (22.11.) unter dem Titel "Alternative für Christus" einem heiklen kirchenpolitischen und sozialethischen Problem: "Hass schlägt den Kirchenleuten aus der AfD entgegen. Wie reagieren evangelische und katholische Wähler? Die Antwort ist kompliziert. Nicht jeder findet es gut, dass einige Bischöfe der AfD das Licht ausmachen." Von der Erfurter Domverdunkelung ausgehend, trägt Daniel Deckers Begebenheiten aus Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern zusammen und kommt unter Berufung auf Umfrageergebnisse zu dem Schluss: "Dass sich Christen beider Konfessionen von Programm und Politikern der AfD besonders abgestoßen fühlten, ist nicht der Fall."

Das wäre eine gute Nachricht für vier Gruppen: Linke laizistische Kirchenkritiker, die schon immer wussten, Christen seien kein bisschen anders als die anderen und politisch natürliche Verbündete autoritärer Systeme; AfD-Politiker, die ihre Ablehnung durch Bischöfe unter Verweis auf deren eigene "Basis" zu delegitimieren versuchen; christliche AfD-Anhänger, denen eine durchschnittliche Repräsentanz von Mitchristen in dieser Partei zu einem besseren Gewissen verhilft; ausländische Bischöfe, die mit den Rechtspopulisten ihres Landes paktieren und die deutschen Mitbrüder schon lange zu liberal und naiv flüchtlingsfreundlich finden.

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Nur: Was versteht Deckers unter "besonders"? Der Blick auf die verfügbaren Daten zeigt, dass hier beachtliche Unterschiede im Wahlverhalten in irreführender Weise eingeebnet werden. So wählten in Baden-Württemberg, wie der Autor selbst berichtet, nur 7 Prozent der kirchennahen Katholiken ("mit der höchsten Gottesdienstbesuchsfrequenz") die AfD, nicht einmal halb so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Nach einem Allensbach-Befund vom Juni 2016 waren es unter Wahlberechtigten mit Angabe zur Zweitstimme bundesweit 8 Prozent der kirchennahen Katholiken, 9 Prozent der kirchennahen Protestanten, 13 Prozent der kirchenfernen Christen und 18 Prozent der Konfessionslosen. Signifikante Ergebnisse anderer Umfragen hatten ein ähnliches Muster. Keine "besondere" Abweichung?

Da sich nur noch etwa die Hälfte der nominellen Christen ihrer Kirche "eng" oder "kritisch" verbunden fühlt (Katholiken mehr als Protestanten) und nur ein Zehntel "praktiziert", also halbwegs regelmäßig am Gottesdienst teilnimmt, hat es wenig Sinn, eingeschriebene "Christen" undifferenziert mit Konfessionslosen zu vergleichen – oder mit einem Bevölkerungsdurchschnitt, zu dem Kirchenmitglieder selbst zu 58 Prozent teilhaben. Wer eine valide Aussage darüber treffen will, ob "für Christus" entschiedene Menschen sich von den Rechtspopulisten "besonders abgestoßen" fühlen, der muss gläubige, praktizierende Christen mit Konfessionslosen vergleichen. Das Ergebnis ist regelmäßig "besonders" im Sinne der Synonyme: auffallend, beachtlich, bemerkenswert.

Das demoskopische Muster überrascht aus zwei Gründen nicht: Aus wahrhaft christlicher Frömmigkeit erwachsen Gelassenheit, Demut und Liebe, aus Rechtspopulismus das Gegenteil: Daueraufgeregtheit, Hybris und Hass. Wer die empirische Sozialforschung der letzten Jahrzehnte zu Kirchennähe, Konfession und Staatsgesinnung in der Bundesrepublik kennt, weiß um die regelmäßig überdurchschnittliche Loyalität kirchennaher Bürger gegenüber der Demokratie des Grundgesetzes. Der katholische Staatsrechter Josef Isensee sprach von der "bescheidensten Staatsform der Weltgeschichte", Bischof Joachim Reinelt nannte ihre Menschenwürde-Zentriertheit nach der Wiedervereinigung "verwirklichten Glauben". Da wundert es nicht, dass die radikale Systemkritik der AfD, auch dort wo sie nicht explizit, sondern elitenkritisch camoufliert daher kommt, auf die kirchennahe Wählerschaft abstoßender wirkt als auf die konfessionslose oder kirchenferne.

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Trotzdem neigen je rund 2 Millionen Katholiken und Protestanten, darunter auch eine Minderheit Kirchennaher, zur AfD. Das hat einerseits mit Fixierung auf die Flüchtlingspolitik zu tun, die nicht prinzipiell, aber operativ auch von Christen als zeitweise zu ungeordnet und langfristig risikoreich beurteilt werden kann. Wichtiger ist die Einsicht, dass politischer Fanatismus und Demagogie auch bei Christen fruchten und zu politischer-ethischer Verwirrung führen können, weil auch sie in erster Linie Menschen und erst in zweiter Gläubige sind. Daher findet man in der Kirche alle Laster wie in der säkularen Gesellschaft, Wohlstandsegoismus, Empathielosigkeit, Ressentiment und Dummheit inbegriffen. Die historischen Entgleisungen gläubiger Christen im Nationalsozialismus, europäischen Faschismus und totalitären Sozialismus stehen uns als Fanale vor Augen. Wenn daher Umfragewerte christlicher Bürger bei Themen von christlich-ethischer Relevanz nur relativ und nicht radikal anders ausfallen als die nichtchristlicher Mitbürger, sagt dies nur aus, dass alle Menschen in ihrem Erkennen, Fühlen und Handeln fehlbar sind.

Es kann also auch in der Frage der AfD-Nähe nur um Tendenzen gehen. Das Ergebnis ist "besonderer" als der FAZ-Autor meint: Die gläubig-christliche "Schwarmintelligenz" – katholisch übersetzt: "sensus fidelium" – weist weg von den Rechtspopulisten. So wie es die Bischöfe vertreten. Der kleinen Minderheit politischer Rechtsausleger des Christentums sollte das eigentlich zu denken geben. Doch sie halten gern die anderen für Geisterfahrer und sich selbst für die wahre geistliche Elite – näher beim Willen Gottes als selbst sein "Stellvertreter auf Erden". Deswegen ist unter AfD-geneigten Kirchenmitgliedern auch nicht selten nörglerisch, lästerlich oder gar gehässig von Papst Franziskus die Rede.

"Einem gewissen Stil der Vergangenheit treu"

Er hat die Gesinnungsegozentrik und moralische Hybris dieser Kreise in einer Schärfe gegeißelt, die an Jesu Rede von den "getünchten Gräbern" erinnert: "Hinter dem Anschein der Religiosität und sogar der Liebe zur Kirche" verberge sich bei einem gewissen Segment von Gläubigen eine "spirituelle Weltlichkeit". Sie seien typischerweise "einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu", verbrauchten "die Energien im Kontrollieren" und wollten "das Leben der Kirche in ein Museumsstück oder in ein Eigentum einiger weniger" verwandeln. In der Immanenz ihrer eigenen Vernunft oder Gefühle eingeschlossen und "bestimmte Normen einhaltend", fühlten sie sich den anderen überlegen und pflegten "eine vermeintliche doktrinelle oder disziplinarische Sicherheit, die Anlass gibt zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein". Da sei kein Eifer mehr für das Evangelium, sondern der unechte Genuss einer egozentrischen Selbstgefälligkeit. Dass eine autoritäre Struktur sich nicht nur kirchlich-religiös, sondern auch politisch manifestiert, ist nicht zwingend, aber wahrscheinlich.

Die Brutstätten eines christlich drapierten Rechtspopulismus sind im Lichte der päpstlichen Gardinenpredigt einer "Pathologie der Religion" erlegen. Man tanzt wie die Neuen Rechten um das Goldene Kalb des "Eigenen": die eigene Nation, die eigene "Kultur", den eigenen Wohlstand, die eigene Familienform. Schon begrifflich sollte der Kult des "Eigenen" Christen aber zurückschrecken lassen, muss ein Jünger Jesu doch stets auch vom Anderen her denken. Empathie in Form von Einfühlung, Mitleid und Hilfsbereitschaft ist gleichsam die DNA des Christentums. Wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland steht in den Kirchen eine "Scheidung der Geister" an. Sie wird auch für die Zukunft der Freiheit und Humanität unseres Gemeinwesens bedeutsam sein.

Von Andreas Püttmann