Wie still muss Deutschland sein?
Im Jahr 2007 luden Humanisten in München zu einer Party unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual" ein. Da die Veranstaltung an einem Karfreitag stattfinden sollte, wurde sie von der Kommune untersagt. Die Stadt München bezog sich auf den in Bayern geltenden strengen Feiertagsschutz, der keine Ausnahmen von der am Karfreitag zu haltenden Stille vorsieht.
Nun urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass diese Rechtspraxis nicht verfassungskonform ist. Ein besonderer Schutz von Feiertagen sei zwar zulässig, es müsse aber grundsätzlich die Möglichkeit von Ausnahmen geben - sofern es Konflikte mit anderen Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit gibt.
Doch wie ist dieser Fall zu bewerten und was heißt das für die deutsche Gesellschaft? Die katholisch.de-Redakteure Kilian Martin und Felix Neumann nehmen Stellung - Pro und Contra Feiertagsschutz.
Pro: Wider den Relativismus!
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Der umfassende Schutz der hohen christlichen Feiertage ist niemals unverhältnismäßig. Es ist geradezu eine aus dem Glauben erwachsende Bürgerpflicht, die säkulare Grundordnung der Gesellschaft mit dem Ordnungsgerüst des Glaubens zu überbauen. Doch es ist nicht allein Sache der Bürger, den staatlichen Normenkatalog mit Seele zu füllen: Der deutsche Gesetzgeber tut dies selbst, indem er völlig richtig anerkennt, dass die Wesenszüge des Grundgesetzes der christlichen Werteordnung entstammen. Auch deshalb steht das Christentum mit seinen Feiertagen unter einem besonderen Schutz des Staates.
Besonders deutlich ist dies im Freistaat Bayern zu spüren, wo das Kruzifix noch wie selbstverständlich im Klassenzimmer hängt - und wo kirchliche Hochfeste das öffentliche Leben prägen. Das Bundesverfassungsgericht befand nun, dass diese Prägung zu stark sei: Auch am besonders geschützten Karfreitag müsse es Ausnahmen von der verordneten öffentlichen Stille geben. Das Bundesverfassungsgericht sagt, das Grundrecht der Religionsfreiheit kann im Einzelfall dem Recht etwa auf Versammlungsfreiheit untergeordnet werden.
Selbstverständlich ist diese höchstrichterliche Entscheidung zu akzeptieren. Nicht zu akzeptieren ist jedoch der immer weiter um sich greifende Relativismus, der solche Entscheidungen überhaupt nötig macht. Im vorliegenden Fall ging es nicht um das legitime Anliegen der freien Religions-Nichtausübung. Die Münchner "Heidenspaß-Party", um die es in der Verhandlung ging, war eine reine Provokation am Sterbetag Christi. Und es ist gut, dass Behörden gegen solche Umtriebe vorgehen. Nicht, um der Kirche zu einem Recht zu verhelfen, das ihr nicht zusteht.
Es ist geht schließlich um ein Recht der Bürger selbst: Christus lehrt uns, dass der Sabbat auch dem Menschen dient. Einen stillen Feiertag wirklich still zu halten, ist kein pseudostaatskirchliches Gebot, sondern eine wichtige Möglichkeit, sich auf die Basis der Werteordnung unserer Gesellschaft zu besinnen: die christlich-jüdische Kultur. Es wäre schlichtweg unverhältnismäßig, sich nicht weiterhin gegen die Säkularisierung zu stellen, die uns dieser Möglichkeit berauben will.
Linktipp: Verfassungsgericht: Karfreitagsschutz zu streng
"Heidenspaß statt Höllenqual" sollte die Veranstaltung an Karfreitag 2007 heißen. Doch die Kommune sprach ein Verbot aus. Nun teilte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss mit.Contra: Kein Grund zur Aufregung
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum bayerischen Feiertagsgesetzes keine revolutionären Umstürze verfügt. Nach wie vor ist es zulässig, "stille Feiertage" per Gesetz besonders zu schützen. Nur gilt eben auch für Feiertagsgesetze das, was für alle Gesetze gilt: Ein Recht schaltet nicht das andere aus. Wenn es zu einer Kollision zwischen zwei verfassungsmäßig geschützten Rechtsgütern kommt, hier zwischen dem Feiertagsschutz und der Versammlungsfreiheit, dann sticht nicht eins das andere. Vielmehr muss eine Regelung gefunden werden, mit der alle betroffenen Rechte zur Geltung kommen; beide Rechte können dazu maßvoll und der Sache angemessen begrenzt werden.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist ein salomonisches Urteil: Weiterhin gilt in Bayern der Schutz der stillen Feiertage. Weiterhin gibt es Versammlungsfreiheit.
Klagen aus der Kirche sind nicht angebracht - gerade mit Blick auf die eigenen Interessen. Von der maßvollen Abwägung von Rechten profitieren gerade Religionsgemeinschaften häufig. Religionsfreiheit darf nie ausgeschaltet werden, sie muss auch bei Normenkonflikten immer zur Geltung kommen.
Ob es um religiöse Bräuche von Juden und Muslimen geht wie bei der Beschneidung, bei der die Religionsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Einklang gebracht werden müssen; ob es ums Schächten geht, wo das Staatsziel Tierschutz und die Religionsfreiheit zur Geltung kommen müssen; oder ob es um die Frage nach der arbeitsrechtlichen Praxis der christlichen Kirchen geht, bei der Gleichbehandlungsgebot und Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Konflikt stehen: Das Prinzip der Abwägung schützt die freie Religionsausübung, gerade wenn der Kirche ein säkularer bis laizistischer Gegenwind aus Politik und Gesellschaft entgegenweht.
Aber auch theologisch gibt es eigentlich keinen Grund zur Klage. Christliche Bräuche wie die karfreitägliche Stille für die gesamte Gesellschaft verpflichtend zu machen, ist ein Privileg, kein unabdingbarer Glaubensinhalt. Wenn es ein Gesetz braucht, um diese Tradition aufrecht zu erhalten, dann ist sie eigentlich schon tot. Und wer die Botschaft von Jesu Leiden, Sterben und Auferstehung verkünden will, der wirkt nicht glaubwürdiger, wenn Christi Jünger ein weltliches Gesetz brauchen, um ihre Überzeugung zu leben.