Verbände fordern barrierefreien Zugang zu liturgischen Büchern

Weil die Kirche auch blind ist

Veröffentlicht am 08.12.2016 um 13:40 Uhr – Lesedauer: 
Weil die Kirche auch blind ist
Bild: © KNA
Behinderte

Bonn ‐ Es ist eine kleine Gruppe, aber es gibt sie: blinde Lektoren, Kantoren und Priester. Entsprechende liturgische Bücher gibt es für sie jedoch kaum. Katholische Blindenvereine wollen das nun ändern.

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Am Dienstag ist die revidierte Einheitsübersetzung der Bibel nach mehr als 10-jähriger Arbeitszeit im Handel erschienen. In den kommenden Jahren soll der neue Text auch in alle gängigen liturgischen Bücher – vor allem in die Messlektionare – im deutschsprachigen Raum übernommen werden. "Das war unser Anlass, den Finger noch einmal in die Wunde zu legen", sagt Gerlinde Gregori.

Gregori gehört dem Vorstand des Deutschen Katholischen Blindenwerks an und ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Blindenvereinigungen. Und was "den Finger in die Wunde legen" bedeutet, hat sie mit wenigen Worten erklärt: "Für Blinde und Sehbehinderte gibt es bisher keinen einheitlich geregelten barrierefreien Zugang zu den liturgischen Büchern." Gregori vermutet dahinter keinen bösen Willen, sondern vor allem Urheberrechtsfragen und dass die Kirche "die recht kleine Nutzergruppe nicht immer im Blick hat". Wie viele Menschen konkret betroffen seien, kann sie selbst nicht sagen. Auch, weil sich nicht jeder Mensch mit starker Sehbehinderung outen würde.

Blinde und Sehbehinderte im liturgischen Dienst tätig

Doch es gibt diese Gruppe. Blinde und Sehbehinderte, die als Lektoren und Kantoren, als Ordensleute, Diakone oder auch als Priester liturgische Dienste übernehmen. Allerdings müssen die sich bis heute ihre "Materialien" eher mühsam zusammensuchen. So bietet der Blindenschriftverlag Paderborn zwar das Gotteslob in unterschiedlichen Varianten an, als Großdruck, in Braille – der aus Punkten bestehenden "Blindenschrift" – oder als interaktives Hörbuch (DAISY). Anders sieht es dagegen beim Messbuch, dem Stundenbuch oder den Lektionaren aus. Entweder sind sie gar nicht oder nicht in allen Variationen erhältlich. Wenn ein Buch dann nur in "Braille" vorliegt, man die Blindenschrift aber nicht beherrscht, muss man kreativ werden – und sich Texte zum Beispiel einsprechen lassen.

Bild: ©KNA

Das Messbuch gibt es bisher noch nicht in einer "blindengerechten" Version.

Die katholischen Blindenvereinigungen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland haben nun die Ankündigung neuer Messlektionare zum Anlass genommen, noch einmal auf diesen Missstand hinzuweisen. In einer Resolution wenden sie sich an die zuständigen Bischöfe, aber auch an das Katholische Bibelwerk und die jeweiligen Liturgischen Institute, die mit der Herausgabe der liturgischen Bücher betraut sind.

"Immer wieder erreichen uns aus dem gesamten deutschsprachigen Raum Fragen zur Text-Beschaffung aus den amtlichen, liturgischen Büchern", heißt es in der Resolution, die katholisch.de vorliegt. Neben den Lektionaren würden verstärkt auch Messbuch, Stundenbuch, Kantorale, Orgelbuch, Gotteslob, Benediktionale und die Werkbücher zur Wort-Gottes-Feier nachgefragt. Den Verbänden gehe es vor allem um "einfache, offizielle und generelle Zugangsformen für alle Blinden und Sehbehinderten".

Gregori: Texte nicht alle frei ins Internet stellen

Auch Gerlinde Gregori hat die Resolution unterschrieben. "Da die liturgischen Bücher mittlerweile sowieso digital erfasst werden, sollte die Bereitstellung verhältnismäßig einfach zu realisieren sein", sagt sie. Konkret ermögliche es ein digitaler Zugang, die Texte dank technischer Hilfe entsprechend aufzubereiten. Denn auch wenn nicht jeder Sehbehinderte einen Internetzugang oder ein Smartphone besitze, sei der Computer doch ein wichtiges Hilfsmittel, da es mittlerweile die Möglichkeiten der Sprach-, Braille- oder Großbildschirm-Unterstützung gebe.

Gregori sagt auch, dass die Blindenvereinigungen nicht verlangten, die Texte alle frei ins Internet zu stellen. Stattdessen schlägt sie vor, mit entsprechenden Lizenzen zu arbeiten. "Dadurch könnten einzelne Blinde und Sehbehinderte mit entsprechendem Nachweis die Texte auf einem digitalen Datenträger erwerben und damit arbeiten", sagt sie. Eine weitere Option sei es, dass entsprechende Blindendruckereien die Lizenzen erwerben, um die Texte so direkt für einen größeren Benutzerkreis aufzuarbeiten.

Bild: ©Bistum Essen

Marius Linnenborn ist seit dem 1. November 2016 Leiter des Liturgisches Instituts in Trier. Davor hat der Essener Diözesanpriester unter anderem Liturgiewissenschaft an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster und an der Musikhochschule Köln gelehrt.

Am Deutschen Liturgischen Institut hat man das Problem im Blick. "Die Resolution der Blindenvereinigungen ist bei uns eingegangen und wird bei der Erarbeitung der neuen liturgischen Bücher berücksichtigt", sagt der Leiter des Instituts, Marius Linnenborn. Er selbst sei – nach gut einem Monat im Amt – noch dabei, sich einen Überblick über die verschiedenen Angebote für Blinde und Sehbehinderte zu verschaffen. Dass es bisher keine speziellen Digital-Lizenzen für Blinde gibt, sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass viele liturgische Bücher wie etwa das Messbuch generell noch nicht in digitaler Version vorlägen. "Ich bin mir aber sicher, dass wir künftig eine zufriedenstellende Lösung finden", so Linnenborn.

Die Blindenvereinigungen erhoffen sich laut Resolution "eine grundsätzliche Regelung, die uns sehbehinderten und blinden Christen eine einfachere und intensivere Mitfeier der Liturgie ermöglicht". Dabei verweisen sie auch auf das nachsynodale Schreiben "Verbum Domini" (2010) von Benedikt XVI. Darin ruft der Papst dazu auf, denen "besondere Aufmerksamkeit zu widmen, die aufgrund ihrer persönlichen Verfassung Probleme haben, an der Liturgie tätig teilzunehmen, wie zum Beispiel die Blinden und die Gehörlosen".

Von Björn Odendahl