"Angst ist absolut übertrieben"
Der Renovabis-Geschäftsführer Burkhard Haneke hält es für "unangemessen, Horrorszenarien an die Wand zu malen von Hunderttausenden Menschen, die jetzt nach der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Rumänien und Bulgarien angeblich zu uns kommen werden". Das katholische Osteuropa-Hilfswerk arbeitet seit mehr als 20 Jahren daran, dass die soziale und wirtschaftliche Situation in den osteuropäischen Herkunftsländern der Migranten verbessert wird. Und es habe sich im vergangenen Vierteljahrhundert "in etlichen unserer osteuropäischen Nachbarländer" viel zum Besseren entwickelt, sagte Haneke katholisch.de. Aber Verbesserungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich seien ein langwieriger Prozess.
Auslöser der aktuellen Debatte ist ein noch unveröffentlichtes Papier der CSU, in dem sie sich für harte Maßnahmen ausspricht. So soll den Zuwanderern der Zugang zum deutschen Sozialsystem erschwert werden. Anlass sind Befürchtungen, die seit dem 1. Januar geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren könnte zu einem verstärkten Zuzug aus diesen Ländern führen. Die Vorlage soll kommende Woche bei der jährlichen Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth beschlossen werden.
Keine Möglichkeit zum Auswandern für Arme
Um die Deutschen zu beruhigen, erinnert Haneke an die "absolut übertriebenen Befürchtungen" vor einem Massenansturm an Polen und Tschechen, als für sie im Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit kam. Auch die Direktorin der Caritas im Nordrumänischen Satu Mare, Therezia Tünde Löchli, sagt katholisch.de, dass man "keine Angst vor der Armutswanderung" haben müsse. Diejenigen, die sich entschlossen hätten, in Deutschland zu arbeiten, machten das ohnehin schon lange und wer unter der Armutsgrenze lebe, "hat überhaupt keine Möglichkeiten zum Auswandern".
Haneke und Löchli betonen die Vorteile, die Deutschland habe, wenn es Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien angesichts der schwierigen demografischen Situation integriere: Schließlich verrichteten sie Tätigkeiten, für die sich kaum deutsche Arbeitskräfte fänden ließen, betont Haneke. Auch Löchli spricht von "billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften" besonders in den Branchen Gesundheit und Pflege sowie auf dem Bau. Und die Caritas-Direktorin erinnert an die Schwierigkeiten für ihr Heimatland: Durch die seit Jahren anhaltende Abwanderung junger, ausgebildeter Menschen werde Rumänien geschwächt. Allerdings sei es wegen der fehlenden adäquaten Beschäftigungsmöglichkeiten und der geringen Löhne sehr schwierig, in Rumänien ein normales Leben zu führen.
Einzelne Kommunen stehen vor Herausforderungen
Der Renovabis-Geschäftsführer Haneke bestreitet nicht, dass es tatsächlich einzelne Kommunen in Deutschland gibt, die angesichts sozialer Probleme mit Zuwanderern "vor großen Herausforderungen stehen". Diese Kommunen müssten von allen politischen Verwaltungsebenen unterstützt werden. Gegebenenfalls müsse man auch über neue Konzepte der Unterstützung und Förderung nachdenken, so Haneke.
Eines sollten die Deutschen nach Hanekes Aussage jedoch angesichts der "viel beschworenen Sorge um eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme" nicht tun: das hohe Gut der offenen Grenzen in Europa in Frage zu stellen. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der kommunistischen Systeme in Osteuropa dürfe eine "hochemotionalisierte Debatte" nicht dazu führen, das Recht auf Freizügigkeit anzuzweifeln, so der Geschäftsführer des kirchlichen Hilfswerks.
Von Agathe Lukassek