Kirchliche Hilfswerke betonen die Vorteile der Arbeitnehmerfreizügigkeit

"Angst ist absolut übertrieben"

Veröffentlicht am 03.01.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
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Armutsmigration

Bonn ‐ Wer betrügt, der fliegt", lautet die Warnung der CSU an Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumänien. Ein Slogan, der im Internet mit Verweis auf Steuerbetrüger, Ehebrecher und Dissertationsfälscher in den eigenen Reihen der bayerischen Partei für Lacher sorgt . Denen aber, die – wie die Kirche – mit den Betroffenen zusammenarbeiten und die Situation einschätzen können, ist nicht nach Lachen zumute.

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Der Renovabis-Geschäftsführer Burkhard Haneke hält es für "unangemessen, Horrorszenarien an die Wand zu malen von Hunderttausenden Menschen, die jetzt nach der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Rumänien und Bulgarien angeblich zu uns kommen werden". Das katholische Osteuropa-Hilfswerk arbeitet seit mehr als 20 Jahren daran, dass die soziale und wirtschaftliche Situation in den osteuropäischen Herkunftsländern der Migranten verbessert wird. Und es habe sich im vergangenen Vierteljahrhundert "in etlichen unserer osteuropäischen Nachbarländer" viel zum Besseren entwickelt, sagte Haneke katholisch.de. Aber Verbesserungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich seien ein langwieriger Prozess.

Auslöser der aktuellen Debatte ist ein noch unveröffentlichtes Papier der CSU, in dem sie sich für harte Maßnahmen ausspricht. So soll den Zuwanderern der Zugang zum deutschen Sozialsystem erschwert werden. Anlass sind Befürchtungen, die seit dem 1. Januar geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren könnte zu einem verstärkten Zuzug aus diesen Ländern führen. Die Vorlage soll kommende Woche bei der jährlichen Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth beschlossen werden.

Keine Möglichkeit zum Auswandern für Arme

Um die Deutschen zu beruhigen, erinnert Haneke an die "absolut übertriebenen Befürchtungen" vor einem Massenansturm an Polen und Tschechen, als für sie im Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit kam. Auch die Direktorin der Caritas im Nordrumänischen Satu Mare, Therezia Tünde Löchli, sagt katholisch.de, dass man "keine Angst vor der Armutswanderung" haben müsse. Diejenigen, die sich entschlossen hätten, in Deutschland zu arbeiten, machten das ohnehin schon lange und wer unter der Armutsgrenze lebe, "hat überhaupt keine Möglichkeiten zum Auswandern".

Ein Kind vorm Haus in der Roma-Siedlung. Dort gibt es keine geteerten Straßen.
Bild: ©KNA

Ein Kind vorm Haus in der Roma-Siedlung. Dort gibt es keine geteerten Straßen.

Haneke und Löchli betonen die Vorteile, die Deutschland habe, wenn es Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien angesichts der schwierigen demografischen Situation integriere: Schließlich verrichteten sie Tätigkeiten, für die sich kaum deutsche Arbeitskräfte fänden ließen, betont Haneke. Auch Löchli spricht von "billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften" besonders in den Branchen Gesundheit und Pflege sowie auf dem Bau. Und die Caritas-Direktorin erinnert an die Schwierigkeiten für ihr Heimatland: Durch die seit Jahren anhaltende Abwanderung junger, ausgebildeter Menschen werde Rumänien geschwächt. Allerdings sei es wegen der fehlenden adäquaten Beschäftigungsmöglichkeiten und der geringen Löhne sehr schwierig, in Rumänien ein normales Leben zu führen.

Einzelne Kommunen stehen vor Herausforderungen

Der Renovabis-Geschäftsführer Haneke bestreitet nicht, dass es tatsächlich einzelne Kommunen in Deutschland gibt, die angesichts sozialer Probleme mit Zuwanderern "vor großen Herausforderungen stehen". Diese Kommunen müssten von allen politischen Verwaltungsebenen unterstützt werden. Gegebenenfalls müsse man auch über neue Konzepte der Unterstützung und Förderung nachdenken, so Haneke.

Eines sollten die Deutschen nach Hanekes Aussage jedoch angesichts der "viel beschworenen Sorge um eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme" nicht tun: das hohe Gut der offenen Grenzen in Europa in Frage zu stellen. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der kommunistischen Systeme in Osteuropa dürfe eine "hochemotionalisierte Debatte" nicht dazu führen, das Recht auf Freizügigkeit anzuzweifeln, so der Geschäftsführer des kirchlichen Hilfswerks.

Von Agathe Lukassek

Die Leistungen der Kommunen

"Es gibt ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme", stellt das deutsche Büro der EU-Kommission unter Berufung auf EU-Recht klar. Doch welchen konkreten Handlungsspielraum hat eine deutsche Kommune, wenn plötzlich eine arme Familie mit Kindern aus einem EU-Partnerland Aufnahme begehrt? LEBENSUNTERHALT: Nach EU-Recht haben Arbeitssuchende in den ersten drei Monaten zwar keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe des aufnehmenden Landes. Doch viele Kommunen sagen: "Wir können eine Familie, die plötzlich in unsere Stadt kommt, nicht einfach auf der Straße stehen und verhungern lassen". Es gibt Geldhilfen - unterhalb des Hartz-IV-Existenzniveaus von derzeit 391 Euro monatlich, oder auch Sachmittel - wie Lebensmittel und Kleidung. Häufig müssen Arztkosten übernommen werden, insbesondere die Kinder sind oft nicht krankenversichert. WOHNRAUM: Die Kommunen helfen bei der Suche nach einer Unterkunft. Doch es fehlen große Wohnungen für kinderreiche Familien. Zugleich beobachten die Kommunen, dass auf dem freien Markt Zuwanderern "Schrottimmobilien" und Mehrbetten-Zimmer zu überteuerten Preisen angeboten werden. Ein Spitzentreffen von Kommunen, Bund und Ländern Anfang Februar soll Hilfsvorschläge machen. BLEIBERECHT: Erscheinen Arbeitsplatzsuche und Integration als aussichtslos und ist zu befürchten, dass der Zuwanderer auf Dauer zum Sozialfall wird, kann er nach EU-Recht innerhalb der ersten fünf Jahre wieder in sein Heimatland abgeschoben werden. Zuvor muss eine Einzelfallprüfung stattfinden - ähnlich wie bei Asylverfahren. KINDERGELD: Kindergeld kann laut Bundesfamilienministerium aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen nicht allein deswegen verweigert werden, weil die Kinder nicht bei ihren zugewanderten Eltern in Deutschland leben, sondern in ihrem Heimatland. Allerdings können nach dem Gesetz hier lebende Ausländer nur dann Kindergeld erhalten, wenn sie eine gültige Niederlassungserlaubnis besitzen. Voraussetzung dafür sind in der Regel entweder eine Arbeitsstelle innerhalb der ersten fünf Aufenthaltsjahre oder genügend eigene finanzielle Mittel zum Lebensunterhalt. Schwierig ist die Überprüfung bei selbstständiger Arbeit. Auskunft im Einzelfall erteilen die Kindergeldkassen der Arbeitsämter. (dpa)