Ist die Kurie immer noch "krank"?
Eigentlich scheint der vorweihnachtlichen Besinnlichkeit im Vatikan nichts mehr im Wege zu stehen: Auf dem Petersplatz leuchtet der Christbaum mit 18.000 LED-Lämpchen heller als je zuvor, und auf den Schreibtischen der Monsignori lichten sich die Aktenstapel. Wenn da nicht am Donnerstag noch die Weihnachtsansprache des Papstes vor der römischen Kurie wäre. Andere Chefs halten bei dieser Gelegenheit einen besinnlich-launigen Jahresrückblick oder ziehen nüchtern Bilanz. Nicht so Franziskus.
Der argentinische Papst hielt seinen leitenden Mitarbeitern im Dezember 2014 eine Predigt, die sich gewaschen hatte: "Geistliches Alzheimer" hielt er der römischen Kurie damals vor. Und das war nur eine von "15 Krankheiten", die der Papst diagnostizierte. Dazu kamen Eitelkeit, Karrierismus, Geschwätzigkeit und Kriecherei.
Verärgerung hinter vorgehaltener Hand
Das war harter Tobak für viele Kardinäle und Bischöfe im Vatikan. Mit Samthandschuhen hatte Franziskus die Kurie zwar nie angefasst. Aber eine derart beißende Schelte vor versammelter Mannschaft, und das vor Weihnachten, machte dann doch viele sprachlos; so mancher hohe Würdenträger fühlte sich ungerecht beurteilt und reagierte verärgert - zumindest hinter vorgehaltener Hand.
Franziskus brach auch hier mit einer Tradition. Sein Vorgänger Benedikt XVI. (2005-2013) hatte die Ereignisse des Jahrs Revue passieren lassen oder einen theologischen Vortrag gehalten. Er sprach über Auslandsreisen, Enzykliken oder das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965). Ursprünglich hatte Benedikt XVI. nach Aussage eines engen Mitarbeiters seinen Rücktritt bereits in der Weihnachtsansprache 2012 mitteilen wollen. Der Hinweis, dass er damit die Stimmung nicht unbeträchtlich trüben würde, soll ihn jedoch davon abgebracht haben.
Einer der wenigen Zuhörer, die sich 2014 öffentlich zur Weihnachtsansprache des Papstes äußerten, war der italienische Kardinal Giovanni Lajolo. So etwas sei bisher noch nie vorgekommen, sagte der frühere Vatikanbotschafter einer italienischen Zeitung. Zugleich nahm er Franziskus jedoch vor Kritik in Schutz. Der Papst habe nicht nur von seinen Mitarbeitern Verbesserungen verlangt, sondern sich zu allererst für seine eigenen Unzulänglichkeiten entschuldigt.
Selbstkritische Rückschau bei Jesuiten üblich
Die Suche nach Erklärungen begann. Warum geht der Papst mit seinen Mitarbeitern so hart ins Gericht? Fachleute und Nichtfachleute meldeten sich zu Wort. Ein solches Verhalten sei aus Sicht der Motivationsforschung ganz und gar kontraproduktiv, hieß es. Einige im Vatikan erklärten die päpstliche Standpauke damit, dass Franziskus Jesuit sei. Bei den Jesuiten sei es Tradition, zu besonderen Anlässen selbstkritisch Rückschau zu halten und Gewissenserforschung zu betreiben.
Linktipp: Gegen "geistliches Alzheimer"
Beim Empfang für die Kurienkardinäle und -bischöfe verzichtete Papst Franziskus auf den kirchlichen Jahresrückblick. Vielmehr nutzte er die Rede zu einer kritischen Reflexion über Funktion und Wesen der römischen Kurie.Anlass zur Kritik bot der Vatikan in den vergangenen Jahren reichlich. Ein Kardinal Tarcisio Bertone, der sich seine Wohnung im Vatikan teils auf Kosten einer Stiftung der vatikanischen Kinderklinik renovieren ließ, und ein vatikanischer Rechnungsprüfer, der sich wegen Korruption vor einem italienischen Gericht verantworten musste; schließlich ein Monsignore, der vertrauliche Unterlagen an Journalisten weiterreichte und im Juli dieses Jahres von einem vatikanischen Gericht zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Deutlich milder an Weihnachten 2015
Franziskus' Bild von der römischen Kurie sei inzwischen positiver geworden, sagt einer, der oft mit ihm zu tun hat. Auffallend war jedenfalls, dass die Weihnachtsansprache 2015 deutlich milder ausfiel. Es gab sogar Streicheleinheiten: "An der römischen Kurie gab und gibt es wirklich Heilige", sagte der Papst damals. Statt 15 Krankheiten präsentierte der Papst nun einen Tugendkatalog von zwölf Eigenschaften, die für den Dienst an der Kurie unverzichtbar seien. Doch auch diesmal redete er den Kardinälen und Bischöfen ins Gewissen: Auch 2015 seien wieder einige Kurien-Krankheiten aufgetreten. Der Papst wandte sich ausdrücklich gegen "Bestechungsgelder".
Was der Papst seinen Mitarbeitern am Donnerstag ins Stammbuch schreiben wird, darüber herrscht bislang Rätselraten in Rom. Nur eins ist sicher: Franziskus wird auch in diesem Jahr ein gesegnetes Weihnachtsfest wünschen.