"Einsiedler kann man nicht im Laden kaufen"
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Frage: Pater Hugo Beuker, warum sind Sie bislang der einzige Eremit in den Niederlanden?
Pater Hugo Beuker: Wir haben in Holland seit 1930 keine Einsiedler mehr. Die Bischöfe haben Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge des Neuthomismus die kirchliche Struktur aufgeräumt und straff durchorganisiert. Die freien Waldbrüder, wie die Eremiten auch gerne genannt werden, passten da einfach nicht in das kirchliche System. Manche Bischöfe haben sogar versucht, das Einsiedlertum zu unterdrücken.
Frage: Wie kam es dann dazu, dass Sie trotzdem Eremit wurden?
Pater Hugo: Ich wollte es einfach. Viele Menschen haben sich gewünscht, dass diese alte Lebensform wieder belebt wird und waren auch bereit, mich dabei zu unterstützen. Sie haben mir geholfen, diese alte ruinierte Kirche in Warhuizen wieder aufzubauen. Dass das geglückt ist, ist wie ein Wunder für mich.
Frage: Und was sagte der Bischof dazu?
Pater Hugo: Der jetzige Kardinal von Utrecht, Willem J. Eijk, war damals mein Bischof. Ich habe ihm von meinem Wunsch, Einsiedler zu werden, erzählt. Er hat im Jahr 2001 gesagt: "Du darfst das versuchen." Er dachte wahrscheinlich, dass das sowieso nicht klappen wird. Ich spürte allerdings schon lange diese Berufung für ein Leben als Einsiedler und ich dachte mir: "Jetzt ist meine Chance, ich muss es wenigstens versuchen." Heute im Rückblick denke ich, ich war viel zu jung dafür.
Frage: Wieso zu jung?
Pater Hugo: Normalerweise sollte man mit dem Leben als Einsiedler erst mit 35 oder 40 Jahren anfangen. Früher sollte es eigentlich nicht sein. Ich war damals 25. Aber meine Berufung hatte ich schon früher verspürt.
Frage: Wann haben Sie Ihre Berufung gespürt?
Pater Hugo: Von Kindheit an habe ich mich mit den großen Lebensfragen beschäftigt. Meine Familie war reformiert-evangelisch geprägt so wie ich auch. Ich musste zum Beispiel ganze Textstellen der Bibel auswendig lernen. Das ist normal bei Calvinisten. Dafür bin ich meinen Eltern auch dankbar. Aber es fehlten mir die Bilder, die Gerüche, es waren nur Worte. Mein Glaube fand nur im Kopf statt und das war mir zu wenig. Meine Eltern sind mit mir eines Tages zu einem Marienwallfahrtsort in der Nähe von Aachen gefahren. Diese schöne Marienkapelle dort werde ich nie mehr vergessen. Ich kann nicht gut nacherzählen, was genau da passiert ist, aber es hat mich so tief berührt, dass ich danach auf der Stelle katholisch werden wollte. Ich war 14 Jahre alt.
Frage: Eine große Entscheidung für einen so jungen Menschen?
Pater Hugo: Ja, aber ab diesem Moment interessierte ich mich für alles, was katholisch war. In der Schule las ich heimlich unter der Schulbank sämtliche kirchliche Lehrdokumente wie zum Beispiel "Lumen gentium". Schule interessierte mich nicht mehr. Das kam nicht bei jedem gut an. Meine Eltern fanden mich damals sehr schwierig. Ich war mitten in der Pubertät und ziemlich nervig, glaube ich. Die anderen Kinder liebten Pferde oder Fußball und ich liebte Gott. Ich wurde nicht ein bisschen katholisch, sondern schrecklich katholisch, verstehen Sie?
Frage: Hat sich damals auch Ihr Bild von Gott verändert?
Pater Hugo: Ich habe immer gewusst: Gott ist da. Ich war ja religiös. Aber meine Welt wurde durch den katholischen Glauben plötzlich 100 Mal größer. Ich bekam ein Verständnis von Mutter Kirche, das ich zuvor nicht kannte. Um es in einem Bild zu sagen: Das ist wie wenn man aus seinem Heimatdorf weggeht und man mit dem Zug nach Paris fährt, eine neue Welt öffnet sich. Und die katholische Welt war voll von neuen Farben und Facetten, die mich faszinierten.
Frage: Und warum wollten Sie dann nicht in Paris in einer Pfarrei, sondern in einer kleinen Einsiedelei leben?
Pater Hugo: Zuerst habe ich Theologie studiert und die Ausbildung zum Priester begonnen. Aber ich habe erfahren, dass das nicht meine Berufung ist. Nach drei Jahren bin ich da wieder raus und bin Einsiedler geworden und habe per Fernstudium meine Ausbildung beendet. Ich wurde erst später dann Pfarrer in der Wallfahrtskirche hier in Warfhuizen. Ich hatte einfach Gottes Gnade und eine Menge Glück, dass ich Einsiedler werden konnte. Aber ich habe auch schrecklich viele Fehler gemacht.
Frage: Welche Fehler denn?
Pater Hugo: Zum Beispiel beim täglichen Gebet. Wenn man jung ist, sucht man nach der idealen Form des Gebets. Doch das gibt es nicht. Man muss nur etwas Vernünftiges wählen und das dann durchhalten. Ich habe am Anfang ständig mein Gebet gewechselt. Das wurde echt verwirrend. Es gibt diesen typischen Satz der Eremiten: "Wenn du etwas Neues anfängst, dann musst du das ein bisschen durchhalten, zehn Jahre mindestens". Das ist typisch eremitisch.
Frage: Das klingt aber nach einer langen Zeit.
Pater Hugo: Für uns Eremiten ist das gar nichts. Ich bin den ganzen Tag in der Stille, da wirkt die Zeit nach draußen anders. Man macht automatisch alle Bewegungen sehr langsam und bedächtig. Draußen ist alles von Lärm, Farben und Tönen verdeckt. Ich lebe hier in meiner Einsiedelei wie unter einem Mikroskop, das Kleine wird durch die Stille ganz groß. Die Sachen wirken beeindruckend. Zum Beispiel, wenn ich eine Nadel auf den Boden fallen lasse, dann macht das für Sie keinen Lärm. Wenn ich das mache, dann klingt das wie ein Kanonenstoß.
Frage: Das klingt auch ein wenig romantisch.
Pater Hugo: Genau das ist es eben nicht. Es kommen immer wieder Bewerber für das Einsiedlertum zu mir. Bis jetzt habe ich alle abweisen müssen. Warum? Weil sie sich das Leben hier wie im Disneyland vorstellen. Als würde ich hier den ganzen Tag auf einer Weihrauchwolke herumschweben und dem Vogelgesang lauschen. So ist es nicht. Solche Menschen brauchen mehr Boden unter den Füßen, sonst kann das Leben als Einsiedler auch gefährlich werden.
Frage: Was braucht es dann, um als Einsiedler vernünftig überleben zu können?
Pater Hugo: Ich bin zufrieden mit einfachen Dingen und bin ganz nüchtern. Es gibt hier eine kleine Wallfahrtskirche, da kann man beten. Das ist mein heiliger Ort. Und ganz wichtig, es ist still hier. Das gibt es in den großen Pfarreien nicht mehr, diese Stille. Die Menschen sehnen sich nach Stille. Die finden sie hier bei mir. Ich bin wie ein Möbelstück in der Kirche. Es gibt einen Altar, es gibt Bänke und Vasen und einen, der das Wachs vom Boden kratzt. Ich mache keine Werbung fürs Eremitendasein, denn ich brauche keine Menschen, die ein schiefes Bild davon haben. Berufungen muss der gute Gott geben, denn Einsiedler kann man nicht im Laden kaufen.