Wenn das Weihwasser gefriert
Bevor Stefan Tome zur Tat schreitet, hat er Schicht um Schicht angelegt: Über mehreren Leibchen trägt er einen Pullover, darüber einen Anorak. Über die Socken kommen Pelzstiefel. So sitzt der 54-Jährige dann in diesen Wintertagen an der prächtigen Orgel der katholischen Wieskirche im bayerischen Steingaden. "In der Wies ist es immer kalt", sagt der Aushilfsorganist über die Wallfahrtskirche.
Nicht nur in der Wieskirche wird es manchen Gläubigen und Besuchern zuweilen frisch. Immer wieder ist auch andernorts von gefrorenem Weihwasser - wie im Foto - oder bibbernden Gottesdienstbesuchern zu hören - Winter für Winter. Denn zahlreiche Kirchen haben keine Heizung. Und gerade ist es in vielen Teilen Deutschlands frostig. Da sind Strumpf- oder lange Unterhosen beinahe Pflicht.
Linktipp: Glaube auf Eis
Was haben Schnee und Eis mit dem Glauben zu tun? Eine ganze Menge: Altäre, Kapellen, ja sogar Kirchen haben Katholiken aus dem kalten Baumaterial errichtet – oder wenigstens danach benannt."Unter null Grad haben wir in der Kirche", sagt Tome. "Die kalten Nächte machen sich bemerkbar." Minus 10 bis 15 Grad seien es derzeit nachts in Steingaden und Umgebung. Auch die Wieskirche habe keine Heizung, so Tome, der auch Sekretär im Pfarrbüro ist. Im Beichtstuhl und an der Orgel sorgten Infrarotstrahler immerhin für ein wenig Abhilfe. Er selber nutze an der Orgel ein Sitzkissen, unter das er hin und wieder die Hände stecke. Handschuhe trage er nicht.
Seit 250 Jahren müssten die Menschen in der Wieskirche mit der Kälte auskommen, sagt Tome. Das wüssten die Ortskundigen auch. Hin und wieder gefriere das Weihwasser, dann sorge der Mesner dafür, dass es flüssig werde. Dass wegen Kälte einmal eine Messe ausgefallen sei, daran könne er sich nicht erinnern, sagt Tome. Die Temperaturen schreckten viele Menschen nicht ab. "Wer in die Wies kommt, kommt auch so", ist er überzeugt.
Mehr oder weniger gute Wärme-Lösungen
Wer nach Wärme in den Kirchen ruft, wird von Erzdiözesanbaumeister Martin Struck aus Köln enttäuscht. Kürzlich erläuterte er im Kölner domradio einen Interessenkonflikt: Einerseits wollten die Gläubigen vor Kälte nicht zittern, andererseits könnten höhere Temperaturen der Ausstattung von Gotteshäusern schaden. "Die Heizung in Kirchen gibt es ja erst seit rund 150 bis 180 Jahren. Früher war Heizen völlig unüblich, Kirchen sind keine Wohnzimmer, das sind öffentliche Räume, wie Marktplätze", so Struck. Der Kölner Dom, das Weltkulturerbe, sei zum Beispiel nicht beheizt. So ein großes Volumen könne man "gar nicht vernünftig" erwärmen. "In anderen Kirchen wird das mit Warmluftheizungen mehr oder weniger gut gelöst", erklärt Struck. "Der Nachteil dieser Heizung ist, dass die hölzerne Ausstattung - dazu gehören die Orgel, Werke, das Mobiliar, Skulpturen und vor allen Dingen Bilder - leidet, wenn ich an kalten Wintertagen zu hoch heize." Daher sei statt Heizen das Temperieren zu empfehlen.
Wenn es draußen kälter wird, ziehen in manche Gotteshäuser ungebetene Gäste: Fliegen. Zuweilen ist in Deutschland, aber auch Frankreich und Belgien von regelrechten Plagen im Herbst zu hören. Im September musste etwa in der katholischen Kirche des Dorfes Reifenberg im Landkreis Südwestpfalz der Schädlingsbekämpfer anrücken. Ein Experte aus der Branche vermutete: "Es kann gut sein, dass die Fliegen einen vor Frost geschützten Platz als Überwinterungsquartier suchen."
Während es den Fliegen nach dieser Theorie gerade nicht zu kalt in der Kirche ist, müssen sich Gläubige anders helfen. "Zieht euch warm an", lautet das ganz praktische Rezept von Aushilfsorganist Tome aus der Wieskirche. Am besten solle man neben dem Gotteslob auch ein Sitzkissen einpacken. Erzdiözesanbaumeister Struck weist darauf hin, das vor allem älteren Menschen schneller kalt werde.
Bankheizungen seien perfekt, so Struck. "Die Wärme ist direkt da, wo der Körper sie braucht." Sie würden elektrisch betrieben. "Das geht anders noch nicht, aber man spart auch Energie, wenn man nur diesen kleinen Bereich temperiert und nicht die ganze Kirchenluft einheizt." Denkbar sei auch: "Man kann vielleicht in den Winterwochenenden kürzer predigen oder Glühwein hinterher oder vorher austeilen."