Weil Kirche mehr kann
Die Schlange vor dem Eingang ist geschätzte zehn Meter lang. Wer sich kennt, begrüßt sich gut gelaunt. Alle wollen hier am Montag zu einem zweitägigen Kongress, in dem es um Kirche und Glaube geht. Ein paar ältere Herrschaften bemerken wohlwollend die vielen jungen Leute. Wer den Weg ins Innere der Ruhr-Universität geschafft hat, steht prompt vor einem großen Plakat: "Weil Kirche mehr kann".
Was dieses "mehr" bedeutet und vor welchen Veränderungen die Kirche steht, darüber wollen bis Dienstag Vertreter aus deutschen, österreichischen und schweizerischen Bistümern sprechen. "Setzen wir uns geistig den gelben Helm auf und begeben uns auf die Baustelle, die wir Kirche nennen", sagt zur Einstimmung der Direktor des Zentrums für Angewandte Pastoralforschung (ZAP) in Bochum, Matthias Sellmann. Das ZAP hat die Veranstaltung auf die Beine gestellt. Gleich zu Beginn wird bekanntgegeben, dass das ZAP ab April einen zweiten Standort in Freiburg haben wird und den Standort in Bochum ausbauen möchte.
Linktipp: Nachfolgen heißt heute: vorangehen
Sinkende Kirchenbesucherzahlen und Priestermangel schüchtern den Pastoraltheologen Matthias Sellmann nicht ein. Er wirbt für ein radikales Nachdenken über kirchliche Innovationen. (Artikel von Oktober 2016)Die rund 450 Teilnehmer des Kongresses hätten die Chance, hier das "Hirn zu lüften", sagt Sellmann. "Kirche in unseren Breiten ist im Umbau." Nun müsse sie in die Zukunft gedacht werden. "Für eine Kirche, die Platz macht" lautet das Motto des Kongresses. "Vieles wird heute von Leere geprägt", beklagt Sellmann mit Blick auf Gotteshäuser, Priesterseminare oder Pfarrheime. Damit das nicht so bleibe, müsse die Kirche eine "Komfortzone" verlassen - damit "das Schiff, das sich Gemeinde nennt", nicht nur als "Ausflugsbötchen" daherkomme, so Sellmann.
Das Kirchenjahr ist keine Folklore
Eine Möglichkeit wäre seiner Meinung nach, dass Kirche die Chance einer "neuen Präsenz" nutzt. Soll heißen: Kirche ist Sellmann zufolge auch dem Säkularen verpflichtet. So könne etwa ein Ziel des Bistums Essen sein, dass es dem Ruhrgebiet besser gehe. Das Kirchenjahr beispielsweise müsse nicht mehr als eine Art Folklore betrachtet werden, sondern als "Vorschlag für ein spirituell fundiertes Zeitmanagement", erläutert Sellmann. Das "Wort zum Sonntag" könne eine Chance sein, auf einen Youtube-Kanal zum Thema Glaube und Kirche aufmerksam zu machen. Wichtig seien insgesamt mehr Freiheit und Entfaltung.
Mit konkreten Wünschen ist Joachim Köhn, Pastoralverantwortlicher im Bistum Basel, aus Solothurn angereist. In der Schweiz würden derzeit Pfarreien zu größeren Zusammenschlüssen verbunden. Und nun landeten auf seinem Schreibtisch entsprechende Pastoralkonzepte, berichtet Köhn. Auf dem Kongress wolle er Instrumente kennenlernen, um die Arbeit noch besser zu machen.
Und nicht zuletzt sei ihm der Austausch mit den anderen Gästen wichtig, betont Köhn. Denn auch in der Schweiz sei es schwierig, Nachwuchs für die kirchliche Arbeit zu gewinnen. Das Problem: "Das Volk Gottes wird immer dünner." Köhn sagt, er würde es begrüßen, wenn in Gemeinden Laien mehr Aufgaben übernehmen könnten. "Daran muss man mehr arbeiten." Um Menschen für den Glauben und die Kirche zu gewinnen, brauche es spannende Geschichten und eine gute Dramaturgie, ist Christian Schröder aus dem Bistum Aachen überzeugt. Er ist Pastoralreferent und leitet auf dem Kongress einen Workshop zur Frage, wie man den Glauben so weitergeben kann, dass die Menschen dabei bleiben.
"Es darf nicht sein, dass wir so schlecht weitererzählen wie bisher", betont Schröder. Mitunter werde langweilig mit vielen Wiederholungen und Floskeln erzählt - "unabhängig vom Weihegrad". Wie sollte also verkündet werden? Um in dieser Frage weiterzukommen, empfiehlt Schröder Laien und auch Priestern, sich durchaus auch einmal an Drehbuchschreibern, Liedermachern oder Poetry-Slamern zu orientieren.