"Über den Tag hinausdenken"
Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, begründete Zollitsch die Entstehung des Textes: Die verschiedenen ökonomischen Krisen der vergangenen Jahre seien für die Kirche Anlass gewesen, sich nach 1997 wieder gemeinsam zu Wort zu melden, um eine breite Diskussion über unsere Wirtschafts- und Sozialordnung anzustoßen.
"Deutschland musste vergleichsweise weniger Einschränkungen durch die Krisen hinnehmen als viele andere Länder", erklärte der Erzbischof. Die aktuell günstige Lage der Bundesrepublik dürfe aber keinesfalls dazu verleiten, sich in falscher Sicherheit zu fühlen und falsche Weichenstellungen vorzunehmen. Die Kirchen wollten anregen, stärker über den Tag hinauszudenken, so der DBK-Vorsitzende. Denn: "Unsere Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft umfasst eben nicht nur das Heute."
Grundlegende gesellschaftliche Transformation
Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider betonte: "Wir brauchen eine grundlegende gesellschaftliche Transformation, um bedrohliche Veränderungen menschenfreundlich und lebensdienlich zu gestalten." Viele Menschen fragten neu nach sozialem Zusammenhalt, nach gemeinsamen Werten in der Gesellschaft, nach Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Diese Debatte werde nicht nur in der Politik, sondern auch in den Kirchen und zwischen den Kirchen geführt.
"Gottes Wort ruft uns dazu auf, für die Wahrung der Würde der Einzelnen und ein Zusammenleben in Gerechtigkeit und Frieden einzutreten", so Schneider weiter. Kirchen seien nicht allein dem jenseitigen Seelenheil der Menschen, sondern auch ihrem diesseitigen Wohl verpflichtet. "In unserer sozialpolitischen Verantwortung können wir uns dabei auf breite Erfahrungen von Diakonie und Caritas stützen."
In der ökumenischen Sozialinitiative werden zehn Aspekte einer gerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dargestellt. "Die zehn Thesen unseres Papiers beschäftigen sich mit der Fortentwicklung unserer sozialen zu einer ökosozialen Marktwirtschaft", erklärt Schneider. Die Anregungen würden jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, ergänzt Zollitsch. Das zentrale Anliegen der Sozialinitiative sei vielmehr der Appell an alle Christen und Menschen guten Willens, sich an der Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft zu beteiligen und sich aktiv für die notwendigen Veränderungen einzusetzen.
Leitmotiv: Gemeinsame Verantwortung
Leitmotiv des Textes sei die gemeinsame Verantwortung auf den verschiedensten Ebenen und Bereichen des Lebens, erklärt der Erzbischof. "Primär zielt dieser Auftrag zur gemeinsamen Verantwortung auf die institutionellen Verantwortungsträger in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft." Damit solle aber nicht ausgesagt werden, dass die einzelnen Bürger nicht zu dieser Verantwortungsgemeinschaft gehören. Gemeinsame Verantwortung betreffe deshalb sowohl die institutionellen Verantwortungsträger als auch jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger.
Das Verfahren der ökumenischen Sozialinitiative setzt auf eine breite Beteiligung sowohl gesellschaftlicher Gruppen und kirchlicher Verbände als auch Einzelner. Die katholische und die evangelische Kirche setzen deshalb auf ein offenes Diskussionsforum, in dem sich die verschiedenen Gruppen wie auch interessierte Einzelpersonen zum Text äußern können. Zu diesem Zweck wurde mit der Veröffentlichung des Papiers auch die Internetseite www.sozialinitiative-kirchen.de freigeschaltet. Die Seite, die auch von katholisch.de betreut wird, soll als Plattform für Diskussionen zur Sozialinitiative dienen.1997 war das Gemeinsame Wort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" veröffentlicht worden. (bod)