Ansturm auf Spaniens afrikanische Städte
Nirgendwo sonst sind sich Afrika und die EU näher als in diesen beiden Städten: Die meterhohen Zäune um die von Marokko umschlossenen spanischen Exklaven Ceuta und Melilla markieren die einzigen Landgrenzen zwischen europäischem Territorium und dem Kontinent im Süden. Nun drohen die beiden Relikte kolonialer Vergangenheit immer mehr zu Brennpunkten der Migrationskrise zu werden. Vor allem die 85.000 Einwohner zählende Hafenstadt Ceuta sah sich zuletzt mit mehreren Massenanstürmen von Afrikanern konfrontiert, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in spanisches Staatsgebiet eindringen wollten.
Die "Subsaharianos", wie die Einwohner der ärmlichen Region südlich der Sahara genannt werden, kommen nicht selten bewaffnet. Mit Knüppeln, Eisenstangen, Steinen und Heckenscheren versuchen sie, sich den Weg freizukämpfen und die Grenzanlagen zu überwinden. Die Behörden beschreiben das Vorgehen als "gewalttätig und organisiert". In der Nacht zu Montag lieferten sich an Ceutas Grenze 700 junge Männer eine regelrechte Schlacht mit Sicherheitskräften. Etwa der Hälfte gelang es nach Angaben des Roten Kreuzes, europäischen Boden zu erreichen. Erst am Freitag waren 500 Migranten über den Zaun geklettert. Die Kapazitäten der Erstaufnahmeeinrichtung, die über 512 Plätze verfügt, sind bereits um das Mehrfache überschritten.
Hoffnung auf ein besseres Leben
Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren, zeigen diejenigen, die es bis dorthin geschafft haben: Als sie spanisches Gebiet erreichen, reißen sie sich euphorisch die Kleider vom Leib und skandieren "Danke Spanien!" und "Freiheit, Freiheit". Doch die Freude ist verfrüht. Spanien hat nämlich keineswegs den Ruf, illegal eingereiste Migranten mit offenen Armen zu empfangen. Hilfsorganisationen kritisieren, dass die meisten Asylanträge abgelehnt würden. Die Zustände in den Aufnahmezentren in Ceuta und Melilla seien menschenunwürdig. Zudem gebe es für die Insassen weder ausreichende finanzielle Hilfe noch die Aussicht auf eine feste Bleibe. Für viele der Ankömmlinge ist Spanien daher nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in andere EU-Länder. Im vergangenen Jahr verzeichnete das Königreich gerade einmal 17.000 Asylanträge.
Linktipp: Auf der Flucht
Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf der Themenseite "Auf der Flucht".Auch die katholische Kirche übt Kritik an der Migrationspolitik der spanischen Regierung. Viele der jungen Männer, die nach Ceuta oder Melilla strebten, hätten keine Waffen, sondern "nichts als Hunger, Kälte und Schmutz" bei sich, sagte kürzlich der Erzbischof von Tanger, Santiago Agrelo. Der Geistliche sprach "von einem Krieg der Ungerechtigkeit gegen die Armen". Der spanische Jesuit und Migrationsforscher Alberto Ares Mateos äußerte sich am Dienstag gegenüber dem ZDF ebenfalls bestürzt über die Entwicklung in den spanischen Exklaven. "Zum Teil beobachten wir Gewalt gegen Flüchtlinge, zum Teil unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei", sagte er. Die Realität an der südlichen Grenze Spaniens sei "dramatisch". Eine einfache Erklärung für die jüngsten Vorfälle habe er aber nicht.
Streit mit der EU
In spanischen Medien wird derweil über einen politischen Hintergrund der Grenzstürmungen spekuliert. Denn Marokko, das Ceuta und Melilla seit seiner Unabhängigkeit 1956 für sich beansprucht, befindet sich derzeit im Streit mit der EU. Es geht um ein neues Handelsabkommen und den nach wie vor ungeklärten Status der spanischen Westsahara-Kolonie. Die hatte Marokko 1975 besetzt und betrachtet sie als Teil seines Staatsgebietes. Die Migrationskrise, so die Spekulationen, könnte nun von Rabat als Druckmittel ausgenutzt werden. Schließlich schirmen marokkanische Sicherheitskräfte ihre Seite des Grenzzauns für gewöhnlich strikt ab. Und jetzt gab es gleich zwei erfolgreiche Anstürme binnen weniger Tage. Hinzu kommt, dass Vertreter der marokkanischen Regierung unverhohlen mit einem Flüchtlingsstrom gedroht haben, sollte es keine Einigung mit der EU geben.
Unterdessen wächst die Sorge bei Spaniens Caritas, die gemeinsam mit anderen kirchlichen Akteuren Migranten in und außerhalb der spanischen Exklaven betreut. "Unsere Machtlosigkeit nimmt zu", hieß es in einem Positionspapier. In diesem ist auch die Forderung nach einem neuen Grenzmanagement enthalten: "Wir brauchen ein Modell, das sich nicht nur auf Sicherheit konzentriert." Stattdessen sollten der Respekt vor dem Leben, die Unversehrtheit der Betroffenen und die Menschenrechte verpflichtend sein.