Die Frage nach Gott ist offen
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Ein Freund rief bei mir an. Er hat - im Unterschied zu mir - Martin Scorseses neuen Film "Schweigen" schon gesehen und ist verstört herausgegangen. Mir ging es ähnlich, als ich während meiner Noviziatszeit Shusaku Endos Roman las, der ja die Vorlage zu diesem Film ist. Seitdem haben mich immer wieder die Bilder der schrecklichen Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts verfolgt, bis in die Träume hinein. Aber mich hat auch die Bekenntnistreue der gemarterten Christen tief beeindruckt sowie das Problem der Treue zum bzw. des Abfalls vom Glauben; brennend vor allem die Frage, ob solch eine Bekenntnisfestigkeit überhaupt verlangt werden kann (passivum divinum), oder ob es nicht auch einen barmherzigen Blick auf Apostasie geben muss.
Der Roman gibt keine eindeutige Antwort. Im Gegenteil: Er verkompliziert die Frage, indem er sie verquickt mit dem spannungsreichen Verhältnis von Mission und Kultur. Der portugiesische Jesuit Rodrigues, der schließlich dem Glauben abschwört, erscheint als Repräsentant eines Christentums, das an Japan scheitert, weil es sich von seiner europäisch-westlichen Gestalt nicht lösen kann: "Sie sind keineswegs von mir besiegt worden, Padre. Sie sind von dem Sumpf namens Japan besiegt worden." So formuliert es der siegreiche Inoue. Oder ist es vielleicht umgekehrt - dass der "Sumpf namens Japan" nicht empfänglich ist für das Christentum? Dagegen spricht nun wieder die Inbrunst und Krisenfestigkeit, mit der gerade in Japan das Christentum von vielen aufgenommen wurde, seit Franz Xaver 1549 in Kagoshima landete. Und: Gibt es das überhaupt? Für das Christentum unempfängliche "Sümpfe"? Auch diese Frage hält der (katholische und japanische) Romanautor Shusaku Endo offen.
Ja, der Roman verstört. Der Film offensichtlich auch. Also scheint die Verfilmung gelungen zu sein. Es bleiben die Fragen: Die Geschichte des Christentums ist bis heute ohne eine Geschichte der Martyrien nicht erzählbar und verstehbar, Martyrien, die etwas völlig anderes sind als die aktuellen Suizidmorde mit ihrer anmaßenden "Theo"-Logie. Und: Glaubensabfall - wenn man diesen belasteten Begriff einmal so stehen lassen darf für den jesuitischen Protagonisten des Romans - ist nicht in erster Linie ein moralisches Problem. Vielmehr lauert dahinter die Frage nach Gott, die kein Mensch bloß als Filmzuschauer und Bücherleser für sich beantworten kann und können wird. Die Frage nach Gott ist offen. Sonst wäre sie keine Frage. Jesus stellte sie auch. Shusako Endo und Martin Scorsese erinnern uns daran.