Die gemeinsame Suche nach der Versöhnung
Die Rede von der "Heilung der Erinnerung" (englisch "healing of memory") stammt ursprünglich aus einem politisch-gesellschaftlichen Kontext, nämlich der Aufarbeitung des Unrechts des Apartheid-Systems in Südafrika. "Kirchenvertreter haben bei diesem politischen Versöhnungsprozess eine nicht unwichtige Rolle gespielt", heißt es in dem "Gemeinsamen Wort zum Jahr 2017" der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit dem Titel "Erinnerung heilen - Jesus Christus bezeugen".
Ziel der von Präsident Nelson Mandela 1996 eingesetzten "Wahrheits- und Versöhnungskommission" unter Vorsitz des anglikanischen Erzbischofs Desmond Tutu war es, Opfer und Täter aller Volksgruppen unabhängig von der Hautfarbe der Täter in einen Dialog zu bringen und damit eine Grundlage für die Versöhnung der zerstrittenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen.
Südafrika als Vorbild für andere Staaten
Die Aufarbeitung in Südafrika war Vorbild für ähnliche Prozesse in anderen Ländern. So erinnert das "gemeinsame Wort" der Kirchen an ein Projekt im rumänischen Siebenbürgen zwischen 2004 und 2007, an dem die dortigen Kirchen beteiligt waren. Auch in Nordirland, Serbien, der Ukraine, der Slowakei und Finnland fanden solche außergerichtlichen Aufarbeitungen statt.
Linktipp: Diesmal soll es anders werden
Bisherige runde Jahrestage der Reformation nutzten beide Seiten, um die Gräben zwischen den Kirchen zu festigen. Nicht so 2017: Zum großen Jubiläum haben beide Konfessionen ein gemeinsames Geleitwort herausgeben. An dessen Ende steht jedoch eine nüchterne Erkenntnis. (Artikel von September 2016)Ein konkretes Vorbild für den bevorstehenden Versöhnungsgottesdienst gab es 2010 bei der 11. Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds (LWB) in Stuttgart. Dabei baten die Lutheraner die Mennonitische Weltkonferenz während eines Gottesdienstes um Vergebung für das den "Wiedertäufern" in der Reformationszeit und danach angetane Unrecht.
Erinnerung an die Vergebungsbitte Johannes Pauls II.
Das vom LWB und dem Päpstlichen Einheitsrat 2013 veröffentlichte Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft" erinnert auch an die Vergebungsbitten von Papst Johannes Paul II. im Zusammenhang mit der Feier des Heiligen Jahres 2000. "Er hat als Erster nicht nur sein Bedauern wiederholt wie sein Amtsvorgänger Paul VI. und wie die Konzilsväter im Hinblick auf die schmerzhaften Erinnerungen, sondern ist weiter gegangen. Er bezog die Bitte um Vergebung auch auf das Amt des Bischofs von Rom", heißt es in dem Grundlagenpapier für ein gemeinsames Reformationsgedenken 2017.
Dieses Dokument ist - wie in Deutschland das bereits erwähnte gemeinsame Wort von EKD und Bischofskonferenz - seinerseits eine Frucht eines mehrjährigen Arbeitsprozesses. Zu beiden Texten gehört ein entsprechender Liturgie-Entwurf, der nicht nur auf zentraler Ebene - am 31. Oktober 2016 im schwedischen Lund mit Papst Franziskus und der LWB-Spitze und nun für Deutschland in Hildesheim - verwendet werden soll, sondern auch für entsprechende Feiern auf der Ebene der Bistümer und Landeskirchen beziehungsweise der Kirchengemeinden.
Solche dezentralen Feiern sind nicht einfach eine Wiederholung, sondern haben ihren spezifischen Sinn, geht es doch nicht einfach darum, sich für die Schuld früherer Generationen gleichsam ein für alle Mal zu "entschuldigen", sondern die fortwirkenden "Wunden" der Vergangenheit heilen zu lassen, die immer auch regionale und lokale Besonderheiten aufweisen.
Im "Gemeinsamen Wort" heißt es dazu: "Die Heilung der Erinnerungen ist ein Prozess. Die Beteiligten verabreden für einen bestimmten Zeitraum regelmäßige Begegnungen, auf denen sie sich gegenseitig ihre Geschichten erzählen und so in ihre unterschiedlichen und oft gegensätzlichen Erinnerungslandschaften hineingehen. So hören und sehen sie mit den Ohren und Augen der jeweils anderen. Sie machen sich klar, was die anderen erlitten, was die einen den anderen angetan haben. Sie suchen gemeinsam nach Versöhnung."
Vernarbte Wunden schmerzen nicht mehr
Es gehe nicht darum, so heißt es weiter, die Geschichte umzuschreiben, sondern darum, dass "die Verletzungen aus der Geschichte vernarben" könnten. "Eine Wunde ist geheilt, wenn sie nicht mehr verbunden werden muss und nicht mehr schmerzt - und man die Narben, die sie womöglich hinterlassen hat, berühren kann, ohne dass es weh tut. In diesem Sinne setzen wir auf eine Heilung der Erinnerungen."