Kloster Lorsch forscht in der eigenen Geschichte

Die Knochen der toten Mönche

Veröffentlicht am 20.03.2017 um 08:30 Uhr – Lesedauer: 
Ausstellung

Lorsch ‐ Knochen können viel verraten. So hat sich die Unesco-Welterbestätte Kloster Lorsch darangemacht, Informationen aus menschlichen Knochenmaterial zu gewinnen. Erste Ergebnisse werden nun ausgestellt.

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Aus etwa 200 Knochen besteht das Skelett eines Menschen. Sie stützen. Sie schützen - zum Beispiel der Schädelknochen das Gehirn. Sie sind Ansatzstellen für Muskeln, in ihnen werden Blutzellen produziert. Aber nicht nur das: Dank wissenschaftlichem Fortschritt helfen Knochen auch dabei, Verbrechen aufzuklären - und sie gewähren Einblick in das Leben von Menschen längst vergangener Zeiten. Das macht sich jetzt die südhessische, zwischen Rhein und Odenwald gelegene Unesco-Welterbestätte Kloster Lorsch zunutze.

Anno 764 gegründet, ist die Geschichte des Benediktinerklosters Lorsch eine von Aufstieg, Ruhm und Niedergang. Von der einstigen Klosteranlage erhalten blieben nur ein romanischer Kirchenrest, die Ringmauer und die Königshalle, die als eines der bedeutendsten Zeugnisse frühmittelalterlicher Architektur gilt. Grabungsfunde aus nun nahezu 200 Jahren archäologischer Grabungsgeschichte am Kloster Lorsch versammelt das dortige "Schaudepot Zehntscheune". In ihm ist ab Sonntag bis 14. Mai auch die Sonderausstellung "Begraben und vergessen? Knochen erzählen Geschichte" zu sehen.

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Der Name gilt als rätselhaft, seine Herkunft liegt im Dunkeln: Lauresham. Wie auch immer: Der Ortsnamen Lauresham findet sich in der aus dem Jahr 764 datierenden urkundlichen Ersterwähnung des Klosters Lorsch, belegt in dem gegen Ende des 12. Jahrhunderts zusammengestellten "Codex Laureshamensis", dem "Lorscher Codex". Lauresham ist Lorsch. (Artikel von Juli 2014)

Nach Angaben der Welterbestätte förderten archäologische Grabungskampagnen in den vergangenen 120 Jahren über 100 Bestattungen zutage. Ging es bislang vor allem um die Erforschung von Bauskulptur und Bausubstanz, so soll in den kommenden Jahren das gesicherte menschliche Knochenmaterial einer umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen werden. Damit befasst sich seit dem vergangenen Sommer ein naturwissenschaftlich-anthropologisches Forschungsprojekt der Welterbestätte in Zusammenarbeit mit den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen und dem dortigen Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie.

Das Gesicht eines Mönches aus dem 10. Jahrhundert

Die Erforschung der Skelettreste soll Antworten geben auf Fragen wie: Wie alt wurden die Bewohner des Klosters? Was hatten sie für Krankheiten? Welchen Arbeitsbelastungen waren sie ausgesetzt? Aus welchen Regionen kamen sie? Wie ernährten sie sich? Wie sahen sie aus? Erste Ergebnisse versammelt die aktuelle Sonderausstellung. Eines der Exponate ist die 3D-Rekonstruktion des Gesichts eines in Lorsch begrabenen und zum Zeitpunkt seines Todes etwa 35 bis 40 Jahre alten Mönchs, der dort zwischen 888 und 966 lebte.

In der Ausstellung werden unterschiedliche Methoden zur Analyse des Knochenmaterials - DNA-Analyse, Isotopenanalyse, Radiokarbonmethode - und bisher gewonnene Erkenntnisse über die mittelalterlichen Lebensumstände vorgestellt. Ans Licht gebracht wurden die Überreste aus dem sogenannten Mönchsfriedhof, aus dem Kircheninnern, wo Äbte und Adelige ihre letzte Ruhestätte fanden, aus Gräbern von Männern, Frauen und Kindern rund um die Königshalle und aus dem sogenannten Spitalfriedhof.

Gesichtsrekonstruktion eines etwa 35–40 Jahre alten Mönchs aus dem Kloster Lorsch
Bild: ©UNESCO Welterbe Kloster Lorsch

Gesichtsrekonstruktion eines etwa 35–40 Jahre alten Mönchs aus dem Kloster Lorsch, der zwischen 888 und 966 n. Chr. gelebt hat.

Die Schau, zu der es einen reich bebilderten Begleitband gibt, holt aus der Vergangenheit etwa hervor, dass es damals in Lorsch keinen Nahrungsmangel gab - es aber mit der Mundhygiene nicht zum Besten stand. Massive Zahnsteinbildung führte zu Zahnfleischentzündungen und damit einem frühen Ausfall von Zähnen. Häufig feststellbare Abnutzungen an Gelenkflächen sind nach Angaben der Wissenschaftler teils altersbedingt, lassen aber auch auf harte Arbeit schließen.

Die Ausstellung versammelt rund 50 Exponate: Schädel, Kniescheiben, Oberschenkelknochen. Da gibt es ein gesundes und ein verbogenes Kreuzbein, ein von Arthrose betroffenes Schultergelenk, da ist die Verwachsung dreier Brustwirbel zu sehen. Fotos dokumentieren die Freilegung von Bestattungen. Eine Schautafel widmet sich der Frage "Tote - Ruhe - Störung?" Auf ihr ist von einem sensiblen und respektvollen Umgang mit den Ausstellungsstücken die Rede und davon, dass es nicht um ein auf Effekthascherei ausgerichtetes Zurschaustellen gehe.

Für Wilfried Rosendahl, Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen, ist Lorsch ein "unglaubliches Bio-Archiv". Gemeinsam mit dem Kurator der Ausstellung, Claus Kropp, leitet er das Forschungsprojekt. Das hat einen Namen: "Memoria - Vergessenen ein Gesicht geben". Diese Zielsetzung und die Ausstellung sind Grund genug, die im Titel der Schau "Begraben und vergessen?" gestellte Frage zu verneinen.

Von Peter de Groot (KNA)