Jetzt hat Erdogan die Christen im Visier
Vor der Abstimmung am 16. April über die Verfassungsreform erlaubt sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zunehmend Attacken auf seine innenpolitischen Gegner und Kritiker im Ausland, besonders in Deutschland. Mit Verdächtigungen von Christen in der Türkei oder Angriffen auf Kirchen hat sich Erdogan bisher zurückgehalten - doch damit ist jetzt Schluss.
"Optimale" Lage von Christen in der Türkei?
Auf einer Großkundgebung in Ankara beschimpfte er Papst Franziskus als Chef einer "Kreuzritter-Allianz" von EU-Politikern, die "lammfromm zu seinen Füßen saßen und ihm zuhörten". Damit spielte Erdogan auf den Empfang im Vatikan zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge von 1957 an. Und er drohte: "So Allah will, wird das türkische Volk, werden 80 Millionen Muslime den Anführern des Westens die größte Lektion erteilen."
Zuvor hatte Erdogan in Istanbuls Armenviertel Gaziosmanpasa die angebliche Verfolgung seiner muslimischen Landsleute in Mitteleuropa mit der "optimalen" Lage von Christen in der Türkei verglichen. Diese seien in keiner Weise bedrängt. Bei seltenen Ausnahmefällen gehe man "hart gegen die Verantwortlichen vor". Unterschwellig klang Erdogans Drohung an, mit seinen christlichen Untertanen bald anders umzuspringen, sie als Geiseln für westliches Wohlverhalten zu behandeln.
Schon die Behauptung, dass Christen in der Türkei keine Probleme haben, ist eine von vielen Unwahrheiten. Während sich die angebliche Muslim-Verfolgung im Westen auf Schmierereien an Moscheewänden und Anpöbelungen von Burka-Trägerinnen beschränkt, werden in der Türkei Christen wirklich diskriminiert. Diözesen und Pfarrgemeinden haben kein Eigentumsrecht, dürfen nicht einmal ihre Kirchen besitzen.
In den vergangenen Jahren wurden ein katholischer Bischof und ein Pfarrer, ein türkischer Pastor, ein evangelischer Christ und der deutsche Bibel-Verleger Tilmann Geske sowie ein armenisch-orthodoxer Publizist von fanatischen Muslimen ermordet. Dabei konnte von "hartem Vorgehen" gegen die Verantwortlichen keine Rede sein: Im Fall der Protestantenmorde von Malatya im April 2007 ließ die Verurteilung der Täter bis Herbst 2016 auf sich warten, nachdem sie zwischendurch sogar freigelassen wurden. Und bei dem im Januar 2007 in Istanbul auf offener Straße erschossenen Armenier Hrant Dink ist das Strafverfahren gegen seine Mörder nach zehn Jahren immer noch im Gang.
Jetzt drohen den Christen neue Demütigungen. Erdogan will die Hagia Sophia in Istanbul - heute ein Museum - zur Moschee zu machen. Das soll nach zuverlässigen Informationen zwei Tage vor dem Referendum, ausgerechnet am Karfreitag, durch ihn persönlich mit einem islamischen Festgebet erfolgen.
Schon jetzt hat Erdogans Stellvertreter und Sprecher Numan Kurtulmus das lange verpönte Schimpfwort für Christen und Juden wieder salonfähig gemacht: Gavur, wörtlich Ungläubiger, doch im beleidigenden Sinn von "Sauchrist" oder "Saujud". Diese Herabsetzung hatten schon Reformsultane im 19. Jahrhundert verboten. Auch in vielen Wörterbüchern findet sich der Ausdruck nicht mehr. Doch nun verkündete Erdogans Vize: "Was uns das Referendum am 16. April bringen wird: Die Unabhängigkeit, mit erhobenem Haupt alle Nichtmuslime Gavur nennen zu dürfen!"
„So Allah will, wird das türkische Volk, werden 80 Millionen Muslime den Anführern des Westens die größte Lektion erteilen.“
Der 58-jährige Kurtulmus ist in der türkischen Islamistenszene kein Unbekannter. Schon als junger Uni-Dozent bezeichnete er die "christlich-westlichen Werte" als Hauptproblem in der heutigen Welt. Seine Frau Sevgi ist Gründungsmitglied des "Verbands für Frauenrechte gegen Diskriminierung" (AKDER). Er hat sich erfolgreich für die Kopftuchverbreitung eingesetzt. Nach führender Beteiligung an verschiedenen politislamischen Kleinparteien trat Numan Kurtulmus 2012 Erdogans Regierungspartei AKP bei und stieg rasch in ihre Führungsriege auf.
Christen und Juden werden beschimpft
Seiner jetzigen Christen- und Judenbeschimpfung haben sich sofort TV-Sprecherinnen und -Sprecher, die regierungsnahe Presse und unzählige Blogs angeschlossen. 2015 war nach Zählung einer türkischen Menschenrechts-Vereinigung "nur" 65 mal die Beschimpfung Gavur im Druck oder digital gewagt worden. Jetzt tönt es aber vor der Abstimmung: "Gavura vurur gibi 'Evet' mührü vuracagiz - Wie du den Gavur schlägst, so haust du dein Ja in die Abstimmungsurne."