"Amoris laetitia" bescherte der Kirche ein lebhaftes Jahr

Von Liebe und Streit und einer Fußnote

Veröffentlicht am 08.04.2017 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 
Von Liebe und Streit und einer Fußnote
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Papstschreiben

Rom ‐ Kaum ein päpstliches Dokument der vergangenen Jahrzehnte löste eine breitere Debatte aus als "Amoris laetitia". Auch ein Jahr nach der Veröffentlichung ist ein Ende nicht abzusehen.

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An sich gibt es spannendere Dokumente als nachsynodale apostolische Schreiben. "Amoris laetitia" jedoch, von Papst Franziskus vor einem Jahr, am 8. April 2016, im Nachgang zu zwei Synoden über Familienthemen veröffentlicht, fand ungeahnte Aufmerksamkeit. Wohl keine päpstliche Publikation seit "Humanae vitae" von Paul VI. (1969) wurde so kontrovers und breit diskutiert. Und die Debatte dauert an.

"Amoris laetitia" - zu Deutsch "Die Freude der Liebe" - bietet auf rund 300 Seiten viel Bedenkenswertes: zu biblischen Grundlagen der Ehe, der Berufung der Familie und ihren Platz in der Kirche. Das Interesse richtete sich jedoch rasch auf die Frage des Umgangs mit zerbrochenen Ehen und wiederverheirateten Geschiedenen. Kurzzeitig führte #AmorisLaetitia den Trend beim Kurznachrichtendienst Twitter an.

Ein Schreiben für die "Waffenruhe"?

Internationale Zeitungen kommentierten das Dokument lebhaft und unterschiedlich: Der linken "Liberation" in Paris ging die Öffnung nicht weit genug; gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen sei die Kirche weiterhin "sehr unbeweglich". Die konservative "ABC" aus Madrid dankte hingegen Kardinälen wie Gerhard Ludwig Müller und Raymond Leo Burke, dass sie "in Sachen Liberalisierung Schlimmeres verhindert" hätten. Weit daneben lag im Rückblick die "New York Times" mit ihrer Einschätzung, das Schreiben verkünde eine "Waffenruhe" zwischen Konservativen und Reformern.

Ein Kardinal, der Dokumente genau zu lesen versteht, merkte schnell, wo der Hase im Pfeffer liegt: Walter Brandmüller, früherer Chef der päpstlichen Historikerkommission. Auch ihm fiel auf, dass der Papst eine mögliche Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion andeutete - allerdings nur in einer Anmerkung und in einer Form, deren Verbindlichkeitsgrad ihm unklar zu sein schien. Brandmüller fragte, ob "eine Fußnote von circa drei Zeilen ausreicht, um die gesamten Lehraussagen von Päpsten und Konzilien zu diesem Thema umzustürzen".

Themenseite: Familiensynode

Im Herbst 2014 und 2015 haben sich zwei Bischofssynoden im Vatikan mit Ehe und Familie beschäftigt. Im April 2016 erschien dazu das päpstliche Dokument "Amoris laetitia". Die Themenseite bündelt die Berichterstattung zu den Synoden.

Seither wird innerhalb und außerhalb der Kirche über die Deutung wie auch das lehramtliche Gewicht von Fußnote 351 trefflich gestritten. Argumente, Akteure und Allianzen im Einzelnen nachzuzeichnen ist müßig. Aber in der Art, wie die Auseinandersetzung geführt wird, treten drei markante Züge in Erscheinung: die Lenkung der Debatte durch den Vatikan, die Rolle des Papstes und die Verlagerung auf eine grundsätzliche Ebene.

Die Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano" wurde zum Forum des Austauschs. Bekanntere und weniger bekannte Theologen, ja selbst der orthodoxe Patriarch Bartholomaios I. bekamen in dem altehrwürdigen Blatt Gelegenheit, ihre Sicht auf die Themen von "Amoris laetitia" darzulegen. Franziskus hielt sich derweil im Hintergrund.

Der Papst wird ungeduldig

Auf die Frage, ob es nun eine neue Chance zur Kommunion-Zulassung gebe, antwortete er im April: "Ich könnte 'ja' sagen und Punkt. Aber das wäre eine zu einfache Antwort." Ein halbes Jahr später im November klang er etwas unduldsamer. Dem Vorwurf, er sei in der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen nicht klar genug, entgegnete er, es gebe eben nicht nur Schwarz und Weiß, nur verstünden das einige noch immer nicht.

Die, die er damit wohl meinte, hatten den Streit der Interpretationen noch einmal forciert: Die Kardinäle Brandmüller, Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner baten Franziskus erst persönlich, dann im November öffentlich um Klärungen hinsichtlich der Auslegung und Einordnung von "Amoris laetitia".

Nach alter kurialer Schule unterbreiteten sie ihr Anliegen in der Form sogenannter "Dubia" (Zweifel) - in lateinisch formulierten Fragen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Also genau nach jenem Schwarz-Weiß-Schema, das aus Sicht von Franziskus in seelsorglichen Zwickmühlen selten funktioniert.

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Kardinal Walter Brandmüller übte schnell Kritik an der berühmten Fußnote 351, und wendete sich mit drei weiteren Kardinälen schließlich an den Papst mit der Bitte um Klärung.

Damit weitete sich die Debatte auch auf Leitungsstil und Führungsanspruch des Papstes allgemein aus. Unterdessen berieten Bischöfe über Umsetzungsrichtlinien für "Amoris laetitia"; sie fielen - wie in Malta - mal liberaler, oder wie in Bologna eher konservativ aus.

Mit großer Spannung erwartet wurde das Schreiben der deutschen Bischöfe, das Anfang Februar veröffentlicht wurde. Darin sprechen sie sich für eine größere Öffnung in begründeten Einzelfällen aus. "Eine Entscheidung für den Sakramentenempfang gilt es zu respektieren", heißt es in der im internationalen Vergleich relativ weit gefassten Auslegung.

Die Debatte ist noch längst nicht beendet

Allerdings betonen sie auch, dass es keinen "Automatismus in Richtung einer generellen Zulassung aller zivilrechtlich wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten" gebe. Der Gewissensentscheidung müssten eine ernsthafte Prüfung und ein von einem Seelsorger begleiteter geistlicher Prozess vorausgehen. An dessen Ende stehe "nicht in jedem Fall der Empfang der Sakramente von Buße und Eucharistie".

Auch damit ist die Debatte noch längst nicht beendet. Und sie zeigt deutlich, dass die Weltkirche an Verschiedenheit gewinnt. Wobei viele Beteiligte sicher gut daran tun, sich die Leitworte des Schreibens - "Liebe" und "Freude" - gelegentlich in Erinnerung zu rufen.

Von Burkhard Jürgens (KNA)