Streit um den Sonntagsschutz geht in eine neue Runde

Ein Dauerbrenner

Veröffentlicht am 14.05.2017 um 13:21 Uhr – Lesedauer: 
Wirtschaft

Berlin ‐ Wie viel ist der freie Sonntag wert? Darüber gibt es seit Jahrzehnten Streit. Der Handel fühlt sich durch mehrere Urteile gebremst, die Ladenöffnungen an Sonntagen untersagten. Dagegen will er nun vorgehen.

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Der Streit um den Schutz von Sonn- und Feiertagen geht offenbar in eine neue Runde. Der deutsche Einzelhandel plant eine umfangreiche Kampagne für verkaufsoffene Sonntage, berichtet die Zeitung "Welt am Sonntag".

Der Chef des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, schlägt die Einrichtung Runder Tische mit allen gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen, Kommunen und Gewerkschaften als erstem Schritt vor. Parallel ist nach Informationen der Zeitung für die nächsten Wochen ein Vorstoß von Handelsunternehmen mit dem Ziel geplant, die relativ liberale Berliner Regelung bundesweit umzusetzen. Dort dürfen Geschäfte an bis zu zehn Sonntagen pro Jahr öffnen.

Ende April hatte sich auch die FDP bei ihrem Bundesparteitag für ein Ende des Öffnungsverbots an Sonntagen ausgesprochen. "In unserer modernen, digitalisierten Lebensrealität erscheinen feste gesetzliche Öffnungszeiten antiquiert", hieß es dort.

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Der Streit um den Sonn- und Feiertagsschutz ist ein Dauerbrenner: Es geht um Arbeitnehmerrechte, Religionsausübung, Feiertagskultur und den Wirtschaftsstandort. Politische Entscheidungen und Gerichtsurteile hatten in den vergangenen Jahrzehnten einen Trend zur Aufweichung des Verkaufsverbots an Sonntagen unterstützt. Insbesondere seit der Föderalismusreform von 2006, als der Bund den Ländern die Zuständigkeit für den Ladenschluss übertrug, erlaubten zahlreiche Bundesländer zusätzliche verkaufsoffene Sonn- und Feiertage.

Wirtschaft und Handel begründen ihr Verlangen nach Liberalisierung mit geänderten Lebensgewohnheiten und einem Wunsch der Konsumenten nach stressfreiem Einkauf. Auch sollen die verkaufsoffenen Sonntage die Innenstädte beleben und den stationären Handel gegenüber dem wachsenden Online-Handel stärken. Internetnutzer können rund um die Uhr Waren bestellen. Umstritten ist, ob Sonntagsöffnungen auch zu mehr Arbeitsplätzen und mehr Umsatz geführt haben.

Gegen eine "Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft"

Kirchen und Gewerkschaften argumentieren dagegen mit dem Schutz der Arbeitnehmer und der Sorge vor einer "Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft". Der freie Sonntag habe nicht nur eine religiöse, sondern auch eine große soziale und kulturelle Bedeutung. "Ohne Sonntag gibt's nur noch Werktage", heißt etwa ein Slogan, mit dem die Kirchen gegen eine auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Gesellschaft demonstrieren. 2006 gründeten kirchliche Verbände und Gewerkschaften die "Allianz für den freien Sonntag".

Rückenwind erhielten sie 2009 durch ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Richter betonten, dass der Schutz der Sonn- und Feiertage auch andere Grundrechte schütze und daher einen hohen Stellenwert habe. Er erstrecke sich nicht nur auf die Religionsfreiheit, sondern sorge auch dafür, dass sich die Menschen erholen und ihr soziales Zusammenleben organisieren könnten.

Linktipp: Mehr Advent, weniger Einkaufen

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt - aber bitte nicht in Geschäften, wenn es nach der "Allianz für den freien Sonntag" geht. Sie setzt sich gegen verkaufsoffene Sonntage ein, besonders im Advent. (Artikel vom November 2016)

Ermöglicht würden damit auch der Schutz von Ehe und Familie sowie die Erhaltung der Gesundheit. Ein bloß wirtschaftliches Interesse genüge grundsätzlich nicht, um die Ladenöffnung an diesen Tagen ausnahmsweise zu rechtfertigen. Läden dürften sonntags nur öffnen, wenn es einen externen Anlass gibt, etwa ein Fest, eine Veranstaltung oder einen Weihnachtsmarkt.

Sonntagsöffnung braucht konkreten Anlass

Dennoch wird weiter heftig um die Sonntagsruhe gerungen: Vor allem ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2015 sorgt für Streit. Die Richter entschieden, dass Ladenöffnungen am Sonntag einen konkreten Anlass haben müssen - etwa ein Stadtfest oder eine Messe. Zugleich müsse prognostiziert werden können, dass dieser konkrete Anlass für sich genommen einen beträchtlichen Besucherstrom anzieht, der über die Besucherzahlen bei alleiniger Sonntagsöffnung hinausgeht.

Nach Überzeugung des Handels hat diese Regelung die Uhr bei der Liberalisierung der Öffnungszeiten wieder zurückgedreht. Denn Kirchen und Gewerkschaften klagten auf dieser Grundlage gegen diverse Kommunen. Münster etwa hat nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts alle 15 geplanten verkaufsoffenen Sonntage bis 2019 abgesagt. Auch in Frankfurt, München, Hannover, Wuppertal, Solingen und Remscheid wurden verkaufsoffene Sonntage kurzfristig gekippt.

Von Christoph Arens (KNA)