Hochzeit - und dann?
Nie schraubt sie die Zahnpasta-Tube zu, er lässt nach dem Rasieren seine Barthaare im Waschbecken und der volle Mülleimer ist Auslöser für eine lautstarke Grundsatzdebatte: Meist sind es die kleinen Anlässe in einer Beziehung, die zum Streit führen. Doch bevor es überhaupt so weit kommt, können Paare etwas für sich und ihre Beziehungen tun, etwa bei den Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, die es bundesweit in allen größeren Städten gibt. Denn deren Angebote sind längst nicht nur Anlaufstelle in höchster Not: "Wir sind offen für alle Themen einer Ehe oder Partnerschaft", meint Ursula Wiederspahn. "Das muss nicht die große Krise sein. Wir freuen uns, wenn Paare frühzeitig kommen, beispielsweise schon, wenn sie unzufrieden sind oder merken, dass die Beziehung sich negativ verändert hat." Die Psychologin ist Leiterin der Katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Euskirchen. "Unsere Erfahrung ist aber, dass viele die Beziehung erst in den Blick nehmen, wenn es zu gravierenden Verletzungen gekommen ist."
Dass es ein Beratungsangebot gebe, sei vielen zudem nicht bekannt. "Die meisten öffnen sich zunächst den Eltern oder Freunden", erzählt Wiederspahn. Das könne auch eine Hilfe sein. "Hier wird aber oft die eigene Sichtweise gestärkt, was manchmal dazu beiträgt, dass der Konflikt sich verschärft." Meist gebe es bei den Paaren Probleme in der Kommunikation. "Oft können sie mir sagen, wann sie sich das letzte Mal fürchterlich gestritten haben, aber nicht mehr, worüber." Hinter den sich wiederholenden kleinen Ärgernissen stecke nicht selten ein tieferliegendes Bedürfnis, das nicht gesehen werde. Als Beispiel nennt Wiederspahn die Klage über die alltäglich hinterlassene Unordnung im Bad. "Es gibt zwar die Möglichkeit, das an der Oberfläche zu klären. Aber es wäre besser, sich Zeit zu nehmen, um zu überlegen, warum einem das eigentlich so wichtig ist."
Linktipp: "Ein höheres Wohlwollen"
Vergeben und verzeihen in Paarbeziehungen: Der Mainzer Pastoraltheologe Peter Kohlgraf beantwortet im Interview die Frage, ob christlichen Paaren das Verzeihen leichter fällt - und warum es sich lohnen kann, schon im Kindesalter "Beziehungsarbeit" zu leisten. (Artikel von Februar 2015)In der Beratung frage Wiederspahn, welche Gedanken und Gefühle der morgendliche Anblick im Badezimmer auslöse. "Dann kommt manchmal eine Antwort wie 'Ich fühle mich mit dem, was ich hier leiste, völlig unbeachtet. Wie die Wäschefrau der Familie'." Daran anschließend könne man über Wertschätzung reden. "Das positive Benennen von Dingen, die wir am anderen schätzen, wird häufig mit der Zeit weniger." Doch was nicht geschätzt werde, das sei man immer weniger bereit, zu tun. "Dann scheint es irgendwann egal. Und so entsteht eine Gleichgültigkeit, die der Beziehung schadet."
Zuhören - mit viel Geduld
Darüber hinaus sei das Interesse aneinander und das gegenseitige Kennenlernen wichtig – und das nicht nur zu Beginn. "Oft reden Paare am Anfang ihrer Beziehung sehr viel miteinander", so Wiederspahn. Aber es gebe auch Dinge, über die zu diesem Zeitpunkt noch kein Gesprächsbedarf bestehe, wie etwa die Kindererziehung. "Man muss sich immer wieder ganz viel Zeit nehmen, um sich miteinander bekannt zu machen." Dazu gehöre selbstverständlich auch das Zuhören – mit viel Geduld. "Hinhören und nicht gleich werten, was der Partner sagt, sondern einfach mal etwas stehen lassen und dem Zeit geben." Oft gelänge dann eine Kommunikation mit viel weniger Härte und Aggression – eine gute Ausgangssituation, um auch das Verhalten im Alltag anzupassen.
„Je verhärteter eine Situation ist, desto eingeschränkter ist der Blick der Betroffenen.“
Alles das könne ein Paar durch eine Beratung lernen. "Der Berater kann den Blickwinkel erweitern und Sichtweisen verändern", erklärt Wiederspahn. Das geschehe beispielsweise dadurch, dass er Einstellungen und Verhaltensweisen hinterfrage, was große Chancen für das Paar berge: "Je verhärteter eine Situation ist, desto eingeschränkter ist der Blick der Betroffenen." Grundsätzlich hingen Ablauf und Inhalt der Beratungssitzung aber von den Bedürfnissen des Paares ab. "Zunächst sollen die Situation erklärt und Probleme beschrieben werden", so die Psychologin. "Es soll ein sehr ausgewogenes Gespräch sein, in dem beide Partner mit ihrer Sichtweise gehört werden." Danach würde vereinbart, was bearbeitet werde und wie es weitergehe – ob beispielsweise weitere Sitzungen gewünscht sind.
Das Angebot der Eheberatung steht allen Paaren offen, "von noch nicht fest entschieden bis über die Goldhochzeit hinaus", fasst es Wiederspahn zusammen. Man müsse nicht der Kirche nahe stehen, um einen Termin vereinbaren zu können: "Wir sind als katholische Einrichtung ein Fachdienst. Unsere Aufgabe ist daher, Menschen auf Grundlage unseres psychologischen Fachwissens zu unterstützen, wieder in Kontakt zueinander zu kommen", beschreibt sie. Glaube und Spiritualität würden auch längst nicht immer angesprochen. "Das ist ein sehr intimer Bereich, den die Partner oft nicht einmal untereinander bereden." Auf das Thema kämen die Berater jedoch in Fällen zu sprechen, in denen sie spürten, dass es da "auch noch andere Fragen" gebe: "Wenn ein Paar sehr mit seinem Schicksal hadert, weil es zum Beispiel ein Kind verloren hat, frage ich, ob es eine spirituelle Ebene gibt und was die Glaubenserfahrungen sind." Ein Glaube, den beide Partner teilten, könne nämlich nicht nur tröstend wirken, sondern auch eine Gemeinsamkeit schaffen, die das Paar in schweren Zeiten tragen könne.
"In den großen Dingen ist man sich einig, aber über die alltäglichen stolpert man", weiß auch Waltraud Koch-Heuskel. Gemeinsam mit ihrem Mann Wilfried Koch engagiert sie sich für Marriage Encounter (auf Deutsch etwa "Begegnung in der Ehe") als Paar für die Öffentlichkeitsarbeit. Die ehrenamtliche Bewegung, die in der katholischen Kirche entstanden ist, hat sich zum Ziel gesetzt, das Ehesakrament zu stärken. Die Idee: Durch Reflexion zu einem tieferen Verständnis von sich selbst und dem anderen zu gelangen und so die Beziehung zu vertiefen.
Dazu bieten die Ehrenamtlichen Wochenendseminare für Paare an: Dort erwarten die Teilnehmer ein Priester und drei erfahrene Marriage Encounter-Paare. In elf Einheiten erzählen sie Beispiele aus ihrem eigenen Leben. Dabei gehe es um verschiedenste Themen: Alltägliches, wie den Streit um den Müll, aber auch um Verletzung und Versöhnung, Zuhören und Vertrauen oder sensible Bereiche wie Sexualität und Tod. "Jedes Teampaar gibt Zeugnis, es erzählt von eigenen Erfahrungen", erklärt Wilfried Koch. Anschließend ziehen sich die Paare in ihr Zimmer zurück. Jeder Einzelne beschäftigt sich mit einer vorgegebenen Frage zum Thema, deren Antwort er aufschreibt. Danach lesen sich die Partner ihre Antworten gegenseitig vor und tauschen sich darüber aus. Ist das beendet, folgt die nächste thematische Einheit mit gleichem Ablauf. Mit den anderen Teilnehmern findet allerdings kein Austausch statt: "Alles bleibt bei den Paaren, damit sich die Partner aufeinander einlassen können", so Koch.
„Wenn man versteht, wie der andere tickt, nimmt das Dampf aus dem Kessel.“
Ein besonderes Augenmerk sollen die Paare dabei auf ihre Gefühle legen. "Durch das Schriftliche entwickelt sich eine etwas verlangsamte Kommunikation, was einen positiven Effekt hat", ist Koch überzeugt. So träten die Paare in einen vertieften Austausch. "Wenn man versteht, wie der andere tickt, nimmt das Dampf aus dem Kessel." Denn gerade unreflektierte Gefühle machten das Zusammenleben schwer: "Wir sagen immer, dass Gefühle weder gut noch schlecht sind. Man darf also ein trauriges oder ärgerliches Gefühl haben – aber man muss nicht die Türe zuknallen", so Koch-Heuskel. Auch sensible Themen anzusprechen, dazu sollen die teilnehmenden Paare ermutigt werden. Ein guter Dialog sei aber nur ein Teil des Konzepts: Zu den sogenannten drei Königswegen gehörten daneben auch die bewusste Gestaltung der Sexualität und das gemeinsame Gebet. "Diese Königswege gehören wie eine Wurzel zusammen", erklärt Koch. "Sie stärken einander und tun der Ehe gut."
Marriage Encounter habe zwar einen katholischen Hintergrund, aber auch "Paare, die nicht glauben, laden wir ein, auf ihre Weise daran teilzunehmen und zuzuhören", sagt Koch-Heuskel. An den Kursen, die es auch zur Ehevorbereitung gibt, nähmen Paare unterschiedlichen Alters teil. "Es kommen solche, die recht gut drauf sind, aber entdeckt haben, dass im Ehealltag so manches an Nähe, guten Worte und tiefen Gesprächen verloren geht", erzählt Koch. Darunter seien auch einige, die Differenzen hätten. "Aber wir machen hier keine Therapie", stellt Koch-Heuskel klar. "Wenn sich die Paare jedoch auf das Wochenende einlassen, können sie im Rahmen der Selbsthilfe Gewinn draus ziehen." Viele Paare sagen nachher, sie hätten so viele Gemeinsamkeiten entdeckt und erlebt, dass sich die Routine noch einmal aufbrechen lasse. "Liebe ist eine Entscheidung", fasst es Koch zusammen. Dabei gehe es nicht um die Schmetterlinge im Bauch sondern darum, sich immer wieder bewusst für den anderen zu entscheiden. "Dann ereignet sich das Ehesakrament jedes Mal von neuem."
Zur Person
Ursula Wiederspahn ist Psychologin und Leiterin der Beratungsstelle. Ihren Kollegen und auch ihr selbst helfe der christliche Glaube bei der Arbeit: "Wir wissen: Der Mensch, der uns da gegenüber sitzt, ist in irgendeiner Weise von Gott so gewollt." Das mache es leichter, sich für so viele verschiedene Menschen zu öffnen.
Waltraud Koch-Heuskel und Wilfried Koch sind seit 1973 und seit 1994 bei Marriage Encounter dabei. Die beiden motiviert nicht nur, dass viele Paare nach dem Wochenende beglückt wieder nach Hause fahren. "Wir beantworten selbst alle Fragen für uns und nehmen daher auch persönlich immer wieder etwas mit."