Sexualerziehung: Wie sagen es Katholiken ihren Kindern?
Der Samenleiter ist eine Autobahn, die Gebärmutter eine "Luxussuite" für einen möglichen Gast, die Eierstöcke werden zu "Schatzkästchen": Mit solchen und ähnlichen bildhaften Vergleichen arbeitet "MFM" ("My fertitility matters" oder "Meine Fruchtbarkeit ist wertvoll"), ein Programm zur Sexualaufklärung für Kinder und Jugendliche, das auf christlichen Werten basiert. Es bietet maßgeschneiderte Workshops, die den Heranwachsenden dabei unterstützen sollen, einen positiven Bezug zu ihrem Körper zu finden. "Wir wollen die Kinder mit einer Art und Weise und in einer Sprache, die ihrer jeweiligen Entwicklungsphase entspricht, für das Wunder ihrer Fruchtbarkeit begeistern", erklärt die Ärztin Elisabeth Raith-Paula, die Initiatorin des Programms.
Nach ihrer Erfahrung ist das Thema Sexualerziehung und Sexualpädagogik immer noch ein schwieriges Thema in der Gesellschaft – auch in der Kirche. Als im vergangenen Jahr in Hessen ein neuer Lehrplan in Kraft trat, der die Akzeptanz sexueller Vielfalt zum Ziel hat, wurde heftig gestritten. Lautstark drückte das Bündnis "Demo für Alle", dem sich unter anderem das "Forum Deutscher Katholiken" anschloss, seine Ablehnung aus. Es befürchtet eine Frühsexualisierung der Kinder. Der Lehrplan nehme keine Rücksicht auf Schamgefühle und die Intimsphäre von Kindern und Jugendlichen, so die Protestierenden. Und auch gegen entsprechende Lehrpläne in Bayern und Baden-Württemberg gab es von katholischer Seite Einwände.
Allgemeingültige Richtlinien gibt es nicht
Doch wer nach einer Weisung oder Lehrmeinung sucht, ab welchem Alter und in welcher Form Sexualerziehung aus Sicht der katholischen Kirche sinnvoll ist, dem wird schnell klar: Die eine Richtlinie gibt es nicht. "Ein Kochrezept werden Sie da nicht finden", sagt Annette Wermuth, die am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Ludwig-Maximilians-Universität München Seminare für Sexualpädagogik gibt.
Vielmehr gibt es eine Vielfalt von Angeboten, die in Schulen, in der Gemeinde oder Verbänden zum Einsatz kommen. Die Katholische junge Gemeinde (KJG) etwa hat die Arbeitshilfe "Erste Allgemeine Verunsicherung" entworfen. Eine 14-seitige "Konzeption für die sexualpädagogische Arbeit im Rahmen der katholischen Schwangerschaftsberatung" haben Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) gemeinsam herausgegeben. In der aufklärerischen Praxis arbeitet etwa die Fachstelle Wertorientierte Sexualpädagogik des Bistums Augsburg mit dem Projekt Teenstar zusammen, gut zehn Bistümer kooperieren mit dem Projekt MFM. Auf universitärer Ebene gibt es an der LMU für angehende Religionslehrer das Seminar "Achtsamkeitsschule Liebe und Sexualität" von Annette Wermuth und in Österreich haben gerade die ersten Absolventen den "Studiengang Leib – Bindung – Identität. Entwicklungssensible Sexualpädagogik" an der in einem eher konservativen Ruf stehenden Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz abgeschlossen.
Linktipp: Demo gegen neuen Lehrplan für Sexualerziehung
Der neue hessische Lehrplan gibt die Akzeptanz sexueller Vielfalt als Ziel vor. Die "Demo für alle" sprach von einer "Sexualerziehung mit der Brechstange" - und bekam Unterstützung von einem Bischof. (Artikel von Oktober 2016)Geht es jedoch um die aktuellen Grundlagen für katholische Sexualpädagogik, nennen die Experten das gleiche Dokument: das im vergangenen Jahr erschiene Apostolische Schreiben "Amoris laetitia" von Papst Franziskus über Ehe und Familie. In den Ziffern 280 bis 286 sagt der Papst ganz klar "Ja zur Sexualerziehung". Diese müsse den Zweck haben "zur Liebe, zum gegenseitigen Sich-Schenken" zu erziehen. Dabei müsse sie konkrete Informationen bieten, "jedoch ohne zu vergessen, dass die Kinder und die Jugendlichen nicht die volle Reife erlangt haben". Unverantwortlich sei es dagegen, "die Jugendlichen einzuladen, mit ihrem Körper und ihren Begierden zu spielen, als hätten sie die Reife, die Werte, die gegenseitige Verpflichtung und die Ziele, die der Ehe eigen sind". Die Sexualerziehung müsse ein gewisses "Schamgefühl hüten".
„Jungen und Mädchen wollen sich mit acht Jahren noch nicht gegenseitig streicheln, die wollen Bolzen oder mit den Puppen spielen.“
Früh aufklären, aber altersgerecht
Doch was heißt das nun konkret? Holger Dörnemann, Theologe und Privatdozent an der LMU in München sagt, dass verantwortungsvolle Sexualerziehung bereits "auf der Wickelkommode" beginne: "Schon, wie Eltern in den ersten Monaten und Jahren mit ihren Kindern umgehen, trägt zu einem gesunden Körper- und Identitätsgefühl bei", so Dörnemann. Auch Elisabeth Raith Paula vom Programm MFM betont, wie wichtig es ist, Kinder schon früh, aber altersgerecht aufzuklären. "Welche Inhalte man Kindern wann und mit welcher Sprache erklärt, ist entscheidend für eine gelingende Sexualerziehung", ist sie überzeugt. So seien Kinder mit 8, 9 Jahren etwa mit dem Wissen, wie der Sex bei Homosexuellen funktioniert, überfordert. Bereits die Vorstellung, sich selbst einen Tampon einzuführen, sei für viele Mädchen dann noch undenkbar: "So etwas können sich Kinder in diesem Alter einfach noch nicht vorstellen. Und das gilt es zu akzeptieren. Sonst werden Pädagogen aus wohlgemeinter Schutzabsicht übergriffig", ist sie überzeugt. Ähnlich argumentiert auch Corbin Gams, Leiter des Studiengangs Sexualpädagogik im österreichischen Heiligenkreuz: "Für Kinder sind Genitalien bis zu einem gewissen Alter noch Körperteile wie Finger, Zehen und Herz. Sie mit der Erfahrung als Erwachsene schon zu früh in einen sexuellen Kontext zu setzen, überfordert sie. Jungen und Mädchen wollen sich mit acht Jahren noch nicht gegenseitig streicheln, die wollen Bolzen oder mit den Puppen spielen".
Das Programm "My Fertility Matters", das auch häufig in Schulen zum Einsatz kommt, will die Kinder in Bezug auf ihre eigene Sexualität mit Selbstbewusstsein ausstatten, statt Gefahren wie eine ungewollte Schwangerschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Das Programm versteht Sexualerziehung nicht nur als biologische Aufklärung, sondern setzt sie auch in einen christlichen Kontext – so wird den Jungen und Mädchen etwa vermittelt, dass das Leben in dem Augenblick beginnt, in dem Ei und Samenzelle verschmelzen. Den Menschen als "bio-psycho-soziale Einheit sehen", so nennt Annette Wermuth von der LMU diesen Ansatz der Interdisziplinarität. "Nur wenn ich meinen Körper und meine Seele als wertvoll erachte, werde ich mich in meinen Beziehungen, bei aller Hingabe auch schützen", erklärt sie.
Befürchtungen, dass über Internet, Smartphones und soziale Medien ein Großteil der Kinder heute schon früh mit pornografischen Bildern oder Videos in Berührung kommt, sind aus ihrer Sicht zwar berechtigt. Die Angst, dass dadurch die sexuelle Entwicklung gestört wird, hält sie aber für übertrieben. "Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigt, dass maximal zehn Prozent der Jugendlichen übersexualisiert sind. 90 Prozent dagegen entwickeln eine normale und integre Sexualität, und sehen Geschlechtlichkeit vor allem in Verbindung mit einer intimen Freundschaft", sagt sie. Diese Minderheit bedürfe einer besonderen sexualerzieherischen Zuwendung, "jedoch leben wir keinesfalls in einer One-Night-Stand-Gesellschaft", so Wermuth. Allzu lauten Protest gegen eine vermeintliche Übersexualisierung der Gesellschaft, etwa der "Demo für alle", sieht sie deswegen kritisch: "Nach meiner Erfahrung spiegeln solche Deutungen vor allem die Ängste der Menschen wider, die sie äußern: Ängste, den intimen Bereich der Sexualerziehung der eigenen Kinder an andere abzugeben und so die Kontrolle über die Inhalte zu verlieren, mit denen sich die Kinder auseinandersetzen".
Bei einem solch emotionalen Thema gibt es auch innerhalb der katholischen Kirche durchaus Konfliktpotential – vor allem auch wegen der strengen katholischen Morallehre. So kommt mancher katholischer Religionslehrer in die Zwickmühle, wenn in der Oberstufe das Thema Liebe und Partnerschaft auf dem Lehrplan steht: "Da kommen von Seiten der Schüler natürlich schon Fragen von Verhütung und Kondomen auf. Nicht wenige Lehrer fürchten aber um ihre Missio Canonica, also um ihre kirchliche Unterrichtserlaubnis, wenn sie das Thema zu offensiv angehen", erklärt Annette Wermuth.
Heikles Thema Homosexualität
Und auch das Thema Homosexualität ist heikel: Dass der Katechismus Homosexuelle zwar achtet, das Ausleben der Homosexualität aber verbietet, dürfte nicht jedem Kind und Jugendlichen leicht zu vermitteln sein. Und auch die Reaktionen der Experten auf das Thema ist unterschiedlich: Während Annette Wermuth darauf hinweist, dass die jüngsten Päpste auch in Bezug auf Sexualität immer stärker von einer Verantwortungs- statt einer Verbotsmoral sprechen, betont Elisabeth Raith-Paula von MFM, dass sich ihr Programm auf Fruchtbarkeit konzentriere. Und Corbin Gams von der Hochschule in Heiligenkreuz erklärt, dass seines Wissens nach "eine biophysiologische Ursache von Homosexualität bislang nicht wissenschaftlich belegt wurde". Jedem Menschen solle es daher "freistehen, zum Beispiel in einem therapeutischen Kontext den Ursachen seiner sexuellen Entwicklung nachzugehen".
Doch trotz mancher Kontroversen – ein Ziel eint alle Experten: Das Thema Sexualerziehung und Sexualpädagogik aus der gesellschaftlichen Tabuzone herauszuholen, in der es sich immer noch befindet. "Es gibt viele Eltern, die eigentlich nicht gern darüber sprechen und auch viele Schulen tun sich schwer, Sexualkundeunterricht wirklich auch für alle Schulstufen vorzusehen", sagt Holger Dörnemann. Dabei spiele die Schule bei der Sexualerziehung eine immer wichtigere Rolle.