Stuttgarter Betriebsseelsorger Diakon Peter Maile über das Bahnprojekt

"Keine Parteinahme für S21"

Veröffentlicht am 20.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
heilige barbara bergleute
Bild: © Peter Maile
Stuttgart 21

Bonn/Stuttgart ‐ Deutschlands größtes Bahnprojekt läuft: Nachdem Nord- und Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs abgerissen sind, wird nun ein riesiges Loch für den eigentlichen Tiefbahnhof ausgehoben. Für die 2.000 Beschäftigten der Baustelle Stuttgart 21 stellt die Diözese Rottenburg-Stuttgart eigens einen Betriebsseelsorger . Diakon Peter Maile spricht mit katholisch.de über den Dialog mit S21-Gegnern, die Arbeitsbedingungen der (Tief-)Bauarbeiter und darüber, wann der neue Bahnhof fertig sein könnte.

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Frage: Herr Maile, in den Medien hört man inzwischen nur noch wenig über Stuttgart 21. Liegt das auch daran, dass die Proteste von S21-Gegnern mehr und mehr zurückgegangen sind?

Maile: Es gibt nach wie vor Leute, die dagegen sind und welche, die für das Projekt sind. Ich bin auch mit den S21-Gegnern im Gespräch. Aber dabei geht es darum, dass ich ihnen die Missstände unter den Arbeitern aufzeige und auch die Aufgaben der Tunnelbauer vorstelle. Denn die wollen ihre Arbeit machen und sind gerne hier. Gegenüber allen Parteien kann ich es nicht oft genug betonen: Meine Rolle ist es, auf der Seite der Arbeitnehmer zu stehen und ich halte mich sonst aus den politischen Kontexten raus. Das ist nicht mein Auftrag. Sowohl Gegner als auch die Befürworter des Projekts begrüßen es, dass es das Angebot der Betriebsseelsorge gibt. Die Stelle ist keine Parteinahme für S21 an sich.

Frage: Wie sehen Ihr Auftrag und Ihre alltäglichen Aufgaben aus?

Bild: ©Peter Maile

Betriebsseelsorger Peter Maile (links) im Gespräch mit einem der rund 2.000 Beschäftigten an der Großbaustelle zum Bahnprojekt Stuttgart 21.

Maile: Ich ergreife Partei für die Beschäftigten und nenne Missstände, sofern ich welche entdecke, beim Namen. Bisher habe ich alles im konstruktiven Gespräch gelöst und damit gute Erfahrungen gemacht. Ich vermittle bei Lohnfragen und trage dafür Sorge, dass das Arbeitsumfeld stimmt und es ein Freizeitangebot gibt, etwa Stadtführungen. Weiter helfe ich den Menschen ganz konkret: wenn die Beziehung zerbricht, wenn der Vater stirbt oder ein Kind schwer krank ist. Ich bin da, wenn es Arbeitsunfälle gibt, besuche die Betroffenen im Krankenhaus und bringe Genesungskarten der anderen Kollegen mit.

Frage: Was für Unfälle haben Sie bereits erlebt?

Maile: Auch wenn alle sicherheitsrelevanten Maßnahmen eingehalten werden, passiert schon einmal etwas: Derzeit ist ein Mann in der Reha, der sich vor zwei Monaten trotz Helm am Kopf verletzt hat. Meistens sind es kleinere Unfälle wie Verstauchungen oder Brüche, es sind allerdings auch schon zwei Menschen gestorben. Das waren aber keine Arbeitsunfälle, sondern Herzinfarkte zu Hause beziehungsweise in der Unterkunft. In solchen Fällen begleite ich die Kollegen und Angehörigen seelsorgerlich und auch organisatorisch. Wenn etwa ein Verstorbener für die Beerdigung in ein anderes Bundesland überführt werden muss, braucht es jede Menge Unterlagen, die besorgt werden müssen.

Frage: Zu Ihrer Arbeitskleidung gehört dann wohl eher ein Helm als die Stola?

Maile: Ja, ich trage einen Helm und ich besitze für jede Baustelle einen Ausweis. Damit bin ich der einzige, der zu allen S21-Baustellen Zugang hat. Und überall wo ich hinkomme merkt man, dass die Menschen der Kirche einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen und dieses Angebot der Seelsorge gerne annehmen. Eine Stola trage ich dann, wenn wir Gottesdienste feiern, wie etwa am Sommerfest.

Frage: Für wie viele Menschen sind Sie zuständig?

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Video: © Diözese Rottenburg-Stuttgart

Peter Maile ist Betriebsseelsorger für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21. Er sieht sich vor allem als Brückenbauer.

Maile: Es sind etwa 2.000 Mitarbeiter, vom Planungskoordinator über die Reinigungskraft bis hin zu den türkischen Eisenbiegern und ungarischen LKW-Fahrern. Es gibt Subunternehmer genauso wie Projektleiter und Zeichner von der Bahn. Ich bin auch mit den Verantwortlichen im guten Gespräch und gebe, wenn es nötig ist, Rückmeldung.

Frage: Sie sagten, dass es es auf der Baustelle viele Arbeitsmigranten aus ganz Deutschland und aus vielen europäischen Ländern gibt. Wie verstehen und verständigen sie sich untereinander?

Maile: Wo zum Beispiel eine Gruppe bulgarischer Tunnelbauer arbeitet, ist immer ein Vorgesetzter dabei, der übersetzt. Viele der jungen Arbeiter können sich mit den anderen auch auf Englisch verständigen. Und wenn ich als Seelsorger Hilfe bei der Verständigung brauche, kann ich immer Ehrenamtliche aus den vielen muttersprachlichen Kirchengemeinden in Stuttgart zurückgreifen.

Frage: Welche geistlichen Angebote bieten Sie an?

Maile: In Anlehnung an den "Workers' Memorial Day" - einen Gedenktag für verletzte und verstorbene Bauleute - haben wir auf der Baustelle am Hauptbahnhof einen Gedenkgottesdienst gefeiert. Wir begehen das nicht am eigentlichen Tag, dem 28. April, sondern im Sommer in Verbindung mit der Handwerkervesper. Der Gottesdienst an diesem Ort bietet die Chance, Gefühle wie Angst und Trauer aber auch Hoffnung und Freude aufzugreifen und sie im Lichte der Frohbotschaft Jesu zu deuten. Und man kann den Menschen Mut zuzusprechen, egal ob getauft oder nicht getauft.

Frage: Als Sie 2012 in das Amt eingeführt wurden, hieß es, dass es in Deutschland keine vergleichbare Stelle gibt. Wie kamen Sie zu diesem Job und welche Voraussetzungen muss man dafür mitbringen?

Bild: ©Betriebsseelsorge Stuttgart 21

Der Stuttgarter Hauptbahnhof im Sonnenuntergang mit einem Baukran. Beim Großprojekt Stuttgart 21 soll bis zum Jahr 2021 ein Tiefbahnhof unter dem historischen Gebäude entstehen.

Maile: Meine Wurzeln liegen im Handwerk: Ich war Heizungsbauer, bevor ich dann Jugend- und Heimerzieher wurde. Ich bringe wichtige Erfahrungen mit, da ich die Betriebsseelsorge in Bad Saulgau mitaufgebaut habe. Zudem kenne ich den Stuttgarter Raum und die Gemeindecaritasarbeit. Beides ist von großem Vorteil, denn da kann ich auf manches zurückgreifen.

Frage: In Ihrer Stellenbeschreibung heißt es unter anderem, dass Sie die Beschäftigten in schwierigen Situationen begleiten und sich für faire Arbeitsverhältnisse einsetzen sollen. Heißt das, dass die Arbeitsbedingungen bei diesem Prestige-Projekt nicht besonders gut sind?

Maile: Bisher kann ich sagen, dass im Tunnelbau die Bedingungen zwar gut sind, aber der Job ist für die Männer schon auch eine Herausforderung. Auch mit den vorgeschriebenen Pausen und mit Staubmasken sind zwölf Stunden Arbeit im Tunnel nicht ganz ohne, besonders im Winter. Die Zahlungen erfolgen alle nach Tarif, da gibt es keine Probleme. Wichtig ist es zu schauen, wo die Arbeiter vor Ort, etwa LKW-Fahrer, übernachten können und wo es sanitäre Einrichtungen für sie gibt. Das Arbeitnehmernetzwerk S21, das die Betriebsseelsorge zusammen mit der Gewerkschaft IG BAU gegründet hat, verfolgt diese Ziele.

Frage: Für S21 stehen noch wichtige Genehmigungen aus. Gehen Sie davon aus, dass Ihre Arbeit an der Baustelle bis Ende 2021 beendet sein wird?

Maile: Ich hoffe, dass meine Arbeit hier so lange weiter geht, bis dieses Projekt abgeschlossen ist. Momentan laufen die Gespräche und ich hoffe, dass unser Bischof Gebhard Fürst die Stelle so lange anbietet. Für mich persönlich wünsche und hoffe ich, dass ich nach Ende des Projektes in den Spiegel schauen kann und weiß, dass der Beitrag, den ich geleistet habe, einer war, von dem die Menschen profitiert haben. Ich kann nichts dazu sagen, ob S21 im Jahr 2021 fertig sein wird, oder nicht. Nur so viel: Es ist eine sportliche Herausforderung.

Das Interview führte Agathe Lukassek