Weihbischof Thomas Maria Renz zu Mariä Himmelfahrt

Der Vollendung entgegen

Veröffentlicht am 15.08.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Mariä Himmelfahrt

Rottenburg ‐ "Menschen leben, leiden und sterben" - ist damit alles über die Menschheit gesagt? Nein, sagt Weihbischof Thomas Maria Renz. Diesem Blick fehle eine entscheidende Perspektive, die gerade durch Mariä Himmelfahrt deutlich werde.

  • Teilen:

Der 1924 verstorbene französische Literaturnobelpreisträger Anatole France wurde einmal gebeten, eine kurze Geschichte der Menschheit zu schreiben. Der Schriftsteller soll daraufhin nur einen einzigen Satz aufgeschrieben haben: "Die Menschen leben, leiden und sterben."

1. Menschen leben, leiden und sterben

Dieser Satz fasst knapp zusammen, was Menschen Tag für Tag erfahren. Gerade in dieser Zeit, in der so viele unschuldige Menschen überall auf der Welt verfolgt, vertrieben und getötet werden, scheint sich diese Beschreibung besonders drastisch zu bewahrheiten: "Die Menschen leben, leiden und sterben." Uns allen ist ein bestimmtes Maß an Lebenszeit gegeben, das keiner von uns kennt. Fast jeder Mensch wird einmal von Leid heimgesucht und am Ende steht für uns alle der Tod. Huub Oosterhuis hat dieser frustrierenden Erkenntnis in seinem Lied Ausdruck verliehen: "Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr; fremd wie dein Name sind mir deine Wege. Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott; mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen." Ohne diesen Glauben an einen Gott, der Zukunft mir verheißt, ist alles, was wir Menschen tun und lassen, lieben und erleiden, ohne letzten Sinn, ohne letztes Ziel, ohne letzte Bedeutung.

Unser Kirchenjahr: Mariä Himmelfahrt: Das älteste Marienfest

Es ist das älteste unter allen Festen für die Mutter Gottes: Am 15. August begeht die Kirche Mariä Himmelfahrt. Und das, obwohl die Bibel ihre leibliche Aufnahme in den Himmel gar nicht direkt erwähnt.

2. Maria lebte, litt und starb

Maria lebte ein einfaches und unscheinbares Leben, so wie die allermeisten von uns. Darauf spielt das Evangelium vom Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel an, wenn es Maria jubeln lässt, Gott habe auf ihre Niedrigkeit geschaut. Vielfaches Leid hat Maria das ganze Leben hindurch begleitet, von der Herbergssuche vor der Geburt ihres Sohnes bis hin zu seinem furchtbaren Ende am Kreuz. Kann es ein schrecklicheres Leid geben als das einer Mutter, die ihren Sohn so sterben sehen muss und ihm nicht helfen kann? Maria ist die Schmerzensmutter par excellence, die Pietà, deren Seele von einem Schwert durchbohrt wird. Wenn also jemand auf dieser Welt weiß, was Leid, Schmerz und Sterben bedeutet, dann Maria! Und schließlich ist sie als Geschöpf Gottes selbst gestorben, so wie wir alle einmal sterben müssen.

3. Maria lebt nach allem Leid und Tod

Mit der Allerweltsaussage "Menschen leben, leiden und sterben" ist aber längst noch nicht alles über Maria gesagt. Ihre Himmelfahrt lehrt uns: Maria versinkt nicht im Tod, sondern Gott hat sie in der Ganzheit ihrer Person, mit Leib und Seele für immer in sein Reich aufgenommen. Maria Himmelfahrt zeigt uns: Menschen leben, leiden und sterben, aber mit all dem gehen sie Gott entgegen! Was sich an Maria erfüllt hat, das ist auch uns zugesagt. Auch wir dürfen darauf vertrauen, dass unser ganzes Leben, alles, was wir an Schönem erleben und an Schwerem durchstehen, am Ende nicht einfach durch den Tod beendet wird, sondern sein Ziel findet in Gott. Und diese Verheißung ist nicht bloß eine ungewisse Zukunftsmusik, von der wir nicht wissen, ob sie jemals gespielt wird. Denn sie ist bereits Wirklichkeit geworden an einem konkreten Menschen, der wie wir gelebt hat und gestorben ist, eben an diesem einzigartigen und großartigen Menschen Maria. Das stellt uns die Kirche mit dem Fest Maria Himmelfahrt mit höchster Gewissheit vor Augen.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de

Mariä Himmelfahrt? Das hat doch irgendwas mit Maria und Jesus zu tun? Was genau Katholiken an diesem Tag feiern, erklärt katholisch.de in 90 Sekunden.

Mit Blick auf Maria dürfen wir darum die kurze Menschheitsgeschichte von Anatole France mit der Hoffnung des christlichen Glaubens verbinden und sagen: Ja, die Menschen leben, leiden und sterben zwar, aber mit all dem gehen sie Gott und damit ihrer Vollendung entgegen. Denn es ist uns verheißen, dass Gott auch uns bei sich aufnehmen und vollenden wird mit unserer ganzen Lebensgeschichte. Diese Hoffnung und diesen Glauben bringen wir auch zum Ausdruck, wenn wir an Maria Himmelfahrt Kräuter und Blumen segnen. Die Kräuter weisen auf das hin, was gut ist und uns Gesundheit schenkt, die Blumen auf das Schöne in der Welt und unsere Lebensfreude.

Der christliche Glaube wird den Satz von Anatole France also voll und ganz unterschreiben können. Er wird aber immer noch hinzufügen: das ist nicht alles, was wir über den Menschen und sein Schicksal aussagen können. Denn das ist nur die eine Seite der Lebenswirklichkeit der Menschen, sozusagen nur die Vorderseite unserer "Lebensmedaille". Das Entscheidende aber fehlt dieser Perspektive noch. Maria und das Fest ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel wollen uns den Blick schärfen für die Rückseite der Medaille unseres Lebens. Und deshalb können wir aus dem Glauben heraus auch diese andere Perspektive unseres Lebens, das, was nach dem Leben, Leiden und Tod noch kommt, sehr präzise formulieren. Auf Maria angewandt muss der Satz von Anatole France daher lauten: Sie lebte, litt und starb - sie leidet und stirbt jetzt aber nicht mehr, sondern lebt für immer und ewig bei Gott. Darin erkennen wir unsere eigene Zukunft. Deshalb ist Maria Himmelfahrt das Fest der Hoffnung und der Freude über unseren Gott, der Zukunft uns verheißt!

Von Thomas Maria Renz

Der Autor

Thomas Maria Renz (*1957) ist seit 1997 Weihbischof im Bistum Rottenburg-Stuttgart.