Gott auf der Trasse
Besondere Attraktion in Wuppertal ist nicht nur die Schwebebahn. Hoch über der bergischen Stadt verläuft ein Radweg - die sogenannte Wuppertaler Nordbahntrasse auf einem ehemaligen Gleisbett. Sie bietet ein autofreies Ambiente und spannende Ausblicke. Radler sind zu einem besonderen Pausenstopp eingeladen: An der Wichernkapelle unmittelbar am Wegesrand können sie Station machen und Beine und Seele ein wenig baumeln lassen.
Radwegekirchen als Ort der Ruhe
Die Wichernkapelle ist die erste Radwegekapelle im Rheinland und eine von bundesweit mehr als 400 solcher geistigen Tankstellen an ausgewiesenen Radwegen. Das Wuppertaler Gebäude, das mit seinem hölzernen Dach an norwegische Stabkirchen erinnert, wurde eigens als Radwegekirche erbaut. In vielen anderen Regionen dagegen laden historische Kirchen die Radwanderer zu innerer Einkehr ein - ähnlich wie Autobahnkirchen wollen sie bei einem kleinen Halt Ruhe bieten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) führte 2009 ein Signet für die Radwegekirchen ein: Ein grünes Täfelchen mit Kirchen- und Radfahrersymbol weist auf die besonderen Gotteshäuser hin, darunter auch katholische. Gemeinden müssen spezielle Kriterien erfüllen, soll auch ihre Kirche entsprechend ausgezeichnet und in die Online-Karte auf www.radwegekirchen.de eingetragen werden. So muss sie täglich geöffnet sein und Infomaterial bereithalten. Auch Tische und Bänke für eine Rast, Zugang zu Trinkwasser und Toiletten sowie Hinweise auf die nächste Fahrradwerkstatt sollten nicht fehlen.
"Wer stibitzt, wird vom Herrgott gesehen"
In Wuppertal lädt ein offen gestalteter Raum mit Glasscheiben zur Meditation ein. Wer mag, kann Kerzen anzünden und für seine Anliegen brennen lassen. "Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen", lautet einer der zwölf Pslam-Sprüche auf den Holzbalken. "Kirche sollte dahin gehen, wo die Menschen sind. Und hier sind die Menschen", freut sich der Wuppertaler Pfarrer Johannes Schimanowski über den Zuspruch der Kapelle.
Einige Gotteshäuser in der Schweiz gehören auch zum Projekt, wo sie landestypisch "Velowegekirchen" heißen. Stark vertreten ist Ostdeutschland. So lässt sich an der "Bach Rad Erlebnis Route" Sankt Lukas in Mühlberg entdecken, eine im Jahr 1300 erbaute romanische Kirche mit Wehranlage. Thüringens erste Radwegekirche liegt in Bodenrode am Leine-Heide-Radweg, der das Leinebergland mit der Lüneburger Heide verbindet. Die Kirche dort ist täglich geöffnet - auch ohne der sonst oft üblichen ehrenamtlichen Aufsicht. "Das ist bei uns im Eichsfeld noch möglich", sagt Ortspfarrer Franz-Xaver Stubenitzky. "Und wer stibitzt, wird vom Herrgott gesehen." Die Gästeliste beweise, dass immer wieder Radfahrer das Gotteshaus ansteuern. Der Geistliche empfiehlt ihnen einen Abstecher zur nahen Wallfahrtskapelle Etzelsbach, wo 2011 Papst Benedikt XVI. eine Vesper feierte.
Der Elbradweg von Berlin nach Leipzig eröffnet die Möglichkeit, das Reformationsgedenken zu erfahren. Zum Stopp bietet sich in Wittenberg die Schlosskirche an, wo Martin Luther begraben liegt und von wo aus dieser vor 500 Jahren seine 95 Thesen verbreitete. Obendrein kann auch die Evangelische Stadtkirche mitgenommen werden, wo der Reformator predigte.
Pfarr-Rad oder "Laudato si" heißen die Angebote
Auch in der katholischen Kirche hat sich eine Initiative etabliert, die Radfahren und Spiritualität verbindet. Das Erzbistum Köln bietet seit einigen Jahren auf www.pfarrrad.de unterschiedlichste Touren an, um die Heimat und örtliche Kirchen kennenzulernen. Inzwischen finden sich 111 Touren im Angebot.
Zum 47-Kilometer-Weg "Laudato si" durch die Nordeifel inspirierte Papst Franziskus mit seiner gleichnamigen Umwelt-Enzyklika. Ein Highlight dabei: die Bruder-Klaus-Kapelle von Peter Zumthor. Der Star-Architekt hat den Bau ganz eng mit den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft verbunden. So dienten 112 Baumstämme für die Innenverschalung. Nachdem der Beton ausgehärtet war, wurde das Holz mit einem dreiwöchigen Feuer ausgeköhlert. Die noch verkohlten und bizarren Wände lohnen es, dass Radfahrer hier ihre Tour unterbrechen - auch für eine längere Pause.