Berliner entdecken ihre Blockkirchen

Kirche im Kiez

Veröffentlicht am 27.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN
Eine Kirche eingerahmt von Plattenbauten
Bild: © KNA
Architektur

Berlin ‐ Sie grenzen an Altbauten mit verzierter Stuckfassade, manche stehen neben nüchternen Nachkriegsblocks oder modernen Neubauten. Berlin hat mehrere Dutzend sogenannte Blockkirchen, die sich in die Straßenzüge der Hauptstadt einfügen oder einen architektonischen Kontrast zu den Nebengebäuden darstellen.

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Touristen laufen häufig vorbei, aber auch Zuzüglern und Alteingesessenen Berlinern fallen sie - gerade wenn die Bäume noch Laub tragen - manchmal nicht auf. Dabei reicht oft der Blick nach oben, und die Türme entlarven das Gebäude als Kirche. In Berlin stehen viele Kirchengebäude nicht herrschaftlich an zentralen Plätzen, sondern dicht an dicht neben Wohnblocks, Bürohäusern oder Lebensmittelläden.

"Für uns Berliner Katholiken ist es nichts Besonderes, dass unsere Kirchen nicht alle an prominenter Stelle stehen", sagt Michael Wiesböck, Pfarrer der Kirchengemeinde St. Marien Liebfrauen in Berlin-Kreuzberg. Das habe Rückwirkung auf die Gemeinde, stellt der 41-jährige Geistliche immer wieder fest. "Denn die Kirche steht mitten im Kiez." So bezeichnet der Berliner die zentralen Plätze oder Straßenzüge in "seinem" Stadtteil.

Eine Kirche neben normalen Wohnhäusern.
Bild: ©KNA

Die evangelische Martha-Gemeinde steht in der Glogauer Straße in Kreuzberg.

Verborgene Schätze

Die Liebfrauen-Kirche etwa steht im Kreuzberger "Wrangelkiez". Die Gegend ist mit ihren Straßencafes, hippen Kneipen und Clubs besonders bei jungen Leuten beliebt - und weniger bekannt als religiöses Zentrum. Manch ein Besucher sei daher überrascht, dass es hinter der neoromanischen Fassade weitergeht und sich das Gebäude zu einem großen Raum öffnet, berichtet Wiesböck. "Das Herausgenommensein aus dem Einerlei der Mietshäuser erschließt sich erst, wenn man hereinkommt."

Etwa 200 Meter die Straße weiter gilt das Gleiche auch für die Taborkirche . Sie steht Wand an Wand mit Mietskasernen. Immerhin ist ihre Backstein-Fassade auffälliger, da sie in der Sichtachse der senkrecht zulaufenden Wrangelstraße liegt. Hinter dem angrenzenden Landwehrkanal, wo Neukölln beginnt, stehen gleich mehrere Blockkirchen nur wenige Meter voneinander entfernt.

Dazu gehört die katholische, backsteinerne Sankt-Clara-Kirche mit ihrem Glockenturm. Die evangelische Martin-Luther-Kirche steht fast schon versteckt in einer Seitenstraße der belebten Sonnenallee. Der Kirchturm ist gerade mal um zwei Stockwerke höher als die umliegenden Gebäude. Anders die einige Straßen weiter stehende katholische St.-Christophorus-Kirche . Der markante Kirchturm ragt mit seinen 35 Metern weit über den Neuköllner Richardplatz. Nur wenige Häuserzeilen weiter befindet sich die evangelische Nikodemuskirche . Ihre Fassade mit Jugendstil-Elementen unterscheidet sich nur kaum von den umliegenden Gebäuden.

Kirchen zwischen Baulücken

Nur vereinzelt sind die Blockkirchen moderne Nachkriegsbauten, wie die evangelische Kreuzberger Christus-Kirche . Die meisten Kirchen wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert gebaut. Um 1900 war Berlin mit dem Umland bereits eine Drei-Millionen-Stadt, die zu wenige Kirchen hatte. Dies galt auch für die seit der Eroberung Schlesiens und durch die Industriearbeiterschaft wachsende katholische Minderheit.

Adressen der im Text erwähnten Kirchen:

St. Marien Liebfrauen (katholisch): Wrangelstr. 50/51, 10997 Berlin (Kreuzberg)Taborkirche (evangelisch): Taborstr. 17, 10997 Berlin (Kreuzberg)Sankt-Clara-Kirche (katholisch): Briesestr. 13, 12053 Berlin (Neukölln)Martin-Luther-Kirche (evangelisch): Fuldastr. 50, 12045 Berlin (Neukölln)St.-Christophorus-Kirche (katholisch): Nansenstr. 4, 12047 Berlin (Neukölln)Nikodemuskirche (evangelisch): Nansenstr. 12, 12047 Berlin (Neukölln)Christus-Kirche (evangelisch): Hornstr. 7-8, 10963 Berlin (Kreuzberg)St. Augustinus (katholisch): Wichertstr. 23, 10439 Berlin (Prenzlauer Berg)Herz-Jesu-Kirche (katholisch): Fehrbelliner Str. 99, 10119 Berlin (Prenzlauer Berg)St. Bonifatius (katholisch): Yorckstr. 88C, 10965 Berlin (Kreuzberg)

"Die Stadt Berlin hat keine oder nur wenig Platz für den Kirchenbau abgeben", erklärt Pfarrer Michael Höhle, der über die Kirchenbauten der Hauptstadt promoviert hat. Er ist in St. Augustinus Hausherr einer Blockkirche im Kiez Prenzlauer Berg.

Die evangelische Kirche genoss Vorteile im protestantischen Preußen. Zudem half das Kaiserhaus mit der Gründung eines Evangelischen Kirchenbauvereins ab 1890 aus. Von Wilhelm II. sind wenige Tage nach seiner Thronbesteigung die Worte überliefert: "Sorgen Sie dafür, dass in Berlin Kirchen gebaut werden."

Zwischen 1888 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurden dann innerhalb der Grenzen von "Groß-Berlin" insgesamt 112 Kirchenneubauten errichtet. Allein 66 innerhalb des S-Bahn-Rings, davon 21 katholische Gotteshäuser. Und da insbesondere die katholischen Gemeinden nicht über viel Geld für den Kauf von freistehenden Grundstückplätzen in den schnell wachsenden Straßen verfügten, wurden günstige Bauplätze zwischen Häuserzeilen gekauft.

Zuweilen prächtige Gebäude

"Das hatte gewisse Vorteile", zählt Kirchenhistoriker und Pfarrer Höhle auf. "Links und rechts konnten die Gemeinden ein Mietshaus bauen und durch die Einnahmen die Kosten für den Baukredit reinbekommen." Außerdem sei die Schaufassade nur zur Straßenseite gewesen und machte den Bau dadurch günstiger.

„Sorgen Sie dafür, dass in Berlin Kirchen gebaut werden.“

—  Zitat: Wilhelm II. sind wenige Tage nach seiner Thronbesteigung

Trotz Geldknappheit wurden hier und da dennoch prächtige Kirchen zwischen die für Berlin typischen Mietskasernen gesetzt. Ein Beispiel ist die Herz-Jesu-Kirche in Prenzlauer Berg: Von der Straßenfront grüßt die asymmetrische, wuchtige Turmfassade, während der Innenraum mit Wandmalerei im Nazarener-Stil gestaltet ist.

Oder St. Bonifatius in Kreuzberg: Die steil hochragenden, neogotischen Fassadentürme sind zu einem städtebaulichen Wahrzeichen geworden. Mit dem nach hinten gehenden Wohnhof wird St. Bonifatius von den Bewohnern liebevoll als "Kreuzberger Vatikan" bezeichnet. Und seitdem in den kircheneigenen Gebäuden neben St. Bonifatius auch eine Kirchenkneipe mit Klosterbier und anderen Köstlichkeiten betrieben wird, laufen immer wenige Touristen und Einheimische an dem Gotteshaus vorbei.

Von Markus Nowak (KNA)