Schont die vatikanische Justiz Kardinal Bertone?
Im Vatikan geht voraussichtlich am Samstag ein Prozess zu Ende, der die schlimmsten Vorurteile über ein angebliches Luxusleben von Kardinälen in Rom zu nähren schien: Es geht um die Renovierung einer je nach Lesart 300 bis 425-Quadratmeter großen Wohnung von Kardinal Tarcisio Bertone. Dafür wurden Spendengelder verwendet, die eigentlich für die vatikanische Kinderklinik bestimmt waren. Vor Gericht verantworten müssen sich dafür der frühere Chef des Krankenhauses "Bambino Gesu" und der gleichnamigen Stiftung, von der die Gelder stammten, sowie deren Schatzmeister. Die vatikanische Staatsanwaltschaft wirft dem Klinikchef, der auf den Nachnamen "Profiti" hört, Veruntreuung von 422.000 Euro vor. Sie fordert eine Haftstrafe von drei Jahren samt einer Geldstrafe von 5.000 Euro und einem lebenslangen Ausschluss von vatikanischen Ämtern. Für den zweiten Angeklagten plädierte die Staatsanwaltschaft auf Freispruch aus Mangel an Beweisen.
Zweifel an den Darstellungen Bertones
Kardinal Bertone selbst sagt, er habe nichts von alldem gewusst; der Zuschuss der Stiftung für die Wohnungsrenovierung sei ohne sein Wissen erfolgt. Dabei blieb der Kardinal auch, als die italienische Zeitschrift "L'Espresso" im April 2016 einen Brief Bertones an Profiti veröffentlichte, der Zweifel an dieser Darstellung nährte. In dem Schreiben vom November 2013 heißt es, ihm liege sehr daran, dass die Stiftung die Gelder zur Deckung der Kosten für die "vorgeschlagenen Maßnahmen" von Dritten erhalte, "damit nichts für diese Institution zu bezahlen bleibt".
Die "vorgeschlagenen Maßnahmen" sollen laut "L'Espresso" Wünsche für Umbaumaßnahmen und Anschaffungen gewesen sein, die Bertone in einem Anhang aufgelistet habe. Zum Beispiel eine Stereoanlage für 19.000 Euro und ein Boden aus feinem Carrara-Marmor. Bertone bestritt dies sowie alle weiteren Berichte über ein angebliches Luxus-Appartement vehement. Der Geistliche verwies darauf, dass er mit drei Ordensfrauen in der Wohnung lebe, die ihm den Haushalt führen. Im Übrigen hätten etwa 30 Kardinäle eine noch größere Wohnung als er.
Unbestritten ist hingegen, dass Bertone 300.000 Euro aus eigenen Mitteln zur Renovierung seiner Wohnung im Schatten des Petersdoms beisteuerte. Auf die schriftliche Bitte der Nachfolgerin Profitis, den Zuschuss von 422.000 Euro zurückzuzahlen, ließ er jedoch durch seinen Anwalt mitteilen, dass er dem Krankenhaus nichts schulde. So berichtete es zumindest Mariella Enoc vor Gericht. Die 150.000 Euro, die Bertone dem "Bambino Gesu" dann doch noch überwies, wollte er ausdrücklich nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen, sondern als Spende.
Nicht nur für Außenstehende stellte sich da die Frage: Warum wurde Bertone nicht angeklagt oder zumindest als Zeuge geladen? Als prominente Zeugen traten in den acht Verhandlungstagen des Prozesses die Präsidentin des Kinderkrankenhauses und von dessen Stiftung auf, der mit der Renovierung beauftragte und mit Bertone befreundete Bauunternehmer aus Genua und der Direktor der vatikanischen Finanzaufsichtsbehörde, nur der Kardinal, um dessen Wohnung es geht, wurde nicht vernommen. Ebenso wenig Kardinal Giuseppe Bertello, der Leiter der vatikanischen Staatsverwaltung, die an der Renovierung beteiligt war.
Die Abwesenheit der beiden Kardinäle führte zu Spekulationen, die vatikanische Justiz wolle hohe kirchliche Würdenträger bewusst schonen. Bereits bei den beiden Vatileaks-Prozessen um die Entwendung vertraulicher Unterlagen waren Kardinäle nicht vernommen worden, obwohl sie als Zeugen vorgeschlagen wurden. Bereits damals äußerten manche Beobachter die Vermutung, der Vatikan wolle die Kardinäle bewusst nur die kleinen Fische bestrafen.
Charity-Diner mit dem Kardinal
Warum bezuschusst ein vatikanisches Kinderkrankenhaus die Renovierung einer Kardinalswohnung mit 422.000 Euro? Bertone sollte seine Wohnung im Gegenzug für Fundraising-Veranstaltungen mit potenten Spendern zur Verfügung stellen. Von diesem Geschäftsmodell eines Charity-Diners mit Kardinal distanzierte sich Profitis Nachfolgerin vor Gericht ausdrücklich.
Besonders pikant macht den Fall, dass Kardinal Bertone nicht irgendein Kardinal ist. Der 82 Jahre alte Geistliche aus Norditalien war einer der wichtigsten Mitarbeiter von Benedikt XVI. Von 2006 bis 2013 war er Kardinalstaatsekretär und damit nach dem Papst die Nummer zwei im Vatikan. Dass Bertone dem weltlichen Treiben in Italien nicht ganz abgeneigt ist, ahnte jeder der das Ferrari-Modell in seinem Vorzimmer bestaunen konnte. Im Kardinalskollegium sorgte Bertones Gebaren für so großen Unmut, dass einige Kardinäle den Kölner Erzbischof Joachim Meisner baten, doch Benedikt XVI davon zu überzeugen, dass Bertone gehen müsse. Doch der hielt bis zuletzt an Bertone fest, der ihm bereits in der Glaubenskongregation als Sekretär gedient hatte. Der deutsche Papst schätzte offenbar seine unbedingte Loyalität und sah dafür über einen Lebensstil hinweg, der mit den Vorstellungen eines deutschen Theologieprofessors bisweilen nur schwer in Einklang zu bringen war.
Linktipp: Bertone will "moralischen Schaden" wiedergutmachen
Nach dem Skandal um die Mitfinanzierung seiner Wohnungsrenovierung durch die Stiftung der Kinderklinik "Bambino Gesu" will Kardinal Bertone dem Krankenhaus nun helfen. Zugleich habe er betont, dass er mit dem Skandal nichts zu tun gehabt habe.Immer wieder wurde auch die Frage gestellt, was wohl Franziskus von dem mit Kinderklinik-Geldern renovierten Riesenappartement seines Kardinals hält. Der Papst, der nicht müde wird, seine Kardinäle zur Bescheidenheit aufzufordern, äußerte sich allerdings bislang nicht direkt zu dem Fall.
Moralische Debatte geht weiter
Mit der für Samstag erwarteten Urteilsverkündung dürfte der Fall zumindest juristisch vorerst abgeschlossen sein. Die Angeklagten müssten dann abwägen, ob sie gegen den erstinstanzlichen Richterspruch vor dem vatikanischen Appellationsgericht Berufung einlegen. Die moralische Debatte über Wohnverhältnisse und Lebensstil von Kurienkardinälen in Rom, die der Fall Bertone ausgelöst hatte, dürfte damit aber kaum beendet sein.