Darf man in der Kirche hinten sitzen?

Pro: Die freie Platzwahl nicht aufgeben!
Früher gab es sie noch in vielen Kirchen: eine klargeregelte Sitzordnung. Frauen und Mädchen saßen auf der linken, Männer und Jungen auf der rechten Seite. Ich selbst habe das nicht mehr miterlebt, sondern weiß es lediglich aus Erzählungen. Und ich konnte nur den Kopf schütteln, als ich zum ersten Mal davon gehört habe: "In der Kirche wird einem vorgeschrieben, wo man zu sitzen hat? Gottseidank gibt es das heute nicht mehr." Wirklich? Ich bekomme allmählich den Eindruck, dass wir eine große kirchliche Errungenschaft – die der freien Platzwahl – wieder aufgeben.
"Kommen Sie doch alle bitte in die vorderen Bänke, ich beiße nicht!" Sprüche wie diesen habe ich aus dem Mund eines Priesters in der jüngeren Vergangenheit zu genüge gehört. Und trotz manch geschickt eingebauten Scherzes konnte ich selten lachen. Das mag daran liegen, dass eben auch ich zu jenen gehöre, die lieber im hinteren Bereich der Kirche Platz nehmen (und wir sind nicht wenige!). Deshalb fühle ich mich verpflichtet, an dieser Stelle einmal eine Lanze für die notorischen Hinten-Sitzer zu brechen.
Wir befinden uns in Zeiten, in denen die Kirchenbänke immer leerer werden. Da mag es gerade von der Altarinsel aus kläglich aussehen, wenn die wenigen verbliebenen Gläubigen auch noch weit verstreut im großen Kirchenraum sitzen. Konzentriert in den ersten Bänken – so die Ansicht manches Geistlichen – würde bei der geringen Kirchenbesucherzahl die Gemeinschaft wieder deutlicher zum Ausdruck kommen. Mag sein. Aber die Menschen dazu nötigen, nach vorne zu kommen? Meines Erachtens ein "No-Go". Und es sind nicht nur die priesterlichen Aufforderungen. In manchen Kirchen werden extra die hinteren Bänke per Seil abgesperrt oder gleich ganz aus dem Gotteshaus geräumt, um dadurch die Leute nach vorne zu zwingen.
Ich sage: Seien wir froh um jeden Kirchenbesucher, den wir noch haben. Und vergraulen wir nicht auch noch die letzten, indem wir ihnen eine bestimmte Sitzordnung aufdrängen. Die Menschen, die gerne hinten sitzen, wünschen sich sicherlich nicht weniger die Gemeinschaft mit den Mitbrüdern und -schwestern, als die, die vorne Platz nehmen. Vielleicht ist es schlicht der angestammte Platz, den der- oder diejenige seit Jahrzehnten mit seiner Familie einnimmt. Oder vielleicht fühlen sich die Betroffenen hinten ganz einfach wohler – so wie ich. Lassen wir doch den Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung.

Wenn man in den Bänken zusammenrückt, ist das sicher nach außen ein Zeichen für Gemeinschaft. Aber kann man die Leute dazu zwingen?
Contra: Gemeinsam statt vereinzelt feiern
Wir Christen sitzen beim Heilsgeschehen in der ersten Reihe – was für ein Privileg, in jeder Messe der Erlösung so nah zu sein, und das nicht nur als Zuschauer, sondern als Mitfeiernde! Wer das allerdings nicht weiß und die typische Gottesdienstgemeinde von außen sieht, kann zu anderen Schlüssen kommen. Möglichst großflächig verteilten sich alle, bevor es losgeht. Das geht auch gut, denn meistens sind unsere Kirchen zu groß. Stehen muss in der Regel niemand, wenn nicht gerade ein großes Fest ansteht. Besonders scheue Mitfeiernde haben oft sogar die Möglichkeit, eine ganze Bank für sich zu haben – und sie nutzen sie; gerne weiter hinten, und gern bleiben die ersten paar Reihen frei. Kein schöner Anblick.
Schon rein logistische Gründe sprechen dafür, von vorne her die Kirche zu füllen: Damit die Kollekte und der Friedensgruß nicht zur Akrobatik werden. Damit man schnell beim Nachbarn ins Gotteslob schauen kann, wenn man sich verblättert hat. Damit die, die da sind, auch wirklich gemeinsam singen und sich so auch bei unbekannteren Liedern in der Melodie gemeinsam tragen. Damit der Zelebrant nicht in entvölkerte Bänke blickt, sondern das Volk als Gegenüber hat – vorne sitzen ist Höflichkeit gegenüber denen, die vom Altar aus mitfeiern.
Wichtiger als die pragmatischen Gründe sind die, die die Liturgie ausmachen: Die Messe ist kein Kinofilm, wo man von hinten am meisten sieht. Die Messe ist auch kein Theaterstück, wo vorne die guten Plätze sind und das einfache Volk hinten sitzt. Die Messe ist kein Konzert, bei dem die besten Plätze Logen ohne die Erbauung störende Nachbarn sind. "Nicht wie Außenstehende und stumme Zuschauer" soll man der Messe beiwohnen, heißt es in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums: Die Messe ist die zentrale und gemeinsame Feier, zu der die Gemeinde zusammenkommt.
In erster Linie geht es daher nicht darum, vorne zu sitzen – sondern gemeinsam statt vereinzelt zu sitzen und zu feiern: "Gott danksagen und die unbefleckte Opfergabe darbringen nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern auch gemeinsam mit ihm und dadurch sich selber darbringen lernen."