Ein philosophischer "Lehrer, Meister und Freund"

"Für uns bleibt sein Werk ein Vermächtnis von großer Bedeutung." Mit diesen Worten ehrte Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., den christlichen Philosophen Josef Pieper kurz nach dessen Tod heute vor 20 Jahren. Pieper habe "unbeirrt die eigentliche Frage der Philosophie wachgehalten, die Frage nach dem Woher und nach dem Wohin, nach dem inneren Wesen und Sinn unserer Existenz". Pieper prägte mit seiner Philosophie eine ganze Generation der Nachkriegszeit: Sein Werk erreichte eine Gesamtauflage von über einer Million Exemplaren und wurde in 15 Sprachen übersetzt. Dabei war ihm der Weg in die Philosophie nicht in die Wiege gelegt.
Von Kierkegaard zu Thomas von Aquin
Josef Pieper wurde 1904 in Elte, einem Dorf im Münsterland, geboren. Der katholische Glaube gehörte seit seiner Kindheit zu seinem Leben selbstverständlich dazu. Schon während seiner Schulzeit am Gymnasium Paulinum in Münster beschäftigte er sich mit den Werken großer Philosophen. Zunächst hatte es ihm Kierkegaard angetan, danach las er Thomas von Aquin, der sein späteres Denken bestimmen sollte. Nach dem Abitur zog es ihn hinaus in die weite Welt. Pieper, der zur katholischen Jugendbewegung gehörte und Romano Guardini auf Burg Rothenfels begegnet war, unternahm 1923 für fünf Monate eine Fahrt nach Dänemark, Schweden und Island. Nach seiner Rückkehr studierte er bis 1928 Soziologie, Rechtswissenschaft und Philosophie in Münster und Berlin.
Anschließend war Pieper Mitarbeiter an einem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Universität in Münster. Eigentlich wollte er weiter als Soziologe arbeiten, doch die Nationalsozialisten und ihr völkisches Denken, das für Pieper mit seinem katholischen Glauben nicht vereinbar war, zwangen ihn, einen anderen Weg einzuschlagen. Wegen der politischen Einstellung seines vorgesetzten Professors kündigte er und arbeitete seit 1932 als freier Schriftsteller und Journalist, schrieb etwa Kritiken zu aktuellen Kino-Filmen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Pieper in den heerespsychologischen Dienst der Wehrmacht eingezogen. Rückblickend sagte er über diese Zeit, dass er viel über Menschen gelernt habe.

Josef Pieper (1904-1997) lehrte bis 1972 als ordentlicher Professor für Philosophie Anthropologie an der Universität Münster.
Ab 1935 war Pieper zeitweise in einem Bildungsinstitut in Dortmund tätig. Dort vertiefte er seine Beschäftigung mit dem Denken des Thomas von Aquin. Direkt nach dem Ende des Krieges begann Pieper seine Habilitation in Philosophie, die er 1946 beendete. Im selben Jahr wurde er Philosophie-Dozent an der Pädagogischen Akademie Essen. Ein Jahr später ging er an die Universität Münster, wo er 1959 ordentlicher Professor für Philosophische Anthropologie wurde. Auch über seine Emeritierung im Jahr 1972 hinaus hielt er bis kurz vor seinem Tod Lehrveranstaltungen, die zu den am besten besuchten der ganzen Universität gehörten.
Die ersten Jahre an der Universität sind Pieper besonders in Erinnerung geblieben, "weil da ein so unglaublicher Hunger nach Wissen unter den aus dem Krieg zurückkehrenden jungen Leuten war." Zudem saßen alle, Studenten und Pieper selbst, im stets überfüllten Uni-Hörsaal in gefärbten Soldatenuniformen, denn Kleidung war damals Mangelware. Seine Philosophie-Vorlesungen waren für Studenten aller Fachrichtungen offen, aber es kamen auch viele interessierte Bürger aus der Stadt. Es sei eine "unglaubliche Zuwendung" gewesen, die er von den Studenten bekam, erinnerte sich Pieper viele Jahre später. Mit seiner Philosophie wollte Pieper dabei helfen, eine Antwort auf die großen Fragen des Lebens zu finden. Dabei gab er jedoch keine einfachen Lösungen vor: "Philosophieren heißt etwas bedenken, es heißt nicht, eine Antwort zu haben", so Pieper.
"Ein Bild vom Menschen zeichnen"
"Bei Josef Pieper steht der Mensch im Mittelpunkt", resümiert Berthold Wald das Denken Piepers. Der Professor für Systematische Philosophie an der Theologischen Fakultät Paderborn ist ein Schüler Piepers und kannte den münsterschen Philosophen sehr gut. "Er wollte mit den Mitteln der abendländischen Philosophie ein Bild vom Menschen zeichnen", so Wald. Deshalb sind die Grundlagen für das Denken Piepers vor allem Platon und Thomas von Aquin. Beide seien "Quellen, die sich ergänzen", erläutert der Philosophie-Professor, der als Leiter der Josef-Pieper-Arbeitsstelle die Beschäftigung mit dessen Denken fördern will. Platon habe eine große Nähe zum heutigen Denken, da er in seinen philosophischen Dialogen keine Antwort vorgebe und über die Wahrheit im Gespräch bleibe. Thomas stehe für den christlichen Glauben. Pieper wandte sich beiden Philosophen zu, da er nach den schrecklichen Erfahrungen der Nazi-Zeit und des Weltkriegs auf die tiefsten Wurzeln der europäischen Kultur zurückgehen wollte – anders als andere Denker jener Zeit, die glaubten, man könne an das Denken der letzten Jahrhunderte anknüpfen.
Wegen seines Rückgriffs auf Platon und Thomas wurde Pieper jedoch auch scharf kritisiert. Ihm wurde vorgeworfen, kein akademischer Philosoph, sondern eher ein philosophischer Schriftsteller zu sein. Diesem Urteil über seinen ehemaligen Lehrer möchte sich Wald nicht anschließen, doch er gibt zu, dass Pieper im Unterschied zu anderen keine "eigene Philosophie" präsentierte. Er legte den Ausgangspunkt seines Denkens bewusst dort, wo er seine Studenten und Leser abholen konnte. Es ging ihm um allgemein gültige Themen und die eigene Erkenntnis und Erfahrung.

Berthold Wald ist seit 2002 Professor für Systematische Philosophie an der Theologischen Fakultät Paderborn. Seit 2008 leitet er dort die Josef-Pieper-Arbeitsstelle.
Das sagte auch Pieper selbst kurz vor seinem Tod in einem Fernsehinterview: "Offenbar interessierte die Leute das, was ich erzählte. Ich habe immer versucht, keine Fachphilosophie zu betreiben, sondern aufzugreifen, was die Studenten bewegte." Auch die Kritik an seinem Denken nahm er wahr: "Die Philosophen und Fachleute haben mich ignoriert, weil sie gesagt haben: 'Den kann man ja verstehen'". Derweil wurde Pieper trotzdem von zeitgenössischen Philosophen rezipiert, wie etwa Karl Jaspers, der in seiner Bibliothek zahlreiche Bücher von Pieper besaß, wie Wald weiß.
Der Erfolg Piepers zeigt sich in den hohen Verkaufszahlen für seine zahlreichen Bücher. Bekannt sind seine Essays über die Tugenden, besonders "Das Viergespann", ein Buch über die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß. Begonnen hatte Pieper die Arbeit an dem Buch bereits 1934 mit seinem Essay "Über die Tapferkeit". Im Vorwort zu einer späteren Ausgabe des "Viergespanns" aus dem Jahr 2004 lobte auch der damalige Bundespräsident Johannes Rau den westfälischen Denker: Wer nach einer Philosophie suche, die für das eigene Leben "hilfreich sein kann, der findet in Josef Pieper einen geistigen Wegbegleiter, auf den Verlass ist."
Muße als Fundament der Kultur
Pieper wollte mit seiner Philosophie seine Leser auch begleiten, wenn es gesellschaftlich nicht gewünscht war. So etwa in der Nachkriegszeit, als er 1948 ein Buch mit dem Titel "Muße und Kult" veröffentlichte. In seiner Schrift bezeichnete Pieper die Muße als das Fundament der abendländischen Kultur. Gerade in Zeiten des Schaffens und Aufbauens nach dem Weltkrieg erntete Pieper für diesen Hinweis auf Besinnung viel Kritik.
Nicht nur durch Vorlesungen und Bücher vermittelte Pieper sein Denken, sondern auch mit Hilfe der damals modernen Medien. So verfasste er Drehbücher zu Hör- und Fernsehspielen über Themen der Philosophie – mit großem Erfolg. Nach der Ausstrahlung ließ Pieper eine Analyse über die Zuschauer anfertigen und es stellte sich heraus, dass Menschen aller Bildungs-und Altersschichten zum Publikum gehörten. Wohl auch, weil Pieper als Soziologe an der Realität interessiert war und sich in verständlicher Sprache an sein Publikum wandte. Auch Benedikt XVI. schätzt Piepers klaren Stil – so sehr, dass Joseph Ratzinger seinen Professoren-Kollegen, den er aus der Zeit an der Universität Münster kannte, in einem Brief sogar als seinen "Lehrer, Meister und Freund" bezeichnete.