Wolfgang Speicher war einer der ersten Ständigen Diakone

"Der Römerkragen widerte mich an"

Veröffentlicht am 22.11.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Diakonat

Bonn ‐ Genau heute 50 Jahren wurde Wolfgang Speicher zum Ständigen Diakon geweiht. Er zählt damit zu den weltweit ersten. Im Interview spricht er über seine Berufung und den Ärger, für den seine Weihe damals sorgte.

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Frage: Herr Speicher, warum brachte Ihre Weihe Ärger ein?

Speicher: Nach der Weihe habe ich neben vielen Glückwunschschreiben auch einige böse Briefe aus aller Welt erhalten, die deutlich machen wollten, dass die Ehe mit dem Amt eines Diakons nicht vereinbar wäre. Ein Priester schrieb mir: "Wie können Sie die Heilige Kommunion austeilen, wenn Sie doch mit Ihren Händen eine Frau berühren?" Manche wurden in ihrer Kritik noch deutlicher und wünschten mir, dass der Herrgott mich vor der Steinigung und dem Feuertod bewahren möge. Als ich am Tag nach der Weihe meinen jüngsten Sohn Joachim-Johannes taufte, meldete sich ein Kirchenrechtler und meinte: Man dürfe doch sein eigenes Kind nicht taufen. Der Kölner Kardinal Joseph Frings aber freute sich mit mir und wünschte mir eine schöne Primiz anlässlich der Taufe meines Sohnes.

Frage: Wie fühlten Sie sich nach der Weihe?

Speicher: Meine Kurskollegen und ich waren glücklich. Endlich waren wir am Ziel angelangt. Das, wofür wir so lange gebetet und worauf wir uns intensiv vorbreitet hatten, war nun möglich. Das Amt des Diakons war wieder in der Kirche. Weihbischof Augustinus Frotz hat uns durch Handauflegung und Gebet geweiht, weil unser Kardinal Frings erblindet war. Aber der Kardinal ließ es sich nicht nehmen, die Predigt bei der Weihe zu halten. Im vollbesetzten Dom begrüßte er uns mit "Meine lieben Mitbrüder im geistlichen Amt".

Bild: ©katholisch.de

Wolfgang Speicher (88) wurde am 28. April 1968 im Kölner Dom zum Ständigen Diakon geweiht. Seine Ehefrau musste dieser Entscheidung zustimmen.

Frage: Wie kam das an?

Speicher: Wir Diakone fanden das großartig, andere fielen bei seinen Worten im Dom fast um. Aber unser Kardinal war ein furchtloser Mann. Er war es auch, der bei den Konzilsvätern die Wiedereinführung des Diakonats vorantrieb. Schon seit den 1950er-Jahren gab es in Köln einen sogenannten "Diakonenkreis", dem auch ich angehörte. Es ist dem Kardinal gelungen, diesen Gedanken in das Konzil hineinzutragen, nicht nur, weil der Priestermangel damals schon der Kirche zu schaffen machte. Nachdem am 18. Juni 1967 das Motu proprio Sacrum diaconatus ordinem von Paul VI. über die Erneuerung des Diakonates erlassen wurde und die Diakonenweihe nun offiziell möglich wurde, setzte Kardinal Frings alles in Gang, um die ersten Diakone weihen zu können. Zuerst befragte er den gesamten Klerus in der Diözese, ob alle dafür wären. Die Mehrheit war es auch und einer Weihe stand nichts mehr im Wege.

Frage: Was waren damals die Zulassungsbedingungen für das Amt?

Speicher: Es wurden fünf Kandidaten aus dem bestehenden "Kölner Diakonenkreis" ausgewählt, welche die Forderungen des Motu proprio erfüllten. Der Kardinal hat uns alle einzeln zu sich gerufen und uns befragt. Es gab verschiedene Bedingungen für die Weihe: Die Männer mussten charakterfest und entsprechend theologisch ausgebildet sein, ein reifes Alter haben und in bewährter Ehe leben, also keine jungverheirateten Männern. Auch die Gemeinde wurde befragt und unsere Ehefrauen mussten zustimmen. Bei mir hatte der Kardinal einige Bedenken, weil ich Vater von acht Kindern war. Als Diözesanreferent für den ländlichen Bereich war ich auch viel in den Dekanaten und Gemeinden unterwegs. "Sind Sie nicht überlastet in Ihrem Beruf und als Familienvater?", fragte Kardinal Frings mich im Gespräch. Ich erwiderte ihm nur: "Adsum, ich bin bereit." Das hat ihn überzeugt.

Frage: Fand die Weihe damals in lateinischer Sprache statt?

Speicher: Wir konnten doch alle das Pater noster, das Confiteor und das Credo auswendig. Auch die Weiheliturgie wurde damals noch im tridentinischen Ritus gefeiert. Das heißt, wir Kandidaten bekamen alle noch die Tonsur erteilt, wie es sonst bei Priestern und Ordensmännern üblich war.

Bild: ©KNA/Ernst Herb

Wolfgang Speicher aus Siegburg bei Bonn war bei seiner Weihe (Bild Mitte) zum Ständigen Diakon im Kölner Dom 39 Jahre alt und Vater von acht Kindern.

Frage: Wie lief das ab?

Speicher: Wenige Wochen vor der Weihe feierten wir in der Kapelle des Priesterseminars in Bensberg einen kleinen Gottesdienst. Weihbischof Frotz hat uns die Tonsur erteilt und damit in den Klerikerstand aufgenommen. "Pars pro toto" schnitt er jedem von uns, während er betete, mit einer stumpfen Schere einige Haarbüschel am Hinterkopf ab. Soweit da noch Haare vorhanden waren, denn wir waren damals alle schon über 35 Jahre alt, ich war sogar schon 39. Weil die Schere aber sehr stumpf war, hat er manche von uns ziemlich verschnitten. Einer musste dann kurz darauf zum Friseur gehen, um seine Haare wieder in Ordnung zu bringen. Bei mir hatte der Weihbischof schon etwas mehr Routine beim Haareschneiden.

Frage: Was änderte sich nach der Weihe für Sie als frisch geweihter Diakon?

Speicher: Zuerst war ich noch drei Jahre im Generalvikariat als Leiter des Landvolksdienstes tätig und gleichzeitig zum hauptamtlichen Diakon am Altenberger Dom bestellt. Von den Aufgaben her änderte sich als Diakon für mich nicht viel. Ich war ja davor schon als Referent für die Landpastoral in der Verkündigung tätig, hielt Einkehrtage und unterrichtete an der Schule Religion. Was neu war: Ich konnte jetzt am Altar die "Missa cum diacono" mitfeiern und das Evangelium Kraft Amtes verkünden. Diesen Dienst nahm ich sehr ernst. Es war ein Wunsch des Konzils, frische Luft in die Kirche hineinzulassen, auch auf der Kanzel. Das war nicht immer leicht und manches würde ich heute anders formulieren. Heute habe ich noch ganze Aktenordner voll mit Predigttexten und Referaten.

Frage: Welcher Dienst war Ihnen als Diakon am wichtigsten?

Speicher: Mir war es immer wichtig, die Kranken zu besuchen. Während meiner Amtszeit in der Disaporagemeinde Altenkirchen spende ich jeden Sonntag nach der Messe einigen Schwerkranken in deren Wohnung die Heilige Kommunion, segnete sie und betete mit ihnen. Kardinal Frings wollte, dass wir als Diakone auch die Krankensalbung spenden dürfen. Er sagte, man könne alles aufschieben, den Termin für die Taufe, für die Hochzeit, selbst die Weihe, aber das Sterben nicht.

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Frage: Aber bis heute ist die Krankensalbung für Diakone nicht möglich…

Speicher: Ja, damals hofften wir, dass dies den Diakonen noch zusätzlich erlaubt werden könnte. Aber die Entscheidung verzögerte sich und das Konzil ging zu Ende, ohne dass diese Frage geklärt wurde. Der Kardinal riet uns Diakonen daher: "Dann beten Sie stattdessen mit den Sterbenden. Der Herrgott hört es auch so. Verwenden Sie einfach den Konjunktiv: 'Der Herr möge dir die Sünden nachlassen.' Dann segnen Sie ihn als Amtsträger der Kirche. Das macht der Herr dann auch, so gütig ist er schon." So war unser Kardinal. Seinem Ratschlag vertrauend habe ich in kritischen Situationen auch mehrmals so gehandelt, aber, wenn noch möglich, einen Priester gerufen.

Frage: Haben Sie sich als Kleriker zweiter Klasse gefühlt?

Speicher: Nein. Dieses kirchliche Amt gibt mir so viele Möglichkeiten, den Menschen zu dienen. Natürlich hätte ich im Rückblick vieles besser machen können. Ich bemühte mich möglichst das zu tun, wozu ich als Diakon in Zusammenarbeit mit dem Bischof berufen und beauftragt bin. Und das war viel! Von den Leuten wollte ich mich immer mit meinem Familiennamen anreden lassen und nicht mit "Herr Diakon". Auch der Römerkragen widerte mich an, ich wollte nie so klerikal wirken wie einige meiner Mitbrüder. Ich trug stattdessen immer einen ordentlichen Anzug und ein kleines Kreuz am Revers, das zu einem "D" umgeformt war. Damit war klar, das "D" steht für mich als Diakon und meinen Dienst an Gott und den Menschen.

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Frage: Was hätten Sie sich mehr gewünscht als Diakon?

Speicher: Die Mitbrüderlichkeit unter den Klerikern vermisse ich bis heute sehr. Der klerikale Neid ist bis heute noch nicht überwunden. Auch unter Mitbrüdern habe ich dies oft schmerzreich erfahren. Wie oft musste ich den Satz hören: "Du bist ja verheiratet, du hast ja jemanden." Dafür bin ich auch dankbar und bis heute glücklich verheiratet. Nächstes Jahr feiern meine Frau und ich unser diamantenes Hochzeitsjubiläum.

Frage: Welchen Wunsch richten Sie an Ständige Diakone von heute?

Speicher: Heute würde ich einem Diakon sagen: "Bleib wahrhaftig und orientiere dich am Evangelium". Am Hinterausgang des früheren Priesterseminars in Bensberg steht: "Ihr sollt meine Zeugen sein." Und genau das sollte das Programm eines Diakons sein: "Sei ein Zeuge Jesu und trage Jesu Botschaft in die Welt, denn die ist einfach. Jesus hat niemanden ausgeschlossen, er hat die Menschen bis ins Tiefste hinein geliebt und sie nicht verurteilt. Er hat sich mit den Menschen gefreut und mit ihnen getrauert. Er war barmherzig mit denen, die Fehler gemacht haben. Warum sollen wir zum Beispiel die wiederverheiratet Geschiedenen verteufeln, Andersgläubige meiden und die aus der Kirche Ausgetretenen verachten? Da wünsche ich mir mehr Barmherzigkeit auch von kirchlichen Amtsträgern.

Von Madeleine Spendier

Die erste Weihe von Ständigen Diakonen 1968 in Köln

Weihbischof Augustinus Frotz weihte am 28. April 1968 Gottfried Custodis, Günter Orbach, Josef Völker, Wolfgang Speicher und Herbert Dickmann zu den ersten Ständigen Diakonen weltweit. Diakone sind Seelsorger, die wie Priester taufen, bei Hochzeiten assistieren, beerdigen und predigen. Sie leiten keine Eucharistiefeier, spenden nicht die Krankensalbung und hören keine Beichte. Ständige Diakone dürfen verheiratet sein und üben teilweise einen Zivilberuf aus. Heute gibt es weltweit 45.255 Ständige Diakone, deutschlandweit etwa 3295. Im Erzbistum Köln üben 101 Männer den Diakonat im Hauptberuf und 81 mit Zivilberuf aus. Im Kölner Diakoneninstitut werden derzeit 45 Männer ausgebildet.