Der Erfinder des Adventskranzes
Für viele christliche Bräuche lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, wann und wo sie entstanden sind, geschweige denn, wer sie erfand. Beim Adventskranz ist das anders. Sein Erfinder ist namentlich bekannt: Johann Hinrich Wichern (1808-1881), ein evangelischer Theologe aus Hamburg. Auch der Zeitpunkt der Erfindung lässt sich genau datieren: 1839. Im Dezember dieses Jahres steckte Wichern im "Rauhen Haus", einem Heim für verwahrloste und schwer erziehbare Kinder in Hamburg, erstmals Kerzen auf ein Wagenrad und ließ täglich eine davon anzünden. Hinter dieser Erfindung stand die kindliche Ungeduld. Auch die Pflegekinder in Wicherns Heim wollten im Dezember nur eins von ihren Erziehern wissen: Wann ist endlich Weihnachten?
Der Ur-Adventskranz hatte anders als heute üblich noch 23 Kerzen, vier große weiße für die Adventssonntage und 19 kleine rote für die Werktage bis zum Heiligabend im Jahr 1839. Tannengrün gab es bei Wichern zunächst nicht. Erst seit 1860 wurde der Adventskranz im "Rauhen Haus" mit Tannenzweigen und weißen Bändern verziert.
Mit 25 widmete Wichern sein Leben den Kindern
Wichern hat jedoch nicht nur vier Kerzenlichter in die vorweihnachtlichen Wohnzimmer gebracht. Im übertragenen Sinne hat er für Licht in ganz Deutschland gesorgt: Auf seine Initiative hin wurde 1849 der "Centralausschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche" gegründet, der Vorläufer des Diakonischen Werks des Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Entstehung von sozialen Einrichtungen der Inneren Mission beschleunigte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Verbreitung des Adventskranzes.
Wichern selbst hatte bereits früh den Ernst des Lebens kennengelernt. Er wurde 1808 als ältestes von acht Kindern in einfache bürgerliche Verhältnisse in Hamburg geboren. Sein Vater starb, als er 15 Jahre alt war. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Berlin und Göttingen gründete er 1833 im Alter von nur 25 Jahren in Hamburg das "Rauhe Haus" zur "Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder" aus den Elendsvierteln der Hafenstadt.
Das Konzept des jungen Theologen war für damalige Verhältnisse revolutionär: Die Kinder und Jugendlichen sollten in familienähnlichen Verhältnissen aufwachsen. Erzogen und unterrichtet wurden sie zumeist von Handwerkern, die Wichern selbst dazu ausbildete, den sogenannten Brüdern. Pate stand hierbei der bekannte Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) mit seinem Konzept einer ganzheitlichen Erziehung, die Körper und Geist umfasst. Schon bald war die Einrichtung über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt und wurde zum Vorbild moderner Jugendfürsorge.
Wichern machte sich jedoch nicht nur in der Jugendfürsorge einen Namen. Er setzte sich auch für einen humaneren Strafvollzug ein. Im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. inspizierte er 1852 und 1853 die preußischen Gefängnisse. Seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen prägten maßgeblich die Neuorganisation des Preußischen Mustergefängnisses in Berlin-Moabit. 1857 wurde Wichern Beamter im Dezernat für das Armen- und Gefängniswesen des preußischen Innenministeriums. Im folgenden Jahr gründete er eine Einrichtung zur Ausbildung von Gefängnisaufsehern.
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Sein Erfinder erlebte es nicht mehr, dass der Adventskranz zum Grundinventar deutscher Wohnzimmer in der Vorweihnachtszeit wurde. Als Wichern 1881 starb, begann der Siegeszug des Adventskranzes eben erst. Zunächst blieb es ein Brauch des protestantischen Bürgertums. Erst im 20. Jahrhundert kam der Adventskranz auch in katholische Haushalte und Kirchen. Die ersten Exemplare in katholischen Kirchen sind für die 1920er Jahre belegt.
Brandgefahr und fehlender Platz
Mit dem Einzug des Adventskranzes in die deutschen Wohnzimmer reduzierte sich die Zahl der Kerzen Ende des 19. Jahrhunderts bald auf die bis heute üblichen vier Stück - wahrscheinlich, weil die Brandgefahr bei so vielen Kerzen zu groß war und der nötige Platz oft fehlte.
Das "Rauhe Haus" in Hamburg gibt es bis heute, von Wicherns Ur-Adventskranz ist allerdings nichts mehr zu sehen, wie die Pressestelle des Rauhen Hauses mitteilt. Am Montag wird dort wieder ein Adventskranz entzündet. Dabei werde auch an Wichern erinnert, so der Pressestelle, aber Kerzen gebe es nur vier.