Was Ratzinger und Küng verbindet
Wenn er je in den Himmel kommen sollte, scherzte der evangelische Theologe Karl Barth einst, dann werde er sich dort "zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen". Seine Vorliebe für Mozart erklärte Barth so: Mozart musiziere "keine Lehren und erst recht nicht sich selbst." Bachs Musik hingegen sei "Botschaft", Beethovens "Lebensbekenntnis".
Barth ist vielleicht nicht der einzige seiner Zunft, der im Himmel zuerst den Schöpfer der Zauberflöte und der Krönungsmesse sucht, bevor er den großen Theologen seine Reverenz erweist. Offensichtlich ist zumindest so viel: Kein Komponist hat die großen Theologen des 20. Jahrhunderts so in seinen Bann gezogen wie Mozart: Nicht nur Barth, auch Hans Urs von Baltasar, Joseph Ratzinger und Hans Küng haben sich wiederholt zu ihrer Vorliebe für Mozart geäußert.
Mehr als Schwärmerei
Bei bloßer Schwärmerei blieb es in Barths Fall nicht. In seiner "Kirchlichen Dogmatik", einem der einflussreichsten theologischen Werke des 20. Jahrhunderts, gibt es einen mehrseitigen Mozart-Exkurs. Darin erklärt Barth mithilfe von Mozarts Musik den theologischen Begriff des Nichtigen, also dem, das Gottes guter Schöpfung entgegensteht. Seine Musik ist für Barth ein Beispiel dafür, dass Hell und Dunkel in der Schöpfung vorhanden sein können, ohne dass sie gleich gewichtet sind und damit die gute Schöpfung infrage stellten. "Mozart macht hörbar, daß die Schöpfung auch nach dieser Seite (dem Nichtigen) und also in ihrer Totalität den Meister lobt und also vollkommen ist", so Barths Resümee.
Spuren der Transzendenz
Auch zwei prominente katholische Theologen des 20. Jahrhunderts, die sich ihre wissenschaftlichen Meriten mit Arbeiten über Barth verdienten, sind bekennende Mozart-Fan: Hans Urs von Balthasar und Hans Küng. Der Tübinger Theologie widmete ihm 1992 sogar ein eigenes Buch mit dem Titel "Mozart - Spuren der Transzendenz". Dieses Werk dürfte vermutlich das einzige Küngs sein, von dem sein theologischer Kontrahent Joseph Ratzinger nahezu jeden Satz unterschreiben könnte. Als Theologieprofessor wie als Papst kam Ratzinger immer wieder auf Mozart zu sprechen. Der verstorbene Kölner Kardinal Joachim Meisner nannte Benedikt XVI. darum sogar selbst einmal "Mozart der Theologie".
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Doch warum hören große Theologen so gerne Mozart? Gibt es dafür eine musikwissenschaftliche oder eine theologische Erklärung? "Wenn irgendein großer Musiker, so war Mozart ein katholischer Komponist“, konstatiert Alfred Einstein, einer der maßgeblichen Mozart-Biographen. Als Katholik möge Mozart "kritische oder freie Anwandlungen" gehabt haben, in seiner Kirchenmusik sei er jedoch fromm gewesen. Katholisch will der Musikwissenschaftler hierbei allerdings in einem höheren Sinne verstanden wissen als "Humanität" und "Appell an alle frommen und kindlichen Herzen in ihrer Unmittelbarkeit".
Schön wie die Schöpfung
Eine zufriedenstellende Antwort scheint das allerdings kaum zu sein. Denn wenn es einen evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts gab, der keine Sympathien für den Katholizismus hegte, dann war das Karl Barth. Auffällig ist allerdings, dass sich die Beschreibungen der Musik Mozarts von so unterschiedlichen Theologen wie Ratzinger und Barth ähneln: "Mozart ist schön wie die Schöpfung schön ist", sagte Benedikt XVI. einmal. Barth formuliert offenbar einen ähnlichen Gedanken etwas ausführlicher so: Der Mensch Mozart habe den Kosmos vernommen und werde zum Medium, dass ihn "zum Singen bringt". Auch hier könnte man einwenden, dass die Äußerungen letztlich auf recht allgemeinem Niveau stehen blieben. Wirklich erklären können auch Theologen Mozart nicht – auch wenn sie Barth oder Ratzinger heißen. Man muss ihn hören!