Der Jesuit auf der Reeperbahn
"Maschinengewehr Gottes", "roter Pater", "schwarzer Goebbels": Viele Namen hat der Jesuit Johannes Leppich bekommen. Statt auf der Kanzel stand er am liebsten auf dem Dach seines VW-Kombis, auf Ladeflächen von LKWs, in Fabrikhallen und Stadien. "Ich muss an ein Publikum ran, das keinen Weihrauch mehr riechen kann, das in keine Kirche geht", sagte er über seine Vorträge, in denen er mit markigen bis derben Worten über den Verfall der Gesellschaft, über Armut, Kommunismus, Krieg und Frieden, über sexuelle Ausschweifungen wetterte – und immer wieder: über oberflächliche Frömmeleien und ein "verfettetes Christentum". "Leppich war kein Prediger. Er war Straßenredner", sagt sein Orden heute über ihn.
Zu den Jesuiten ist der 1915 im oberschlesischen Ratibor Geborene eher durch Zufall gekommen. Als 17-jähriger überzeugter Hitlerjunge streitet er mit seinem Religionslehrer, der irgendwann nicht weiter weiß und ihn zu den Jesuiten auf Exerzitien schickt. Die will er auch aufmischen: "Ich wollte die Mönche fertigmachen, wissen sie, ich habe die natürlich nicht ernst genommen. Aber zwei Tage, und da haben die mich fertiggemacht", sagt er selbst über sein Bekehrungserlebnis. Er wird Novize, zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, für die Wehrmacht gilt er wegen seiner Ordenszugehörigkeit als "wehrunwürdig".
Seelsorge für Arbeiter und Soldaten
Als junger Priester geht er nach dem Krieg dahin, wo sich sonst niemand hinwagte: ins Flüchtlingslager Friedland als Lagerpfarrer, später betreute er die ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die nach dem Krieg in britischen Arbeitseinheiten eingesetzt waren: "Männer", so schreibt der Spiegel in einem Porträt Leppichs Mitte der 1950er, "die zwar nicht die Zehn Gebote, dafür aber alle Bordelle im Umkreis kannten." Hier lernt Leppich, so zu reden, dass ihm auch die zuhören, die sonst nicht auf Kirchenleute hören.
"Christus oder Chaos" heißt sein erster großer Vortrag, 1948 im Essener Circus Bügler. 5000 Menschen kommen – später werden es immer mehr, die den charismatischen Priester in der einfachen schwarzen Soutane hören wollen. 20.000 kommen nach Hamburg, wo er auf der Reeperbahn redet. Trotz Regen zieht er 22.000 nach Bochum, 35.000 nach Köln – und im kleinen Fulda bringt er sogar 40.000 auf die Straße.
Dabei redet er seinem Publikum nicht nach dem Mund, beschimpft es sogar, immer wieder wirft er seinen Zuhörern Lauheit vor. Wenn jemand grinst oder den Vortrag vorzeitig verlässt, ist das für den Jesuiten eine Steilvorlage: "Bleiben sie doch weg! Gehen sie doch in die Kneipe! Wenn sie ihre Kinokarten in der Tasche haben, dann bleiben sie doch weg!"
Der "verfluchte Sexualismus unserer Zeit"
In seinen Vorträgen geht es häufig um sexuelle Ausschweifungen, um Mädchen, die zu leichtfertig ihre Jungfräulichkeit hingeben, um Buben, die unkontrolliert ihren Trieben nachgehen. Er spricht dabei nicht vornehm um das Thema herum, er nennt die Dinge drastisch beim Namen. "Wir krepieren noch einmal an unseren Frauen und Mädchen, die ihr Heiligstes jeden Tag in den Dreck werfen, krepieren an der erotischen Überreizung und am verfluchten Sexualismus unserer Zeit", ist so ein Leppich-Satz. Man merkt ihm die Freude an der Provokation an, wenn er an der bürgerlichen Fassade seiner Zuhörer kratzt: "Ich werde Huren 'Huren' nennen - auch dann, wenn Sie zu einem Ehebrecher 'Hausfreund' sagen, gnädige Frau!"
Die Vorträge zur Sexualaufklärung gehören zu seinen Kassenschlagern, zu Zehntausenden werden sie auf Schallplatten verkauft. Oft folgen auf die großen Vorträge noch kleinere, nach Geschlechtern getrennte Veranstaltungen mit "Sexualvorträgen, ganz diskret, auf Magnetophonband".
Antikommunist mit einem Herz für die Arbeiter
Neben dem Sex hat es die Armut dem Pater angetan. Wortgewaltig prangert er die sozialen Zustände an, in Deutschland und weltweit. Überhaupt, die internationale Solidarität ist ihm wichtig: Beim Beten hat er einen Globus vor Augen, sagt er einmal im Gespräch mit Jugendlichen. Immer wieder ist der Vietnamkrieg für ihn Thema. Auch wenn er bisweilen wegen seines Einsatzes für die Arbeiter – er ist in Deutschland einer der Gründer der Christlichen Arbeiterjugend – als "roter Pater" angekündigt wird, ist er doch alles andere als ein Roter.
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Ausdauernd wettert er gegen den Kommunismus, gegen die "Totenbeschwörung", die die Sowjets mit dem Leichnam Lenins veranstalten, durch die das "Leichengift" Lenins durch Europa wabere. Ein strammer Antikommunist, sogar mit Sympathien für Franco, den katholischen Diktator Spaniens – doch "Antikommunist" will er nicht genannt werden. Ihm nötigen alle Respekt ab, die nicht lau sind: "Ein Kommunist, der wirklich glüht, der steht mir näher als ein verfetteter Katholik, der unseren Herrgott, seinen Glauben, seinen Idealismus verraten hat!"
Ein Spendensammler vor dem Herrn
Es bleibt nicht bei großen Vorträgen. Seine Auftritte nutzt Leppich, um Spenden einzutreiben, einzufordern, er packt seine Zuhörer bei der Ehre: "Gestern bekam ich einen Brief von einem Kommunisten, der schrieb: Pater, Du kannst mit Deinen Reden einpacken, wenn Du es nicht fertigbringst, einem armen Teufel einen Sack Kartoffeln in den Keller zu stellen." Spendensammlungen gehören zu seinen Vorträgen, und der Pater erwartet echte Spenden: "Wenn du fünf Pfennig reinwirfst, dann schäm dich, dann brauch ich dich nicht, wenn du reich bist", sagt er. Aber auch: "Wenn du arm bist, dann komm zu mir, dann gebe ich Dir was!"
Auch sonst war Leppich umtriebig: Neben der Christlichen Arbeiterjugend war er auch an Gründung der Telefonseelsorge beteiligt, er gründete die "action 365", in der junge Menschen in "Pater-Leppich-Kreisen" täglich die Bibel lasen und sich sozial engagierten.
Geschont hat Pater Leppich sich nicht. Sein Körper zwingt ihn schließlich trotzdem, kürzerzutreten. Anfang der 1970er hat er einen Herzinfarkt, er kann nicht mehr regelmäßig auftreten und stellt seine Vorträge ein: Die Ära des Wanderpredigers war vorbei. Einige Jahre später zog er ins Altersheim seines Ordens in Münster. Heute vor 25 Jahren, am 7. Dezember 1992, starb dort Pater Johannes Leppich.