Warum der Papst sich nicht im Spiegel anschaut
Per Videokonferenz hat Papst Franziskus sich am Montag den Fragen von Studenten der Sophia-Universität in Tokio gestellt, einer Hochschule in Trägerschaft des Jesuitenordens. Dabei ging es unter anderem um Migranten, Umwelt, Religion und - um den Papst selbst. Katholisch.de präsentiert Auszüge aus dem Gespräch:
Eine Theologiestudentin, die sich kürzlich hat taufen lassen: Was war Ihr schönstes Erlebnis seit Ihrer Wahl zum Papst?
Papst Franziskus: Es gab nicht nur eines, sondern viele. Mir gefällt es, mit Menschen zu sein, sie zu begrüßen; wenn ich mit Kindern reden kann, mit Alten oder Kranken. Es hilft mir, mit anderen Menschen zusammenzusein, das macht mich jünger. (...)
Ein Student der Ingenieurwissenschaften: Was ist das vorrangige Ziel einer Universitätsausbildung?
Papst Franziskus: (...) Die Ausbildung soll zum harmonischen Wachstum einer Person führen, damit er alle drei Sprechweisen des Menschen nutzen kann: den Intellekt, das Herz und die Sprache der Hände. Eine echte Ausbildung muss diese drei Sprachen harmonisieren, so dass am Ende eines Studiums wir einen Mann oder eine Frau haben, die fühlen, was sie denken und tun, und die das tun, was sie fühlen und denken. Diese Harmonie ist kein in sich ruhendes Gleichgewicht, sondern stets offen zu dienen (...)
Eine angehende Ingenieurin: Was sind Ihre Sorgen und Ihre Hoffnungen die heutige Jugend betreffend?
Franziskus: Von der Jugend sagt man, sie sei die Hoffnung der Zukunft; ich hoffe, sie hat die Kraft dazu. Aber ich sorge mich wegen einer gewissen Beschleunigung in den Beziehungen und der Lebensweise, welche die Jugendlichen ihr Gedächtnis und ihre Wurzeln verlieren lässt. Meine größte Sorge um die Jugend ist, dass sie die Wurzeln ihrer Kultur, Geschichte und Menschlichkeit verlieren. Jugendliche ohne Wurzeln. (...) Die Jugendliche dürfen nicht still bleiben, sie müssen stets in Bewegung bleiben - in ihrem ganzen Wesen, aber verwurzelt in ihren Ursprüngen. Meine Sorge sind die stillen Jugendlichen, die sich mit 25 Jahren schon angekommen, arriviert fühlen, sich in einer Behaglichkeit wiederfinden, die sie sie selber quasi unschädlich macht. (...)
Ein Student aus Myanmar: Viele sagen, Religion sei gefährlich, andere, sie sei notwendig. Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Relgion für unsere Welt?
Franziskus: (...) Religion ist kein erfundenes Theater, sondern entsteht aus der menschlichen Unruhe, aus sich herauszugehen und dem absoluten Gott zu begegnen. (...) Aus dieser Dimension sind die großen religiösen Bekenntnisse hervorgegangen. (...) Ein religiöser Glaube, der dich nicht wachsen lässt oder dich nicht in den Dienst für die Armen nimmt, ist unreif. Die christliche Offenbarung, die ich bekenne, kennt als Grundregel, Gott anzubeten und auch den Letzten zu dienen. Zudem will ich euch noch etwas sagen, das ich für wichtig halte: Etwas sehr Schädliches ist es, ein Heuchler zu sein, jemand der sagt, er habe Glauben, der aber handelt wie ein Atheist. (...) Außerdem gibt es das Phänomen des Fundamentalismus. In allen Religionen gibt es eine kleine Gruppe von Fundamentalisten, die nicht der Grundidee ihres Glaubens entsprechen, ein sozio-politisches Rückzugsgebiet degenerierter Religion. (...) Jene, die Schaden anrichten, sind der Heuchler und der Fundamentalist.
Frage: Viele Menschen haben ein sehr positives Bild von Ihnen. Wie sehen Sie sich selber?
Franziskus: Das ist eine Frage, die eine Kosmetikerin stellen könnte. Das Problem nach dem Selbstbild ist, dass wir dabei an einen Spiegel denken. Wenn wir uns kämmen und in den Spiegel schauen, haben wir ein Bild von uns. Aber wenn der Spiegel dein Leben bestimmt, wird dies zu einer fast narzistischen und selbstbezogenen Attitüde. (...) Das Bild, das ich von mir selber habe - ich versuche, mich nicht im Spiegel zu sehen. Ich versuche, mich von innen zu sehen, von dem her, was ich tagsüber gefühlt habe, und mich dann zu beurteilen. Ganz allgemein sehe ich mich als Sünder, den Gott sehr liebt und den er weiter liebt. Konkret betrachte ich dann jeden Tag, wie ich mich verhalte, die Entscheidungen, die ich treffe, die Fehler, die ich mache - ein Bild, das sich bewegt, wie das Leben sich bewegt.
Frage: Die Flüchtlinge und die Gemeinschaft, die sie aufnimmt, sollen gemeinsam wachsen. Können Sie uns das besser erklären?
Franziskus: Das Flüchtlingsproblem ist ein sehr großes in der Menschheitsgeschichte. Die menschliche Person ist ein Migrant. Für Europa ist das Migrationsproblem die größte Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg. Dort entsteht ein Problem, das wir angehen müssen: Einen Migranten kann man nicht einfach zurückschicken; er ist eine menschliche Person mit Würde, geflohen vor Krieg oder Hunger. Migranten muss man integrieren. Sie in ein Ghetto zu stecken, ist keine Integration. (...) Selbstverständlich muss jedes Land selber prüfen, wie viele es aufnehmen kann; dafür lobe ich Schweden. Auch Italien und Griechenland, die allen helfen, die ankommen, muss ich loben. Wo es an Integration mangelt, schafft man Probleme für den Frieden. (...) Der Migrant muss die Gesellschaft, die ihn aufnimmt, respektieren. Migration ist ein Dialog. (bod/KNA)