Sie arbeiten an Heiligabend – freiwillig
Wer Irene Bellinghausen begegnet, merkt schnell, dass sie zupackenden kann. Die herzliche 66-Jährige mit den kurzen Haaren engagiert sich schon seit zweieinhalb Jahren in der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof Bonn. "Nach der Rente wollte ich mich für andere einsetzen", erzählt Bellinghausen. Ihr Gesicht strahlt, wenn sie von ihrer Arbeit am Gleis berichtet. Es kommen sehr unterschiedliche Menschen zur Bahnhofsmission: Einige wollen einen Kaffee und ein Gespräch, andere brauchen Hilfe beim Umsteigen, wieder andere möchten sich einfach nur aufwärmen. "Das Da-Sein ist bei uns das Wichtigste", sagt die Bonnerin.
Auch an Heiligabend wird Bellinghausen in der Bonner Bahnhofsmission für die Menschen da sein. "Für mich ist das ein Zeichen von lebendiger Kirche", sagt die Katholikin über ihr Ehrenamt am Nachmittag des Heiligen Abend, der für viele Menschen zu einem der gemütlichsten Tage des Jahres gehört. Gerade die "Gestrauchelten", wie sie die Obdachlosen und Bedürftigen nennt, bräuchten an diesem Tag ein schönes Erlebnis. Die Feier sei von einem regen Kommen und Gehen geprägt, es gebe Stollen und Plätzchen und es würden sogar Weihnachtslieder gesungen, begleitet am Keyboard vom Leiter der Bahnhofsmission. So war es jedenfalls im letzten Jahr, als Bellinghausen das erste Mal an Heiligabend dabei war.
Doch Bellinghausen fühlt sich selbst als Beschenkte: "Ich bekomme an diesem Nachmittag sehr viel zurück", sagt sie lächelnd. "In der Bahnhofsmission ist alles ein Geben und Nehmen." Nach der Feier wird sie nach Hause fahren, denn "irgendwann ist es auch gut mit dem Ehrenamt". Doch daheim wartet niemand auf sie. Bellinghausen ist unverheiratet und hat keine Kinder. In den letzten Jahren habe sie mit Verwandten gefeiert, doch in die Bahnhofsmission zu gehen, gebe dem Heiligabend mehr Sinn, verrät sie. Für die Besuche bei den Verwandten gebe es schließlich auch noch die Weihnachtstage.
Auch Matthias Kehrein ist Heiligabend für Benachteiligte da. Bereits seit sechs Jahren engagiert sich der selbstständige Fotograf bei der Weihnachtsfeier der Bonner Caritas. "Das ist eine gute Möglichkeit, anderen zu helfen", sagt Kehrein nachdenklich. Vor einigen Jahren lernte er die City-Station in der Bonner Innenstadt während der Arbeit für die Lokalzeitung kennen. In dieser Einrichtung findet jedes Jahr eine große Weihnachtsfeier mit Festessen und Bescherung für etwa 400 bedürftige Menschen statt. Beim Essen, das wegen des großen Andrangs in mehreren Schichten serviert wird, bedient er die Gäste. "Man merkt, wie dankbar die Menschen für diesen Dienst sind", so Kehrein.
Denn viele hätten ein schweres Leben, auch wenn man es ihnen nicht ansehe: "Bei einigen Gästen erkennt man, dass sie auf der Straße leben, andere kommen im festlichen Anzug." Traurig sei es, wenn das leckere Essen auf den Tellern bleibe, was oft bei Drogenabhängigen vorkomme, sagt der 48-Jährige mit besorgtem Gesichtsausdruck. Der Höhepunkt der Weihnachtsfeier ist jedes Jahr die Bescherung. "Es gibt gespendete Geschenkboxen von verschiedenen Einrichtungen", so Kehrein. Besonders den Kindern der anwesenden Familien könne man an ihren leuchtenden Augen ansehen, wie sehr sie sich über die Gaben freuen.
Für den praktizierenden Buddhisten ist sein Engagement auch eine Möglichkeit, Werte wie Nächstenliebe an seine beiden Töchter weiterzugeben. Denn bereits seit mehreren Jahren begleiten ihn seine heute 16- und 18-jährigen Kinder zum weihnachtlichen Engagement. Zu Beginn musste Kehrein seine Töchter überreden, ihn zu begleiten. Doch inzwischen freuen auch sie sich auf den zur Tradition gewordenen Termin am Nachmittag des Heiligabends. "Wir finden, dass es ein schöner Anfang für diesen Tag ist: sich erst um andere zu kümmern und dann um sich selbst", schildert Kehrein die familiäre Motivation zum Ehrenamt. Auch wenn es manchmal anstrengend sei, sind sie froh, Bedürftigen helfen zu können.
Nach dem Einsatz für die Caritas werden Matthias Kehrein und seine Töchter nach Hause fahren und dort gemeinsam im Kreis der Familie die Bescherung begehen. Etwa zur gleichen Zeit wird Irene Bellinghausen von der Bahnhofsmission in ihre Wohnung zurückgekehrt sein. Sie hat vor, alleine Weihnachten zu feiern und Musik zu hören. So unterschiedlich sie den Heiligen Abend auch verbringen werden, sie sind vereint durch das Engagement für ihre Mitmenschen in den Stunden zuvor.