So wird Silvester im Kloster gefeiert
Über Nacht hat es geschneit. Doch vom Schnee ist am Vormittag fast nichts mehr übrig. Dicke Regentropfen verwandeln das zuckrige Weiß in graubraune Sülze. Triste Wolken bedecken den Himmel über der Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg. Als ob sich das Wetter an die eigenartige Stimmung kurz vor dem Jahreswechsel anpassen würde. Die einen lassen in diesen Tagen Vergangenes Revue passieren, die anderen nehmen sich gute Vorsätze für das kommende Jahr vor und wieder andere planen die große Silvesterparty. Und dann gibt es die, die Silvester im Kloster verbringen. Im Grunde genommen machen sie nichts anderes – und doch ist alles anders.
Schlafen, Gebet, Gruppenarbeit, Essen. So könnte das Programm in Münsterschwarzach für die vier Tage über den Jahreswechsel knapp zusammengefasst werden. So einfach ist es in der Realität dann aber nicht. "Das Jahr auf etwas andere Art und Weise beenden" steht in der Veranstaltungsbeschreibung für den Silvesterkurs in der Abtei Münsterschwarzach. Teilnehmen können jungen Menschen von 16 bis 30 Jahren. Dieses Mal sind auch drei Familien mit Kindern dabei. Insgesamt 49 junge Erwachsene verbringen den Jahreswechsel im Kloster. Ganz bewusst. Der Tag ist von früh bis spät strukturiert. Das ist aber nicht das, was Silvester für die Teilnehmer so besonders macht.
Wer Spiritualität sucht, wird an diesem Ort fündig
Es ist vielmehr die innere Haltung und Besinnung, die sich schon beim Anblick der vier Türme des Klosters aus der Ferne automatisch einstellt. Wer Spiritualität sucht, wird an diesem Ort fündig. Und selbst wer sie nicht direkt sucht, findet im Kurs seine persönliche Beziehung zu Gott. Die Struktur der bewussten Unterbrechung zum Gebet, die den Tag der Mönche im Kloster unterteilt, durchzieht auch das Kursprogramm.
"7 Uhr Wecken" steht dort, danach Morgenandacht. Doch nicht der erste Punkt. Wer will, kann um 6 Uhr zur Vigil der Mönche gehen. Einige Teilnehmer tun das auch. "Wichtig ist aber, dass jeder auf sich selbst achtet und auf das, was ihm gut tut", erklärt Thomas Tribula vom Organisationsteam. Viele Stunden an Vorbereitung hat er vorher in den Silvesterkurs gesteckt. Alles nebenbei, alles ehrenamtlich. Mit vier Mönchen aus dem Kloster und sieben weiteren Personen in der "Orga" kümmert er sich darum, dass alles läuft. Verpflegung im Aufenthaltsraum, Ablaufplanung, Schlüsseldienste für das Gebäude und natürlich: der Weckruf. Legendär, sagt man. Geschlafen wird zu zweit, dritt oder viert auf mitgebrachten Isomatten in Klassenzimmern des Egbert-Gymnasiums, das zur Abtei gehört.
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Die Missionsbenediktiner von Münsterschwarzach gehören zur sogenannten Benediktinerkongregation von St. Ottilien. Diese Gemeinschaft ist weltweit mit 19 selbstständigen Klöstern organisiert. Insgesamt hat die Kongregation Mönche an 56 Niederlassungen. Von den knapp 1.000 Mönchen leben derzeit über 80 in der Abtei in Münsterschwarzach. Klosterbuchladen, Verlag, Bäckerei, Metzgerei und das Gymnasium: Alles ist hier in den Händen der Benediktiner. Natürlich auch die Jugendarbeit. Neben dem Silvesterkurs gibt es für junge Erwachsene auch Kurse während der Kar- und Ostertage und über Pfingsten. Gäste zu beherbergen ist etwas, was bei den Benediktinern in der Mönchsregel ihres Begründers Benedikt von Nursia verankert ist. In Kapitel 53 heißt es "Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus (…)".
„Man kann an wenigen Orten so man selbst sein, wie hier.“
Viele der Teilnehmer am Silvesterkurs sind "Wiederholungstäter". Eine von ihnen ist die 22-jährige Janina. Nur einmal war sie in den vergangenen Jahren nicht im Kloster. "Das fand ich ganz grauenhaft", lacht sie. "Silvester in Münsterschwarzach, das muss einfach sein." Immer wieder hat es sie in der Vergangenheit in die Benediktinerabtei gezogen. Das Kloster ist für sie ein wichtiger Ort. Für junge Menschen ist das kein selbstverständliches Denken. Das erzählen auch andere aus dem Kurs. In ihren Umkreis würden die Menschen zum Teil auch sehr irritiert reagieren. Silvester im Kloster? Als junger Christ sei man ständig in einem Rechtfertigungsmodus für seinen persönlichen Glauben. In Münsterschwarzach nicht. "Man kann an wenigen Orten so man selbst sein, wie hier", sagt Janina.
Intensive und herausfordernde Erlebnisse
Ein essentieller Punkt auch für Pater Jesaja. Er ist der erste Ansprechpartner für die Jugendlichen von den Benediktinermönchen der Abtei. Der junge Benediktiner merkt sofort, wie sich die Jugendlichen fühlen – und fühlt mit ihnen. Denn bei den Kursen kann es durchaus auch emotional werden: "Für uns sind Tränen etwas, was wir Gnadentränen nennen. Sie können natürlich einen tragischen Hintergrund haben, aber das löst sich genau in diesem Moment. Und das ist dann positiv." Ganz wichtig dabei: Der geschützte Raum, besonders während der Gruppenarbeit. "Dieses Vertrauensverhältnis in den Gruppen findet man sonst nirgendwo", erzählt auch Katharina. Es sind intensive und herausfordernde Erlebnisse für die jungen Erwachsenen.
In drei Kleingruppen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten beschäftigen sich die Teilnehmer mit dem, was im vergangenen Jahr in ihrem Leben passiert ist. In einer Gruppe wurden die Erlebnisse verbrannt. Abschied nehmen, von dem, was war. In einer anderen Gruppe sitzen und liegen die Teilnehmer auf dem Boden und malen das, was sie bewegt hat. Vergangenes bewusst abschließen, offen sein, für Kommendes. "Man bekommt hier die Struktur, dass man besser auf das Jahr zurückblicken kann. Die Emotionen und Gefühle dürfen hier einfach sein", erzählt Heli. Für den 20-Jährigen ist es auch nicht der erste Kurs. Aus guten Gründen: "Wenn ich hier herkomme, kann ich alles andere draußen lassen."
Auch die "richtige" Silvesterfeier bleibt im Kurs draußen. Erst einmal. Zunächst heißt es beten statt ballern. Wortwörtlich. Denn den tatsächlichen Jahreswechsel verbringen die Teilnehmer in der Abteikirche. Über Stunden im Gebet – laut und still. Die Silvesternacht beginnt für sie alle um 21.15 Uhr in der Schulkapelle. Der Gang bis zur Kapelle ist von Kerzen erleuchtet. Das Programm haben sie in den Tagen vorher gemeinsam erarbeitet.
Später ziehen sie gemeinsam singend und betend im Schein der Kerzen in die Abteikirche. Dort ist während des eigentlichen Neujahrszeitpunktes stilles Gebet. Jeder ist dort für sich. Liegend, sitzend, nur die Kerzen spenden Licht. Und um 0 Uhr blitzt das Feuerwerk von draußen durch die Kirchenfenster. "Für mich ist das ein ganz wichtiger Moment. In Stille zu sein und von innen die Lichter des Feuerwerks zu sehen und so ins neue Jahr zu gehen", erzählt Janina. Danach versammeln sich alle um den Altar und beten das Vaterunser.
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"Durchbetete Räume" nennt Pater Jesaja das. Während er von der Silvesternacht erzählt, schließt er die Augen. Er bekommt Gänsehaut, sagt er. Und das sage alles über dieses Erleben aus. In Gemeinschaft zu beten, in die Vereinzelung mit sich zu gehen und danach wieder die Gemeinschaft in Vaterunser und Eucharistiefeier zu erleben sei eine einzigartige spirituelle und emotionale Erfahrung. Etwas, was nachhaltig wirkt. Auch bei der anschließenden Silvesterparty für die, die noch feiern wollen. Denn auf die wird auch im Kloster nicht verzichtet - wenn auch ohne Alkohol. Und das ist nicht das einzige, was Silvester in Münsterschwarzach so anders macht.