Zu wenig Wertschätzung für das Ehrenamt?
Ehrenamtliche leisten in Kirche und Gesellschaft einen unverzichtbaren Dienst. Papst Franziskus nennt die freiwilligen Helfer sogar "eine der wertvollsten Ressourcen" der katholischen Kirche. Doch wie steht es um die Wertschätzung für das Ehrenamt? Werden die Ehrenamtlichen häufig nur für niedrige Arbeiten eingesetzt und als "billige" Arbeitskräfte ausgebeutet? Über die Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit spricht Pastoraltheologe Rainer Bucher im Interview.
Frage: Professor Bucher, geht die Kirche zu wenig freundlich mit ihren Ehrenamtlichen um?
Bucher: Ich glaube, dass die Kirche insgesamt einen Nachholbedarf an einer angemessenen Wertschätzungs- und Aufmerksamkeitskultur hat. Zu vieles wird als selbstverständlich gesehen. Es geht darum zu spüren, dass ich mit meinen erbrachten Leistungen anerkannt und geschätzt werde. Wenn Kritik geäußert werden muss, gibt es dafür klare Regeln: Sie sollte ehrlich, wertschätzend und lösungsorientiert sein. Im Übrigen: Viele Ehrenamtliche haben ja auch Freude an ihrem Engagement, weil sie Selbstwirksamkeit erleben und positive Resonanz erfahren.
Frage: Aber irgendwer muss auch die Kirchenbänke reinigen...
Bucher: Das sind Alltäglichkeiten des Lebens, die notwendig sind, die aber nicht zur Ausbeutung von Ehrenamtlichen führen dürfen. Es gibt einen ganz klaren Grundsatz in der katholischen Soziallehre, der besagt, dass niemand ausgebeutet werden darf oder niemandem gegen seinen Willen niedrige Arbeiten auferlegt werden dürfen. Wer aber solche Aufgaben von anderen erbittet, muss dafür in irgendeiner Weise einen gerechten Lohn zahlen. Ehrenamtliche Arbeit kann das wertvolle Gefühl vermitteln, gebraucht zu werden und der Gemeinschaft einen wertvollen Dienst zu erweisen. Dann ist es in Ordnung. Es gibt einige wichtige Regeln für den Umgang mit Ehrenamtlichen. So sollen die Aufgaben und Ziele gemeinsam festgelegt werden, es soll nichts einfach delegiert werden. Jedes Ehrenamt sollte zudem zeitlich begrenzt und klar definiert sein und es muss stets freiwillig und für das Gemeinwohl ausgeübt werden. Und es braucht eine Kultur der Wertschätzung und des Dankes. Anders ist es nicht möglich.
Frage: In Bezug auf das Ehrenamt ist es jedoch ein Unterschied, ob ich mit Obdachlosen bei der Caritas ehrenamtlich arbeite oder mich bei einem Festakt an der Universität engagiere, oder?
Bucher: Ja, das ist richtig. Es gehört zur Professionalität der Hauptamtlichen, diese Dinge klar voneinander zu unterscheiden und zu wissen, wie wer wofür zu würdigen ist. Mir geht es im Übrigen auch darum, nicht nur in den Kategorien "Professionalität" und "Ehrenamt" zu denken. Es geht mehr darum, wahrzunehmen, wer und was wir alles sind. Ich bin nicht nur Ehrenamtlicher meiner Kirchengemeinde, sondern habe als Mensch Bedürfnisse und Fähigkeiten, spirituelle Gaben und Notwendigkeiten. Die Menschen sind mehr als das, wofür wir sie ehrenamtlich einsetzen. Man könnte viel mehr auf das schauen, was der andere braucht, wer er eigentlich ist. Ich bin nicht nur der Sänger im Kirchenchor oder Lektor und Jugendleiter, sondern auch ein Familienvater mit einer konkreten Biografie, mit Sehnsüchten, Erfahrungen, einem ganzen schönen, manchmal auch beschwerlichem Leben. Wir alle haben diesen Reichtum. Ich plädiere dafür, dass wir uns viel mehr in unserer Unterschiedlichkeit als Schatz und Reichtum füreinander wahrnehmen.
Frage: Es gibt viele neue pastorale Wege, die Gemeinden gehen. Was halten Sie von dem Modell der Gemeinde-Equipe?
Bucher: Über dieses Modell aus Frankreich wird viel diskutiert, weil es die Ehrenamtlichen in eine besondere Verantwortlichkeit bringt. Einzelne Teilgebiete wie Spiritualität, Seniorenarbeit oder Bildung werden Ehrenamtlichen komplett übertragen. Das ist gut so. Kritisch sehe ich es, wenn bei diesem Modell die gemeindlichen Gruppen zu sehr unter sich bleiben und zu wenig nach außen agieren. Für das laizistische Frankreich ist dieses Modell bestimmt vorbildlich, weil es dort nur wenige Hauptamtliche gibt.
Frage: Viele beklagen auch bei uns einen Priestermangel. Denken Sie, dass Ehrenamtliche eines Tages die Gemeindeleitung übernehmen könnten?
Bucher: Einige Bistümer in Deutschland und Österreich gehen diesbezüglich schon konkrete Wege der Teilhabe von Laien an der Gemeindeleitung. Ich halte das für gut, vor allem, wenn durch solche Reformprozesse eine kreativere, mutigere Pastoral möglich wird. Dann sehe ich nichts, was dagegen sprechen könnte. Mit der jeweiligen Qualifizierung von Ehrenamtlichen wäre das durchaus denkbar. Kirche ist nicht Selbstzweck, Kirche ist dazu da, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden und zu leben. Dazu sind alle berufen und durch Taufe und Firmung befähigt.
Frage: Sehen Sie auch Gefahren dabei?
Bucher: Ich sehe Probleme dort, wo Ehrenamtliche nach dem "bequemen pastoralen Kriterium des 'Es wurde immer so gemacht'" agieren. Das gibt es nicht nur bei Hauptamtlichen. Papst Franziskus hat es hinlänglich scharf kritisiert.
Frage: Welcher Ansatz wäre Ihnen dabei wichtig?
Bucher: Der Ehrenamtsbegriff denkt aus der Perspektive des professionellen Sektors: Die Ehrenamtlichen sind schlicht die andere Seite der Profis. Professionalität wie Ehrenamtlichkeit haben bestimmte Stärken und bestimmte Schwächen. Wenn sich beide Seiten in ihren Stärken nehmen, klappt es. So haben die Profis Erfahrung, Kompetenz, Geld- und Entscheidungsmacht und stehen für Verlässlichkeit und Kontinuität. Die Stärken der Ehrenamtlichen sind Freiheit, Ungebundenheit, Spontanität und breite Lebenserfahrung in vielen gesellschaftlichen Milieus. Zu Erfüllung des pastoralen Auftrags der Kirche ist beides notwendig. Wenn in meiner Familie eine Krisensituation eintritt, dann möchte ich seelsorglich begleitet sein, egal ob durch einen Priester oder eine Ehrenamtliche. Wichtig ist, dass jemand von der Kirche auf mich zukommt, mir beisteht. Ob das professionelle Kernkompetenz ist oder ehrenamtliche Solidarität und Spontaneität ist mir erst einmal egal, wenn es hilft, die Situation zu bestehen, wenn es Trost bringt und ich überhaupt einmal wahrgenommen werde. Es geht um eine solidarische Aufmerksamkeit für die Menschen um uns herum.
Frage: Ist dies eine Kritik an den Hauptamtlichen?
Bucher: Dies ist eine Kritik an uns allen, wenn wir zu wenig sensibel sind für die Lebensrealitäten und Lebensnöte der anderen. Es geht nicht darum, die Kirche zu verwalten. Kirche ist dazu da, Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes zu sein, so sagt es zumindest das Zweite Vatikanische Konzil. Die Botschaft von diesem geradezu unglaublich gnädigen Gott darf in dieser Gesellschaft nicht verstummen, sondern sollte in allen Konsequenzen hörbar bleiben.