Abtreibung ja oder nein? Die Kirche bleibt außen vor
Vor 20 Jahren war das katholische Deutschland im Aufruhr: Die Debatte um die Schwangerenkonfliktberatung der Kirche nahm wieder Fahrt auf, als Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe ausdrücklich aufrief, keine Beratungsscheine mehr ausstellen zu lassen. Mit ihnen können Frauen bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei eine Abtreibung vornehmen lassen. Schließlich verkündete die Bischofskonferenz im November 1999 den Ausstieg aus dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung.
Und in der Gegenwart? Im Jahr 2018 sehe die Beratungssituation anders aus als vor 20 Jahren, sagt die Pressesprecherin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), Nadine Mersch, gegenüber katholisch.de. Die Klientel habe sich verändert, was aber nicht unbedingt mit dem Ausstieg aus der Konfliktberatung mit Scheinvergabe zu tun habe, sondern mit der Entwicklung der Gesellschaft. So verzeichne man etwa seit 2014 einen deutlichen Anstieg an Beratungsgesprächen mit Migrantinnen – um 20 Prozent. Diese und weitere Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft suchten Informationen über neuere Untersuchungsverfahren wie etwa die Pränataldiagnostik, über das medizinische System allgemein oder über finanzielle Unterstützung, die es für Familien gibt.
Eine weitere wachsende Gruppe seien die Frauen oder Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. "Ende der 1990er Jahre war das noch kein großes Thema bei denjenigen, die zur Beratung kamen", so Mersch. Paare würden aber auch von sozialen Fragen umgetrieben: "Können wir das Kind mit unserem Beruf vereinbaren oder können wir uns ein drittes oder viertes Kind leisten, – solche Anfragen gibt es sehr häufig", berichtet sie.
Kaum Beratungen im existenziellen Schwangerschaftskonflikt
Innerhalb der Kirche sind es die Caritas und der SkF, die Schwangerschaftsberatung anbieten. Sie haben auch ein gemeinsames Lebensschutzkonzept entwickelt. 2016 suchten mehr als 122.000 Menschen in den 274 Beratungsstellen der beiden Träger Rat. Die Zahl derjenigen, die sich in einem "existenziellen Schwangerschaftskonflikt" befanden, betrug allerdings nur 755. Klar scheint angesichts der verschwindend geringen Zahl vor allem eins: Wer vor der Frage "Abtreibung ja oder nein" steht, sucht nicht unbedingt katholische Beratungsstellen auf.
Ein christlicher Verein, der mit Blick auf den Lebensschutz berät, aber den Schein ausstellt, ist Donum Vitae. Der 1999 von prominenten Katholiken gegründete Verein wurde deshalb 2006 von den deutschen Bischöfen zu einem Verein außerhalb der Kirche erklärt. Die CDU-Politikerin und ehemalige Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Rita Waschbüsch, war Gründungsmitglied und ist die Bundesvorsitzende des Vereins. Nach ihren Angaben zählte Donum Vitae 2016 in den 212 Beratungsstellen rund 50.000 Erstberatungen, davon waren etwa 16.000 Konfliktberatungen. Wie viele der Frauen, die mit diesem Konflikt zur Beratung kamen, später einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließen, könne man nicht genau sagen. Sie hätten laut dem Schwangerschaftskonfliktgesetz einen Anspruch darauf, dass sie am Ende eines Konfliktgesprächs von der Beratungsstelle eine Bescheinigung über die erfolgte Beratung ausgehändigt bekommen. Frühestens drei Tage nach dem Beratungstermin können Ärzte dann mit diesem Schein eine Abtreibung vornehmen.
"Wenn eine Frau klar sagt, dass sie das Kind sicher bekommen will, nimmt sie die Bescheinigung in der Regel nicht mit. Aber auch ein Schein heißt noch lange nicht, dass die Frau abtreiben wird", so Waschbüsch. Eine Beraterin könne nicht wissen, was in der dreitägigen Bedenkzeit und in den Gesprächen der Frau mit ihrem Partner oder ihrem Umfeld passiert, aber oft bekämen die Beratungsstellen nach sieben oder acht Monaten Postkarten mit Babyfotos zugeschickt. "Denn wir versuchen unser Ziel – das Leben zu erhalten – zu erreichen, indem wir den Frauen das intensive Angebot an Hilfestellungen aufzeigen und sie stärken gegenüber ihrem oftmals skeptischen Umfeld."
Abgrenzung zu Beratungsstellen mit rein feministischem Ansatz
Donum Vitae wolle sich klar von Beratungsstellen abgrenzen, die einen "rein feministischen Ansatz" vertreten und im Beratungsgespräch allein an die Frau denken, betont Waschbüsch. "Wir fühlen uns doppelt verantwortlich: für das Leben des Kindes und das Wohl der Mutter." Man müsse jede Chance nutzen, um schwangere Frauen im Konfliktfall zu erreichen. Sie ist sich sicher, "dass Zehntausende Kinder in Deutschland leben, weil Christen sie mit unserer lebensorientierten Beratung erreichen".
Den Rückzug der katholischen Kirche aus dem staatlichen Beratungssystem hält Waschbüsch nach wie vor für eine "kirchenpolitisch ganz fatale Geschichte". Rom habe damals die Chance nicht begriffen, die das deutsche Beratungsgesetz zur Erhaltung des Lebens biete. Vor 20 Jahren habe eine kleine Gruppe immer wieder die Bischöfe angegriffen und behauptet, dass das Zeugnis der Kirche für das Leben verdunkelt würde. "Das war aber nie Faktum, sondern ein verheerender Irrtum", so die Bundesvorsitzende. In keinem anderen Land gebe es so eine Beratungspflicht, die auf Lebenserhaltung ziele.
Ende der 1990er Jahre habe auch der SkF mit der Caritas "bis zum letzten Meter um einen Kompromiss gekämpft", sagt SkF-Sprecherin Mersch. Damals argumentierten die Bischöfe vor dem Vatikan, dass die Beratung im Jahr 5.000 bis 6.000 Abtreibungen verhindere. Heute will sich der SkF zu der Frage, ob die Kirche in das staatliche System der Schwangerenkonfliktberatung zurückkehren sollte, nicht äußern.
Die Donum-Vitae-Bundesvorsitzende Waschbüsch zeigt sich dankbar dafür, dass wenigstens die allgemeine Schwangerenberatung von Caritas und SkF von der Kirche weitergeführt wird. Das sei ein Zeugnis der Kirche für das Leben. Aber einen Weg zurück von Donum Vitae sieht sie derzeit nicht: Man habe sich trotz der finanziellen Nachteile entschieden, ein bürgerlicher Verein zu bleiben. "Wir sind auch ein gelungenes katholisches Experiment, das zeigt, wie Christen zum Engagement bereit sind", so Waschbüsch. Die allermeisten Mitarbeiter stünden in Kontakt mit ihren Kirchengemeinden und es gebe gute Beziehungen zum ZdK. Und: Ähnlich wie bei SkF und Caritas führt man heutzutage auch bei Donum Vitae weitaus mehr Beratungsgespräche ohne Konfliktsituation als mit.