So will sich das Bistum Aachen verändern
Angesichts von Priestermangel und sinkenden Katholikenzahlen haben schon viele deutsche Diözesen Strukturprozesse auf den Weg gebracht. Das Bistum Essen zum Beispiel schon vor mehr als zehn Jahren. Kirchenschließungen, die Zusammenlegung von Pfarreien oder größere Verantwortung für hauptamtliche Laien sind nur einige der Veränderungen. Nun will auch das Bistum Aachen fit für die Zukunft werden - mit einem etwas anderen Ansatz als die meisten Diözesen: Bischof Helmut Dieser setzt beim "Synodalen Gesprächs- und Veränderungsprozess Heute bei Dir" auf Evangelisierung und Begegnung mit der Kirche fernstehenden Menschen. "Der Motor des Prozesses soll die Freude am Evangelium sein." Von Kirchenschließungen erst einmal kein Wort.
Im Bistum Aachen sollen die inhaltlichen Fragen vor den strukturellen stehen: In vier Handlungsfeldern setzen sich die etwas mehr als ein Dutzend geplanten Teilprozessgruppen mit der Evangelisierung in verschiedenen kirchlichen Feldern auseinander. So geht es im ersten Themenspektrum um grundlegende Themen wie Dialog und Katechese. Sie sollen als Leitmotiv des Handelns der Kirche herausgestellt werden. Aber auch die Ausrichtung an den Charismen, also den Talenten jedes einzelnen Gläubigen wird thematisiert. Hierauf legt Bischof Dieser besonderen Wert. Denn er ist davon überzeugt, dass den unterschiedlichen Gaben der Haupt- und Ehrenamtlichen eine entscheidende Bedeutung für das Wachstum der Kirche zukommen werden.
Die Gruppen des zweiten Handlungsfeldes sprechen über die Bedeutung der Diakonie für die Evangelisierung. "Einer Gemeinde, die nicht diakonisch ist, fehlt etwas", so der Aachener Bischof. Die Diakonie ist für ihn das wichtigste Handlungsfeld der Kirche. Im dritten Punkt geht es um die verschiedenen Orte der Gesellschaft, an denen das Evangelium verkündet werden kann. Konkret will das Bistum über kirchliche Kindergärten, Schulen und andere Orte nachdenken, an denen sich auch viele Kirchenferne treffen.
Besonders diesen Menschen will der Aachener Bischof beim Veränderungsprozess begegnen. Daher hat er ihn unter ein Leitwort aus der Zachäus-Geschichte des Lukasevangeliums gestellt: "Heute bei dir". Menschen, die "wie Zachäus noch auf den Bäumen sitzen" wolle man zur Mitarbeit ermuntern. Man müsse keine starke Kirchenbindung haben und nicht einmal katholisch sein, erklärt auch der Aachener Generalvikar Andreas Frick. Jeder, dem die Kirche in irgendeiner Weise wichtig ist, kann sich ab April auf der Internetseite des Prozesses für die Mitarbeit in einer der Gruppen bewerben.
Veränderungen im Prozess sind erwünscht
Danach schlägt die von Dieser eingesetzte Lenkungsgruppe dem Bischof Mitglieder vor, die er ernennen kann. "Dabei gibt es die Gefahr, dass Menschen enttäuscht werden, weil sie nicht Teil einer Projektgruppe werden", gibt Frick zu. Bei etwa 13 Gruppen, die aus maximal zehn Personen bestehen sollen, um flexibel und dynamisch zu arbeiten, können nur 130 Menschen mitmachen. Doch Frick ist sich sicher, dass es für die abgelehnten Personen andere Wege zur Mitarbeit gibt. Welche das sein könnten, darauf geht er erst einmal nicht näher ein. Vielleicht, weil er es selbst nicht weiß.
Denn viele Punkte des Veränderungsprozesses sind nicht im Vorfeld geplant und vorgegeben. Eine bewusste Entscheidung, wie Dieser sagt. Der Prozess sei "iterativ" - also Schrittweise annähernd - geplant und solle sich in den kommenden drei Jahren selbstständig entwickeln. Veränderungen sind im Laufe des Prozesses möglich und sogar erwünscht. Es sei eben ein "work in progress", sagt Generalvikar Frick. Zudem solle vermieden werden, dass der Prozess zu einer "inner circle"-Veranstaltung der Kirche werde. Daher werden die kirchlichen Gremien wie Priester- und Diözesanrat nur am Rande einbezogen, in dem sie vom Bischof über den Fortgang informiert werden.
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Doch damit nicht genug: Um viele derer zu erreichen, die der Kirche fernstehen, wird es einen Prozessbeirat aus Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern geben. Sie sollen die Gespräche aus einer "Außenposition" begleiten. Auch Begegnungsformate mit der Bistumsleitung wie etwa ein Essen am ersten Fastensonntag sind geplant. "Wir wollen insgesamt eine größere Ansprechbarkeit erreichen", so der Bischof. Abgerundet wird das Ganze durch eine repräsentative Umfrage. Sie soll ein genaues Bild der religiösen Landschaft der Bevölkerung auf dem Gebiet des Bistums Aachen zeichnen.
Dieses Bemühen um die Menschen ist wie in allen deutschen Diözesen auch im Bistum Aachen nötig, denn dort sind die Katholikenzahlen ebenfalls rückläufig. Bereits ein Blick in die letzten Jahre bestätigt: Vor fünf Jahren waren etwa 60 Prozent der Einwohner auf dem Gebiet des Bistums Aachen Katholiken, 2016 noch knapp 55 Prozent. Auch die Kirchenbesucherzahlen gingen in diesem Zeitraum um 0,5 Punkte auf 7,8 Prozent zurück. Etwa 7.000 Taufen stehen jedes Jahr 11.700 Bestattungen und 5.500 Kirchenaustritte gegenüber.
Mit straffem Zeitplan zum 'Wir'
Doch es geht nicht nur um die nackten Zahlen. Auch das Selbstverständnis der Menschen hat sich verändert - mit Auswirkungen auf die Kirche. Früher war es in der Region mehr oder weniger selbstverständlich, katholisch zu sein. Der Gottesdienstbesuch gehört ebenso dazu wie der Empfang der Sakramente. Und: Was die Kirche sagte, darauf wurde gehört. Heute habe die Kirche dagegen "keine Deutungshoheit mehr", resümiert der Aachener Bischof. "Wir können nicht mehr von einem 'Wir' ausgehen, sondern müssen es neu suchen."
Um dieses 'Wir' zu finden, gibt es einen straffen Zeitplan: Bis zur nächsten Aachener Heiligtumsfahrt 2021 sollen sich die Gruppen innerhalb ihrer Handlungsfelder in jedem Jahr mit einem anderen Schwerpunkt befassen: Das Jahr 2018 steht dabei unter der Überschrift "Wir müssen reden" und ist als Unterscheidungsphase gedacht. Das kommende Jahr soll eine Konzeptphase sein und ist mit dem Satz "Wir wollen uns verändern" betitelt. 2020 geht es schließlich in die Umsetzungsphase. Die passende Überschrift dafür: "Wir wollen neu handeln". Zwischen den einzelnen Phasen gibt es jeweils eine sogenannte "Vergewisserung" des Bischofs.
Dieser hat sich bewusst gegen die Form einer Synode entschieden, sagt er. Zwar habe er als Priester und Weihbischof in Trier eine Synode erlebt, deren inhaltliches Ringen ihn sehr geprägt habe. "Doch bei einer Synode hätte das Kirchenrecht sehr eng festgelegt, wer die Teilnehmer sein können", sagt Dieser, der erst seit November 2016 Oberhirte in Aachen ist.
In Aachen heißt es nun also Veränderungsprozess statt Synode. Und auch wenn es sich hauptsächlich um die Inhalte drehen soll, werden am Ende Pläne für neue Strukturen im Bistum Aachen stehen. Darum geht es im vierten Handlungsfeld, das auf einer Handreichung zum Prozess in einer anderen Farbe markiert ist, um den Unterschied zu den vorangegangenen Etappen herauszustreichen. Bei dieser wichtigen Frage seien die Teilnehmer frei, eigene Empfehlungen zu machen, versichert der Bischof. "Es liegen keine Pläne für eine Veränderung der Strukturen in meiner Schreibtischschublade." Die Ergebnisse des Prozesses würden die neuen Strukturen bestimmen.
Doch einen kleinen Ausblick gibt Dieser schon: Sein Amtsvorgänger Heinrich Mussinghoff sei mit den "Gemeinschaften der Gemeinden", Zusammenschlüssen von Pfarreien, schon in die richtige Richtung gegangen. Und im September sprach sich der Bischof beim diözesanen Medienempfang dagegen aus, überkommene Strukturen um jeden Preis zu erhalten. "Wir brauchen einen Perspektivwechsel", forderte er. Mit dem nun eröffneten Veränderungsprozess ist nicht genau klar, wohin die Reise des Bistums Aachen geht. Vieles bleibt offen. Bischof Dieser geht die Herausforderungen der Zukunft jedoch positiv an und will sich vom Prozess überraschen lassen. Er ist sich sicher: "Das wird spannend."