Kirchenferne Journalistin stellt Gemeinschaft "Fazenda da Esperança" vor

Beten gegen die Drogensucht

Veröffentlicht am 24.01.2018 um 14:56 Uhr – Lesedauer: 
Medien

Bonn/Irsee ‐ Das Social-Media-Projekt "Gott im Abseits" geht in die zweite Runde: Eine kirchenferne Journalistin stellt dabei die Gemeinschaft "Fazenda da Esperança" vor. Deren Leiter erklärt, warum er mit drogenabhängigen Männern zusammenlebt.

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Diesen Mittwoch startet die zweite Staffel von "Gott im Abseits", dem Nachfolge-Blog von "Valerie und der Priester". Auch diesmal geht es um Christen, die bis an die Schmerzensgrenze gehen, um ihren Glauben zu leben. Die Journalistin Christina Hertel berichtet in den kommenden Wochen von ihren Erfahrungen auf dem "Hof der Hoffnung" in Bickenried im Allgäu. Die "Fazenda da Esperança" ist eine aus Brasilien stammende Glaubensgemeinschaft, die jungen drogenabhängigen und suchtkranken Männern nach ihrer Therapie eine Heimat bietet. Neben Arbeit und Gemeinschaft strukturieren die Bibel und das Gebet den Tag. Der 32-jährige Luiz Fernando Braz leitet den "Hof der Hoffnung" – und lebt selbst wie ein Ordensbruder. Er erklärt, welche Scheibe er sich vom Glauben der abhängigen Männer abschneiden konnte.

Frage: Herr Braz, was versprechen Sie sich davon, dass Ihre Glaubensgemeinschaft "Fazenda da Esperança", die drogenabhängigen Männern eine Heimat bietet, nun über mehrere Monate hinweg bei "Gott im Abseits" vorgestellt wird?

Braz: Ich habe den Wunsch, Menschen zu zeigen, wie wir leben und ich will damit ein Tabu brechen. Denn es gibt immer noch sehr viele Vorurteile über Drogenabhängige und viele meinen, dass es für deren Probleme keine Lösung gebe oder auch, dass sie selbst Schuld seien an ihrer Situation. Wir wollen einerseits zeigen, dass es uns gibt, dass wir Hilfe anbieten und dass diese Hilfe funktioniert. Andererseits wollen wir auch unsere geistliche Gemeinschaft als einen möglichen Weg vorstellen, christliches Engagement konkret zu leben. Die "Fazendas da Esperança" gibt es seit 20 Jahren in Deutschland, aber sie sind immer noch kaum bekannt. Und schließlich wollen wir in diesem Zeitraum nicht etwas darstellen oder jemandem etwas vorspielen, sondern die Journalistin Christina Hertel einladen, einfach in unser Leben einzutauchen. Unsere "Jungs", also die zehn jungen Männer, die hier in Therapie sind, haben ihr von Anfang an Respekt entgegengebracht und Christina selbst hat sich sehr schnell integriert: Sie arbeitet mit, geht zu den Gebetszeiten und spricht viel mit den Abhängigen und mit mir.

Die Journalistin Christina Hertel im Gespräch.
Bild: ©Can Erdal/Zentrum für Berufungspastoral

Die Journalistin Christina Hertel im Gespräch auf dem "Hof der Hoffnung" in Bickenried im Allgäu. Die 26-Jährige berichtet in der zweiten Staffel des Social-Media-Projekts der deutschen Bischöfe "Gott im Abseits" über die "Fazenda da Esperança".

Frage: Wie sieht der Alltag in der "Fazenda da Esperança" aus?

Braz: Wer hier eine Therapie anfängt, darf das Gut ein Jahr lang nicht verlassen. In dieser Zeit geht  darum, gemeinsam zu beten, zu arbeiten und gemeinschaftlich zu leben. Wir stehen um 6 Uhr auf, frühstücken zusammen und gehen dann in die Kapelle. Dort haben wir unser Rosenkranzgebet, singen einige Lieder und lesen das Tagesevangelium. Aus dieser Bibelstelle suchen wir ein Motto für den Tag, das wir ganz konkret bis zum Abend umsetzen sollen. Dann geht jeder zu seinem Arbeitsbereich. Nach dem Mittagessen arbeiten wir noch bis ca. 16:30 Uhr. Danach ist Freizeit bis zum Abendessen, in der man Sport treiben, lesen oder malen kann – Fernsehen, Internet oder Smartphone sind tabu. Zweimal die Woche gibt es abends einen Austausch über die Erfahrungen, die wir mit den Mottos gemacht haben. An einem weiteren Abend tauschen wir uns darüber aus, wie es uns geht und am Samstag gibt es zwei Stunden eucharistische Anbetung. Und zweimal in der Woche feiern wir morgens die Heilige Messe.

Frage: Gemeinsam zu leben und zu arbeiten ist ein bekanntes Therapie-Konzept. Welchen Impuls geben bei der Fazenda die geistliche Ausrichtung und die Gebetszeiten hinzu?

Braz: Wir sind eine vom Vatikan anerkannte katholische geistliche Gemeinschaft. Unsere drei Säulen Arbeit, Gemeinschaft und Gebet haben vor 35 Jahren in Brasilien zunächst mit dem Gebet angefangen: Ein drogenabhängiger Jugendlicher bat damals den deutschstämmigen Franziskaner Hans Stapel um Hilfe. Der Pater hatte keine Ausbildung und keine Ahnung, wie man mit der Drogenproblematik umgeht und lud den jungen Mann ein, das Evangelium zu leben. Erst als immer mehr junge Leute dazu stießen, weil sie merkten, dass dieses Leben sie veränderte, mieteten sie sich gemeinsam ein kleines Haus und fingen an, zu arbeiten. Sie merkten, dass wenn sie untereinander das Evangelium leben, ihre Verletzungen langsam geheilt werden.

Frage: Was meinen Sie mit "das Evangelium leben"?

Braz: Dabei geht es uns darum, im Tagesevangelium einen konkreten Impuls für den Tag zu suchen. Wenn man nur miteinander lebt und arbeitet, bleibt immer alles beim Alten. Aber die Begegnung mit Gott in den anderen Menschen und in uns befriedigt die Sehnsucht nach etwas Größerem. Jeden Tag geht es darum, unsere Grenzen ein bisschen mehr zu überwinden, etwa jemandem, der im Winter draußen arbeitet, Tee vorbeizubringen. Das sind kleine Impulse, aber Menschen mit Suchtproblemen brauchen die Motivation, einen Schritt mehr zu machen.

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Frage: Kommen nur gläubige Christen zu Ihnen oder werden auch Nichtgläubige aufgenommen?

Braz: Wir sind offen für alle. Es kommen Menschen ohne Glauben, mit einer anderen Religion oder von einer anderen Konfession zu uns. Bevor sich jemand entscheidet, erzählen wir, dass wir eine katholische Gemeinschaft sind und wie wir leben – etwa, dass der Gebetsbesuch verpflichtend ist. Manche beten dann zum Beispiel den Rosenkranz nicht mit, aber die Impulse aus dem Evangelium kann jeder leben: den anderen Gutes wünschen, verzeihen, Herausforderungen annehmen.

Frage: Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote und was passiert nach dem einen Jahr zusammenleben?

Braz: Manche halten nicht ein Jahr durch und brechen vorher ab oder werden des Hofes verwiesen. Von den Therapierten bleiben aber rund 70 Prozent clean. Nach einem Jahr besteht die Möglichkeit, länger zu bleiben, denn wir sind keine staatliche Therapie und nicht von Kostenzusagen der Krankenkassen abhängig. Die Männer gehen dann etwa für einige Wochen in den Urlaub und danach überlegen wir uns gemeinsam, wie wir die Zukunft gestalten. Es geht dann darum, in einem gesunden sozialen Umfeld eine Arbeitsstelle und eine Wohnung zu finden. Viele haben auch den Wunsch, in einer Fazenda zu helfen – hier in Bayern oder im Ausland. Manche entdecken auch ihre Berufung und treten unserer geistlichen Gemeinschaft bei oder einem Kloster oder möchten Theologie studieren.

Frage: Sie selbst sind wegen der Fazenda vor zehn Jahren von Brasilien nach Deutschland gezogen. Wie kamen Sie zu diesem Drogenprojekt?

Braz: Ich kenne das Fazenda-Projekt von Kind an, weil es aus meiner Heimatstadt Guaratinguetá stammt. Ich war aber zunächst eher in meiner Kirchengemeinde beheimatet. Erst nachdem Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 unser Mutterhaus besucht hat, wurde die Arbeit der Fazenda in ganz Brasilien und darüber hinaus bekannt und ich begann, mich da mehr zu engagieren. Ich wurde dann eingeladen, beim Aufbau einer neuen Fazenda in Deutschland zu helfen – und hätte damals nicht gedacht, dass ich so lange bleibe.

Die "Fazenda da Esperança" (Hof der Hoffnung) in Bickenried
Bild: ©Luiz Fernando Braz

Das Gut Bickenried der "Fazenda da Esperança" (Hof der Hoffnung) im Winter. Mitglieder der geistlichen Gemeinschft leben, arbeiten und beten hier mit jungen drogenabhängigen Männern zusammen.

Frage: Was ist dann passiert?

Braz: Mich hat fasziniert, wie mich die Suchtkranken aufgenommen haben. Ich hatte bis dahin – wie viele Menschen – Angst vor Drogenabhängigen und dachte, sie wären gefährlich. Aber sie haben mich aufgenommen als den, der ich bin. Ihnen ist es egal, was ich studiert oder gearbeitet habe, sie haben mich einfach so wertgeschätzt – und das hat mich sehr berührt. Was mich noch fasziniert und inspiriert, ist, dass die Jungs, wenn sie das Evangelium leben, es viel radikaler tun, als ich es bis dahin trotz oder wegen meines kirchlichen Backgrounds gemacht habe. Dieses sehr konkrete Leben hat mich dazu gebracht, meinen Aufenthalt auf ein Jahr zu verlängern und danach immer wieder. Ich möchte in Deutschland bleiben.

Frage: Warum gehört es für Sie bei diesem Engagement dazu, auf Familie zu verzichten? Möchten Sie künftig Priester für die Gemeinschaft werden?

Braz: Ich bin inzwischen in unsere geistliche Gemeinschaft eingetreten und lebe wie ein Ordensbruder in Gehorsam, Armut und Keuschheit. In diesem Jahr lege ich die "Ewigen Gelübde" ab. Es gibt zwar auch die Möglichkeit, Priester zu sein, oder als Familie in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, aber das ist nicht meine Berufung. Ich habe den dritten Weg gewählt und lebe als eheloser Gottgeweihter – wir sagen dazu "Consagrado". Ich habe ja schon studiert, bin Künstler und Grafikdesigner, und spüre den Ruf nicht, Priester zu werden. Hier im Hof Bickenried habe ich als Leiter ein vielfältige Aufgaben: Ich betreue die Jungs, kümmere mich um die Finanzen, leite den Hof und wenn ich etwas Freiheit habe, dann mache ich meine Kunst und illustriere etwa neue Bücher der Gemeinschaft.

Frage: Wie finanziert sich die Gemeinschaft?

Braz: Wir versuchen, von unserer Arbeit zu leben. Das motiviert auch die Bewohner der Fazenda, denn sie merken, dass sie Verantwortung haben und dass ihre Arbeit zum Unterhalt der ganzen Gemeinschaft beiträgt. Wir arbeiten im Versand der Bücher des Hilfswerks "Kirche in Not", produzieren Kerzen, betreiben einen Hofladen, ein sonntags geöffnetes Café und ein Gästehaus, das wir auch für Veranstaltungen vermieten. Zum Teil auch deshalb, weil uns der Bezirk Schwaben als Immobilienbesitzer das Gut für einen Symbolpreis zur Verfügung stellt, schaffen wir es, von unserer Arbeit die monatlichen Kosten zu decken. Aber bei größeren Projekten wie Renovierungen sind wir sehr auf Spenden angewiesen. Zudem brauchen wir immer wieder Sachspenden und freuen uns, dass viele Menschen aus der Umgebung uns Kleidung und Nahrungsmittel schenken.

Von Agathe Lukassek

Linktipp: Gott im Abseits

Am 24. Januar 2018 startete die zweite Staffel von "Gott im Abseits". In dem Projekt treffen junge, kirchenferne Journalisten auf Menschen, die ihre Berufung zu ihrem Lebensinhalt machen und das persönliche Leben am Glauben ausrichten. Im Fokus steht das Engagement für Menschen im gesellschaftlichen Abseits. Journalisten erfahren dabei eine ihnen bisher unbekannte Seite der Kirche. In "Gott im Abseits – Gott im Rausch" erzählt die Journalistin Christina Hertel von ihren Erfahrungen auf dem "Hof der Hoffnung" (Fazenda da Esperança).