"Die Menschen wollen das Weichgespülte nicht mehr"
Frage: Frau Jakoby, die angebliche Spontan-Hochzeit von zwei Flugbegleitern während eines Fluges mit dem Papst hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Haben Sie in Ihrem Ehevorbereitungsseminar auch Paare, die ähnlich außergewöhnliche Vorstellungen für ihre Hochzeit haben?
Anna-Lisa Jakoby: Nein, die meisten Paare haben tatsächlich eine recht bodenständige Vorstellung von ihrer Trauung. Für solche außergewöhnlichen Ideen ziehen die Brautpaare von vornherein freie Trauungen in Betracht. Sie haben wohl ein Gespür dafür, dass bei kirchlichen Trauungen die krassen Sachen eher nicht gehen.
Frage: Also haben Ihre Brautpaare keine Hollywood-Phantasien?
Jakoby: Manche wollen schon, dass der Papa die Braut zum Altar führt oder fragen, wann denn der Teil mit dem "für immer schweigen" kommt. Da muss ich dann erklären, dass die katholische Liturgie so nicht funktioniert. Darin ist zum Beispiel auch kein Kuss vorgesehen. Da sage ich den Paaren: "Denkt daran, dem Zelebranten zu sagen, dass Ihr euch diesen Kuss geben wollt, weil sonst passiert da nichts."
Frage: Sie sagen ihnen, dass sie das mit dem Priester abklären müssen, aber nicht, dass es vielleicht unpassend ist, wenn der Vater die Tochter zum Altar führt?
Jakoby: Am liebsten würde ich ihnen natürlich sagen: "Wenn ihr euch vom Papa an den Altar führen lasst, müsst ihr aber auch nach der Hochzeitsnacht das blutbefleckte Laken aus dem Fenster hängen." Aber das kann ich nicht. Zumal ich großen Respekt davor habe, wenn jemand zu seinem Vater, seinem Bruder oder sonst einem Verwandten eine so tiefe Beziehung hat. Ich muss noch mit mir selber aushandeln, wie ich das charmant verpacke. Wenn der Vater die Tochter an den Bräutigam übergibt, ist das nicht nur antiquiert, sondern mit unserem Frauenbild, Menschenbild und sogar Gottesbild nicht vereinbar.
Frage: Auf Twitter berichten Sie, dass Sie eine Liste mit passenden Liedern für den Traugottesdienst zusammenstellen und dabei Leonard Cohens "Hallelujah" explizit ausschließen. Wie kam es dazu?
Jakoby: Ich gehe mit den Brautleuten auch den Ablauf der Trauliturgie durch und beim Halleluja sagte ein Paar: "Wir haben da ein ganz tolles Stück, das singt dann der Chor." Ich habe sie dann darauf hingewiesen, dass es an dieser Stelle schon wichtig ist, ein "echtes" Halleluja zu wählen, dass die Gemeinde auch mitsingen kann. Ich bereite die Brautleute auch darauf vor, dass sie im Gespräch mit dem Zelebranten enttäuscht werden könnten, was ihre Vorstellungen oder Wünsche bezüglich der Gestaltung des Traugottesdienstes betrifft. Die Priester sind doch sehr unterschiedlich in den Dingen, die sie in der Liturgie zulassen wollen. Da kann es schon mal sein, dass das ein oder andere Lied nicht geht. Das heißt, Leonard Cohen und sein "Hallelujah" sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern es geht darum, das Lied dann an einer geeigneteren Stelle zu platzieren.
Frage: Es klingt so, als würde vieles nur gehen, wenn der Zelebrant mitspielt. Aber ist es nicht in erster Linie die Feier des Paares?
Jakoby: Doch, sicher. Ich persönlich wäre auch großzügiger. Meine Erfahrung ist, dass manche Zelebranten weniger Spielraum offen lassen, als andere. Die Geistlichen haben oft Angst, dass die Pastoral- oder Gemeindereferentin in der Ehevorbereitung grünes Licht für irgendwelche Ausartungen gibt und die Liturgie komplett willkürlich wird. Das stimmt natürlich nicht. Mir persönlich ist es ein Anliegen, dass alle Elemente der Trauliturgie am richtigen Ort sind. Und, was damit unbedingt zusammengehört, dass die Brautleute wissen, wieso bestimmte liturgische Worte oder Abläufe so festgesetzt sind.
„Wenn die irgendwelche Lieder aus dem Gotteslob singen sollen, wird das ein richtiger Reinfall.“
Frage: Würden Sie sagen, dass die Wünsche der Brautleute alle erfüllbar sind?
Jakoby: Mit gutem Willen ja. Und es ist doch ein Gewinn, wenn eine tolle Solistin singt oder ein Streichquartett spielt. Wir müssen davon ausgehen, dass nicht nur die Paare kirchenfern sind, sondern auch die Gäste. Wenn die irgendwelche Lieder aus dem Gotteslob singen sollen, die sie gar nicht kennen, kann das ein richtiger Reinfall werden. Dann ist es doch besser, wenn ein Chor da ist.
Frage: Kirchenlieder erfüllen aber liturgisch teilweise wichtige Funktionen.
Jakoby: Es geht mir auch nicht darum, zum Beispiel das Sanctus oder das Agnus Dei zu streichen. Ich sage den Paaren, dass manche Sachen gesetzt sind. Beim Ein- und Auszug oder beim Danklied sieht es anders aus.
Frage: Weshalb heiraten die Paare überhaupt kirchlich?
Jakoby: Ehrlich gesagt geht es wohl oft vor allem um die Feier in Weiß und den festlichen Rahmen. Das bereitet mir ehrlich gesagt Bauchschmerzen. Wenn ich die Paare frage, kommen oft Antworten wie "Das gehört dazu" oder "Das ist schön feierlich". Deshalb besteht mein Konzept der Ehevorbereitung aus einer grundkatholischen Sakramentenkatechese. Ich betone das, weil ich bisher oft die Erfahrung gemacht habe, dass die Katechese zu kurz kommt. In der Ehevorbereitung geht es oftmals vorrangig um Kommunikationsstrategien oder darum, wie die Beziehung zu gestalten ist, damit sie gelingen kann. Ich maße es mir nicht an, anderen zu sagen, was für sie richtig ist. Ich habe erwachsene Menschen vor mir sitzen, denen ich zutraue, dass sie das auch ohne mich wissen. Mein Ansatz ist, dass die Paare aus meinem Seminar rausgehen und wissen, was ein Sakrament im Allgemeinen und das Ehesakrament im Besonderen ist. Und, welcher Mehrwert dieses Sakrament für ihr Beziehungsleben sein kann.
Frage: Schafft man das denn in ein paar Stunden bei Menschen, die vielleicht zwanzig Jahre nicht mehr in der Kirche waren?
Jakoby: Ich gebe mir Mühe, aber es ist echt eine Herausforderung. Die größte Schwierigkeit besteht für mich darin, eine Sprache zu finden, die die Leute verstehen. Was heißt es zum Beispiel, eine Ehe freiwillig einzugehen? Wenn etwa jemand heiratet, weil die Frau schwanger ist, stellt sich die Frage, wie freiwillig diese Entscheidung tatsächlich ist. So etwas bespreche ich mit den Brautleuten, damit sie sich darüber ihre eigenen Gedanken machen. Das heißt natürlich nicht, dass ich jemanden dazu bewegen möchte, dann nicht zu heiraten. Vielmehr möchte ich eine Reflexion über den Glauben und darüber auch über die Beziehung anstoßen.
Frage: Aber könnten Sie auch zu dem Ergebnis kommen, dass das Paar die kirchliche Hochzeit falsch verstanden hat und besser nicht heiraten sollte?
Jakoby: Ich glaube nicht, dass ich diejenige bin, die darüber urteilen kann oder darf. Ich kenne aber auch die unbequeme Situation der Zelebranten, die eventuell einer Ehe assistieren, die ungültig ist. Deshalb sehe ich meine Aufgabe darin, Aufklärung zu betreiben, Fakten auf den Tisch zu bringen und über die Ernsthaftigkeit des Ganzen zu sprechen. Das passiert bislang zu wenig in der Ehevorbereitung. Es reicht nicht, wenn zwar über den Ablauf der Liturgie, aber nicht über das Sakrament gesprochen wird. Die Synode im Bistum Trier hat festgestellt, dass die Ehekatechese eine Form der Erstverkündigung ist. Das heißt, ich muss mit den Basics anfangen. Ich muss damit rechnen, dass die Brautpaare eventuell nicht mehr wissen, wie man ein Kreuzzeichen macht.
Frage: Nach der Trauung im Papst-Flugzeug hatten manche kritisiert, auch dieses Paar hätte sich an Formalitäten und Vorbereitung halten müssen. Andere loben das großzügige Zeichen und setzen darauf, dass man manches auch noch hinterher klären kann. Auf welcher Seite stehen Sie?
Jakoby: Ich setze auf die Vorbereitung. Womit ich nicht sagen will, dass Ehen, die nicht ausreichend vorbereitet sind, automatisch ungültig sind. Aber gerade das Ehesakrament ist in den vergangenen Jahren sehr stiefmütterlich behandelt worden, was die konkrete Sakramentenkatechese betrifft; wohl gerade auch aus der Angst heraus, die Paare mit den "heißen Eisen" und Unbequemlichkeiten oder den zu "hohen Ansprüchen" des katholischen Eheverständnisses zu verprellen. Das erlebe ich aber gar nicht. Im Gegenteil, ich sehe eher, dass dadurch das Interesse geweckt wird, sich wirklich mit Glaubensthemen auseinanderzusetzen.
Frage: Also sind hohe Hürden eher attraktiv als abstoßend?
Jakoby: Das würde ich sagen. Für die Wahrheit brauchen wir uns auch nicht zu schämen. In der Vergangenheit war Vieles weichgespült. Gerade in meiner Generation mache ich die Erfahrung, dass die Leute das nicht mehr wollen. Die Brautleute wollen sozusagen die Fakten wissen.
Frage: Wie sieht ein Eheseminar bei Ihnen konkret aus? Eine gestaltete Mitte gibt es wohl eher nicht?
Jakoby: Es gibt noch nicht mal einen Stuhlkreis. (lacht) Die Leute sind echt froh darüber, dass sie sich ganz normal an einen Tisch setzen können. Außerdem gibt es Wein, passend zum Titel des Seminars: "Hol den Wein, wir müssen über die Hochzeit reden". Mittlerweile gibt es für die Männer aber auch Bier, das haben sie sich gewünscht.
Frage: Und inhaltlich?
Jakoby: Da geht es um das Sakrament im Allgemeinen und konkret die katholische Ehe. Außerdem gehe ich mit den Paaren die großen Brocken wie Ehehindernisse, Konsensmängel oder Formpflicht durch. Es ist echt hart, ihnen das in einer Sprache zu erklären, die sie verstehen.
Zur Person
Anna-Lisa Jakoby ist Pastoralreferentin in Dillingen im Bistum Trier. Derzeit bereitet sie elf Paare auf die kirchliche Trauung vor.Frage: Sie übersetzen den Brautleuten sozusagen das Ehevorbereitungsprotokoll?
Jakoby: Genau. Ich gebe das Protokoll auch jedem Paar mit nach Hause und bitte sie, es gründlich durchzugehen und mich zu fragen, wenn etwas nicht klar ist. Ich möchte nicht haben, dass die beiden nachher im Brautexamen sitzen, der Priester mit ihnen die Fragen durchgeht und die nur "Jaja" sagen. Viele haben vor Klerikern immer noch ein bisschen zu viel Respekt, in dem Sinne, dass sie sich nicht trauen, Dinge anzusprechen, die sie nicht verstehen, oder offen zu sagen, wenn sie mit etwas nicht direkt einverstanden sind.
Frage: Und die Leute rennen nicht schreiend weg, wenn Sie mit dem Formular um die Ecke kommen?
Jakoby: Nein, wirklich nicht. Es ist immer auch eine Frage der Haltung, wie man den Menschen begegnet. Ich signalisiere ihnen von vornherein, dass sie keine Angst haben brauchen und willkommen sind. Mir ist außerdem sehr wichtig, dass sie merken, dass ich eine von ihnen bin. Ich stelle mich nicht über sie wie die große Lehrerin, sondern bespreche die Themen mit ihnen auf Augenhöhe. Diese Erfahrung fehlt ihnen oft von kirchlicher Seite.
Frage: Gibt es auch Paare, die erwartet oder sich gewünscht hatten, doch das "weichgespülte Programm" zu bekommen?
Jakoby: (Überlegt) Kann ich ehrlich nicht sagen. Ich frage mal nach. (lacht)