Citypastoral - Ist Gott schon in der Stadt?
"Citypastoral", Seelsorge in der Stadt, gilt als die große Chance, Menschen in Kontakt mit der Kirche zu bringen, die ansonsten selten einen Kirchenraum von innen sehen. Niederschwellige Angebote laden gestresste Städter ein, in der Mittagspause oder im Einkaufstrubel einen Moment innezuhalten. Solche Angebote reichen vom kurzen Orgelkonzert über Andachten bis hin zu der Möglichkeit, mit einem Seelsorger individuell ins Gespräch zu kommen.
Gleichzeitig ist die Stadt für die Kirche kein leichtes Pflaster. Nirgends schreitet die Säkularisierung schneller voran als hier. Die hohe Fluktuation bringt es mit sich, dass immer mehr Menschen zuziehen, die keine kirchliche Prägung mitbringen. Außerdem hat die Kirche in der Stadt eine große Konkurrenz: Funkelnde Schaufenster und gemütliche Cafés locken Passanten eher an als dunkle Kirchenportale.
Damit Seelsorgerinnen und Seelsorger mit dieser Konkurrenz mithalten können, müssen sie zuerst wahrnehmen, was das Leben in der Stadt ausmacht. Nur so können sie dann ihre Angebote so ausrichten, dass sie Städter anziehen. Laut dem Soziologen Armin Nassehi prägt vor allem "Urbanität" städtisches Leben. Urbanes Handeln definiert er als "eine bestimmte Art und Weise, wie man mit Menschen umgeht". Das Besondere sei, dass man in der Stadt mit Menschen Handlungen koordinieren müsse, mit denen man normalerweise nichts zu tun hätte, sagte er in dieser Woche bei einem Studientag für Großstadtseelsorger in München. Und das funktioniere meist ziemlich gut. Deutlich werde das an dem Prinzip, auf einer Rolltreppe rechts zu stehen und links zu gehen – macht jemand nicht mit, so wird er von wildfremden Menschen darauf hingewiesen, damit das System weiterlaufen kann.
Was hat diese Art des Handelns mit der Kirche zu tun? Nassehi, der sich im Alter von 18 katholisch taufen ließ, attestiert auch ihr eine gewisse Form urbanen Handelns. Für ihn ist Seelsorge "eine Kommunikation zwischen Menschen, die miteinander verbunden sind, aber auf noch stärkere Weise unverbunden". In der Stadt funktioniert zwischenmenschliches Handeln weitgehend anonym. Und genau hier muss sich die Kirche nicht verstecken. Denn sie bietet viele Angebote, in denen Anonymität gewahrt wird, allen voran die Beichte. "Fast nirgendwo wird man so wenig gefragt, wenn man kommt, wie im kirchlichen Zusammenhang", betont Nassehi. Darin stecke ein wahnsinniges Potential, das man stark machen müsse.
Nicht nur einladen, sondern hingehen
In der wachsenden Millionenstadt München würde Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg gerne Menschen dafür gewinnen, seelsorgliche Angebote zu nutzen. Stolberg war Gastgeber des Treffens, bei dem sich die Leiter von Großstadtpfarreien regelmäßig über die Herausforderungen und Möglichkeiten der Stadt austauschen. Allerdings gibt es bei der Großstadtseelsorge oft ein Problem. "Wir tun uns manchmal schwer, mit den verschiedenen Kulturen und Milieus in einer Stadt in Kontakt zu kommen, ihre Sprache zu sprechen", so der Weihbischof. Deshalb dürfe die Kirche nicht immer nur zu etwas einladen – und damit darauf warten, dass Menschen zu ihr kommen –, sondern müsse auch dort hingehen, "wo das Leben tobt", etwa bei Stadtfesten.
Auch der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes weiß, wie es ist, mit einer Shoppingmeile zu konkurrieren. Er sieht in der Urbanität durchaus eine Chance, warnt aber zugleich vor einem fehlgeleiteten Handeln der Kirche, das er als "arroganten Habitus" bezeichnet. Mit der Einstellung: "Wir müssen Gott erst einmal den Menschen bringen, weil er noch nicht da ist", käme man in der Citypastoral nicht weit. Vielmehr solle man mit Papst Franziskus davon ausgehen, dass Gott schon in der Stadt ist. Den Menschen vor Ort könne man dann helfen, ihn zu entdecken, indem man die eigene Perspektive ins Gespräch bringt.
Stolberg, selbst als Bischofsvikar für die Seelsorgsregion München zuständig, kennt aber noch eine andere Schwierigkeit, wenn die katholische Kirche in Städten wirken soll: das klassische Territorialprinzip von Pfarreien. Dieses besagt, dass man je nach Wohnort zu einer bestimmten Pfarrei gehört. Oft scheitern neu Zugezogene jedoch bereits daran, herauszufinden, welche Pfarrei für sie zuständig ist. Stolberg fordert daher, unterschiedliche "Andockmöglichkeiten" zu schaffen und die Vielfalt des Katholischen anzubieten. Bei liturgischen oder sozialen Angeboten hätten Stadtpfarreien ohnehin einen viel größeren Spielraum als ihre ländlichen Pendants.
Stolberg: Nicht nur durch die Pfarreien präsent
Auch für die zahlreichen Strukturreformen in der Kirche, die mit dem Zusammenlegen von Pfarreien einhergehen, sei es wichtig, einen neuen Blick auf die katholische Präsenz in der Stadt zu entwickeln. "Wir müssen wahrnehmen, dass wir nicht nur durch Pfarreien präsent sind", betont Stolberg. Präsenz zeige die Kirche genauso bei caritativen oder kulturellen Angeboten, zum Beispiel in der Erwachsenenbildung.
In diesen Feldern sieht er außerdem eine Chance für Mission. Gleichzeitig warnt er vor dem Fehlschluss, dass katholische Gruppen abgeschlossen für sich ihre Identität ausbilden müssten und sich erst dann für die Mission öffnen könnten. Stattdessen müssten die Strukturen durchlässiger werden und Angebote für anders- und nichtglaubende Menschen entstehen. Bei einem solchen Projekt rege der offene, wechselseitige Austausch auch die katholischen Teilnehmer selbst an, über ihren Glauben zu sprechen.