Anna Katharina Emmerick: Sie inspirierte Mel Gibsons "Passion Christi"
Mel Gibsons "Die Passion Christi" zählt mit einem Einspielergebnis von über 600 Millionen US-Dollar zu den erfolgreichsten religiösen Filmen aller Zeiten. Der 2004 erschienene Blockbuster über das Leiden und Sterben Jesu stand jedoch von Beginn an in der Kritik. Neben Antisemitismusvorwürfen war es vor allem die exzessive Gewaltdarstellung, die vielen Kritikern sauer aufstieß. Ob die Gefangennahme Jesu, der Prozess, die Geißelung, der Kreuzweg oder die Kreuzigung selbst: Der Film zeigt die Passion in all ihren blutigen Details. Diese Details finden sich jedoch nirgendwo in den Evangelien. Ebenso wenig entspringen sie aber der Fantasie von Regisseur und Drehbuchautor Gibson. Vielmehr beruhen die dargestellten Grausamkeiten auf den Visionen der seligen Anna Katharina Emmerick, deren Gedenktag die Kirche am 9. Februar begeht.
Es waren ärmliche Verhältnisse, in denen die spätere Nonne und Mystikerin aufwuchs: Geboren wurde Anna Katharina Emmerick am 8. September 1774 in der Bauernschaft Flamschen, heute ein Stadtteil von Coesfeld im Münsterland. Als älteste Tochter der Familie musste sie von Kindesbeinen an die Arbeit auf dem elterlichen Hof intensiv unterstützen. Später besserte sie als Magd, Näherin und Schneiderin das geringe Familieneinkommen auf.
Bereits als Kind hatte Anna Katharina eine enge Bindung zur Kirche, las in der Heiligen Schrift, betete stundenlang und mühte sich um eine immer tiefere Christusbeziehung. Ihre besondere Verehrung galt dabei dem "Coesfelder Kreuz": einem frühgotischen Kruzifix in der Coesfelder Pfarrkirche St. Lamberti, das sich durch eine auffallend deutliche Darstellung der Leiden Jesu auszeichnet. Mehrfach hatte sie als junge Frau den Wunsch geäußert, in ein Kloster einzutreten – was zunächst jedoch am fehlenden Einverständnis der Eltern scheiterte.
Schließlich konnte sich Anna Katharina durchsetzen und trat 1802 in das Augustinerinnen-Kloster Agnetenberg im westfälischen Dülmen ein. Dort verbrachte sie die kommenden neun Jahre, litt jedoch häufig an Krankheiten und unter großen körperlichen Schmerzen. Als das Kloster 1811 im Zuge der Säkularisation aufgehoben wurde, verlor Anna Katharina ihre geistliche Heimat und arbeitete anschließend als Haushälterin für einen Priester. Die Krankheitssymptome verschlimmerten sich in dieser Zeit.
Stigmata und Visionen
Im Jahr 1812 zeigten sich bei Anna Katharina die Wundmale Jesu Christi – sogenannte Stigmata – an Händen, Füßen, Kopf und Brust. Hinzu kamen Visionen von Ereignissen aus der biblischen Heilsgeschichte, die sie bis zu ihrem Tod begleiten sollten. An jedem Freitag soll sie die Leidensgeschichte Jesu durchlitten haben – die Visionen waren dabei mehr als ein reines Schauen, sondern vielmehr eine aktive "Teilnahme". In der gläubigen Bevölkerung führten die Geschehnisse einerseits zu einer großen Verehrung, andererseits zu schweren Verleumdungen: Anna Katharina sei eine Betrügerin. Der Fall erregte auch die Aufmerksamkeit von Kirche und Staat. Eine preußische Untersuchungskommission überprüfte die Ereignisse intensiv, konnte hinsichtlich der Stigmatisierung und Visionen jedoch keine Nachweise für einen Betrug erbringen.
Auch der Schriftsteller Clemens Brentano (1778-1842) war auf den Fall Emmerick aufmerksam geworden und reiste im Jahr 1818 nach Dülmen. Dort hielt er sich die folgenden sechs Jahre auf und ließ sich von der inzwischen bettlägerig gewordenen Nonne ihre Visionen in allen Einzelheiten schildern. Seine umfangreichen Aufzeichnungen verarbeitete Brentano später zu mehreren Büchern. Darunter befand sich mit "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus" auch jenes Buch, das maßgeblich die Handlungsführung von Gibsons "Passion Christi" beeinflussen sollte. Ein weiteres Werk Brentanos beruht auf Anna Katharinas Visionen über die Gottesmutter: Aufgrund der Schilderungen in "Das Leben der Heiligen Jungfrau Maria" wurde später bei Ausgrabungen in der Nähe von Ephesus das sogenannte "Haus Mariens" entdeckt; es wird von Pilgern als zeitweiliger Wohnort und mögliches Sterbehaus der Mutter Jesu verehrt.
Anna Katharina Emmerick, die in ihren letzten Lebensjahren fast vollständig auf Nahrung verzichtet hatte, starb am 9. Februar 1824 in Dülmen, wo sie bald wie eine Heilige verehrt wurde. 1892 begann ein Seligsprechungsprozess, der jedoch 1928 wieder eingestellt wurde: Während der Untersuchungen hatte man festgestellt, dass Brentano die Aussagen Anna Katharinas mit eigenen Hinzufügungen und Ausgestaltungen vermischt hatte. Dadurch erschienen seine Aufzeichnungen und Bücher als Grundlage für den Prozess unbrauchbar.
Authentische Aufzeichnungen?
Auf Betreiben des damaligen Münsteraner Bischofs Heinrich Tenhumberg wurde der Seligsprechungsprozess 1973 neu eröffnet. Die Beatifikation erfolgte schließlich durch Papst Johannes Paul II. am 3. Oktober 2004. Betont wurde damals, dass die Seligsprechung allein aufgrund des heiligmäßigen Lebens Anna Katharinas erfolge und sie keine Aussage über den Wahrheitsgehalt von Brentanos Schriften darstelle. Bis heute ist umstritten, inwieweit die Werke des Schriftstellers die Visionen der Nonne authentisch wiedergeben.
Seit 1975 befindet sich das Grab der Seligen in der Krypta der Heilig-Kreuz-Kirche in Dülmen. Ein Pilgerweg in der Region, der "Anna-Katharina-Weg", verbindet die einzelnen Stationen ihres Lebens und führt unter anderem am sogenannten "Emmerick-Haus" vorbei – dem rekonstruierten Geburtshaus in Coesfeld-Flamschen, das besichtigt werden kann. Noch im Jahr der Seligsprechung wurde in ihrer Heimatstadt Coesfeld die katholische Anna-Katharina-Gemeinde gegründet. Verehrer der seligen Mystikerin können Mitglied im Dülmener "Emmerick-Bund" werden, der Schriften über Anna Katharina verbreitet, Wallfahrten organisiert – und sich für die Heiligsprechung stark macht. Ein Anliegen, das sicher auch der Katholik Mel Gibson unterstützen würde.
Dieser Artikel erschien bereits am 09.02.2018 und wurde aktualisiert erneut veröffentlicht.