"Das Erzbistum hat an vielen Stellen versagt"
Frage: Erzbischof Heße, am Wochenende haben Sie einen "Pastoralen Orientierungsrahmen" für Ihr Erzbistum Hamburg vorgestellt – wie kann dieses abstrakt formulierte Papier zur Lösung der Krise im Erzbistum beitragen?
Erzbischof Heße: An dem pastoralen Rahmen haben wir schon gearbeitet, bevor wir unsere finanziellen Probleme so klar im Blick hatten. Er ist davon also erstmal unabhängig und richtet sich vor allem an die Hauptamtlichen und die ehrenamtlich Engagierten in der Seelsorge. Es wäre gut, wenn viele den Plan lesen und diskutieren. Das könnte zu einer Antwort auf die Frage führen: Wie leben wir als Kirche künftig im Erzbistum?
Frage: Dafür spielt auch das Geld eine wichtige Rolle. In welchem Verhältnis steht der pastorale zum wirtschaftlichen Orientierungsrahmen?
Heße: Wir müssen beides zusammenbringen, und zwar in einem jetzt anstehenden Prozess gemeinsam mit den Gemeinden. Bei den Hamburger Schulen mussten wir wegen der akuten Schieflage allerdings sofort reagieren. Die Anmeldefristen für das neue Schuljahr liefen ab. Wir wollten vermeiden, dass sich Kinder anmelden für eine Bildungseinrichtung, die dann doch schließt. Bei fünf bis acht Schulen hätten wir die weitere Verschuldung einfach nicht noch ein weiteres Jahr hinnehmen können. All das heißt aber ja nicht, dass wir uns ganz aus dem Schulbereich zurückziehen. Mindestens 13 Schulen bleiben ja in Hamburg bestehen. Aber wo wir Schulen betreiben, soll das auf einem qualitativ hohen Niveau stattfinden.
Frage: Ihre Ankündigung, Schulen zu schließen, hat eine Welle des Protests provoziert. Eine Initiative um den Rechtsanwalt Christian Bernzen hat sogar angeboten, die Trägerschaft der Schulen zu übernehmen. Ändert das etwas an Ihrer Entscheidung?
Heße: Bei den drei Schulen, die akut auf dem Prüfstand stehen, sehen wir noch Entwicklungspotential. Wenn diese von der Initiative gerettet werden könnten, kämen wir einen gewaltigen Schritt nach vorn. Deswegen sprechen wir jetzt mit der Initiative, um ihre Vorschläge zu prüfen und zu sehen, wie sie der Realität standhalten. Die Gesprächstermine stehen schon fest.
Frage: Im pastoralen Orientierungsrahmen schreiben Sie "die Kirche im Erzbistum Hamburg habe in der Vergangenheit versagt". Wer hat wann welche Fehler gemacht?
Heße: Das Erzbistum hat an vielen Stellen versagt. Der Umgang mit den Finanzen bereitet uns heute Probleme. Meine Devise ist es aber, nach vorn zu schauen. Ich will aus den Fehlern lernen und eine Pastoral für die Zukunft entwickeln. Ich will, dass im Erzbistum Hamburg kirchliches Leben gedeiht.
Frage: Welche Rolle spielte Vorgänger Alt-Erzbischof Werner Thissen?
Heße: Ich möchte mich bei der Fehlersuche nicht auf eine Person konzentrieren. Das führt zu nichts. Im Erzbistum haben in der Vergangenheit viele Menschen nach bestem Wissen gehandelt. Im Bereich der Schule haben sie versucht, in der Diaspora etwas Großes für die Menschen zu schaffen. Das ist auch gut, aber die früheren Verantwortlichen haben nicht zur richtigen Zeit die nötigen Konsequenzen gezogen — etwa wenn es darum ging, Geld für Pensionen und für Investitionen in Gebäude zurückzulegen. Das rächt sich heute.
Frage: Welche weiteren Einschnitte kommen noch auf das Erzbistum zu? Welche Einrichtungen werden geschlossen, wie viele Kirchen aufgegeben, wie viele Mitarbeiter entlassen?
Heße: Dazu gibt es noch keine konkreten Zahlen. Nur eins ist klar: Wir werden sowohl finanziell als auch organisatorisch kleiner werden. Uns fehlt das Geld. Kirche kann aber auch mit weniger Mitteln sehr lebendig sein. Das allerwichtigste sind die Menschen, die ihren Glauben leben. Davon lebt Kirche.
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Die Einnahmen sinken, die Schulden steigen. Nun kündigt Hamburgs Erzbischof Stefan Heße wegen der Finanzkrise dramatische Schritte an. Vor allem zwei Kostenpunkte stehen dabei im Fokus.Frage: Irgendwann müssen Sie das "Kleiner-Werden" aber konkretisieren. Dann geht es um diese Kirche und jene Einrichtung. Gibt dazu denn schon einen Zeitplan?
Heße: Nein. Wie gesagt: Wir werden mit den Ortsgemeinden sprechen und sehen, was sich realisieren lässt.
Frage: Hat Ihnen die Unternehmensberatung Ernst & Young dazu keine konkreten Vorschläge gemacht?
Heße: Ernst & Young hat Bereiche genannt, auf die wir schauen sollen. Die Immobilien zum Beispiel. Das werden wir auch tun.
Frage: Gibt es im Erzbistum überhaupt ausreichend Fachexpertise, um die finanziellen Probleme zu lösen? Im Bistum Eichstätt war das ja offensichtlich nicht der Fall….
Heße: Ernst & Young als Beratungsfirma hat uns sehr geholfen, die Daten zu erheben und Zusammenhänge zu analysieren. Die Entscheidungen müssen aber tatsächlich wir als Bistumsleitung treffen. Dazu haben wir funktionierende Gremien, die Mitte des Jahres wegen der ablaufenden Wahlperiode neu besetzt werden. Die Wahlen möchte ich möglichst transparent gestalten und hoffe auf große Beteiligung. So werden auch in der neuen Wahlperiode qualifizierte Frauen und Männer in den Gremien sitzen, die mit Verantwortung übernehmen.
Frage: Werden in den Gremien dann auch mehr ausgebildete Finanzfachleute wie Betriebswirte und Volkswirte sitzen und weniger Theologen, die diese Kompetenz eben nicht haben?
Heße: In den Finanzgremien des Erzbistums sind schon jetzt die wenigsten Leute Theologen. Hier in der Bistumsverwaltung gibt es nur zwei Priester: das sind Generalvikar Ansgar Thim und der Personalreferent Berthold Bonekamp. Ansonsten sind das alles Leute mit entsprechender Fachexpertise.
Frage: Sie hoffen auch auf Finanzspritzen aus anderen Bistümern. Wie war bisher deren Reaktion?
Heße: Daran ist aktuell nicht zu denken. Bisher gibt es unter den Bistümern keinen echten Finanzausgleich. Der Strukturbeitrag Ost, von dem wir wegen unseres mecklenburgischen Teils ein klein wenig profitieren, wird für uns in den nächsten Jahren auslaufen. Die Diözesen sollten gemeinsam über einen weiterführenden Finanzausgleich nachdenken. Es gibt nun mal starke und schwache Diözesen. Aber die Bistümer gehören alle zur katholischen Kirche. Sie sollten in Solidarität zueinander stehen.
Frage: Wie wollen Sie denn Ihre Mitbrüder etwa in Paderborn oder Köln überzeugen, dass sie das Erzbistum Hamburg finanziell unterstützen?
Heße: Das wird ein langer, langer Weg sein, wenn er überhaupt an ein solches Ziel kommt. Es gibt aber auch noch andere Diözesen, die spätestens in einiger Zeit vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen könnten wie wir. Vielleicht können wir die anderen Bistümer dann gemeinsam überzeugen.
Frage: Verbinden sich mit der aktuellen Krise sich für das Erzbistum langfristig auch Chancen?
Heße: Ich habe in diesen Tagen viel mit Eltern, Lehrern und Schülern gesprochen, die von den Schulschließungen betroffen sind. Dabei habe ich eins verstanden: Wir müssen lernen, Kirche zu sein und unseren Glauben zu leben, auch wenn wir weniger Struktur, weniger Geld, weniger Personal haben. Ein Blick in die Weltkirche zeigt mir, dass das geht. Es ist zwar komfortabel, viel Geld und große Strukturen zu haben. Aber auch ohne das kann ich meinen Glauben mit Kraft leben. Das ist mein Programm. Ein lebendiger Gottesdienst braucht nicht unbedingt eine große festliche Kirche, er kann auch im Gemeindezentrum stattfinden.