Autor Jan Roß über die Bedeutung von Gott

"Eine Garantie der Humanität"

Veröffentlicht am 21.04.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Glaube

Berlin ‐ Jan Roß ist Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" und Autor mehrerer Bücher. Sein jüngstes Werk trägt den Titel "Die Verteidigung des Menschen - Warum Gott gebraucht wird". Im Interview erläutert er, weshalb die Religion unabdingbar zu einer humanen Gesellschaft gehört, warum die öffentliche Debatte über Religion voller "Phrasenmüll" ist und warum Papst Franziskus etwas Neues hervorbringt.

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Frage: Herr Roß, warum wird Gott gebraucht?

Roß: Gott verbürgt im Menschen eine Extradimension, er ist für den Menschen so etwas wie eine Garantie der Humanität. In den Augen der Religion ist der Mensch nicht nur ein bloßes Naturwesen, ein Produkt der Gesellschaft oder ein Aggregat von Lust- und Unlustzuständen, sondern Ebenbild Gottes. Das ist etwas uneinholbar Besonderes.

Frage: Aber für viele Menschen geht es auch ohne Gott...

Roß: Sicherlich. Aber wenn die Religion ganz aus dem Gesichtskreis verschwindet, droht die Welt- und Selbstwahrnehmung flach zu werden, eindimensional; die Welt wird gleichsam geistig zur Scheibe, alternativlos, klaustrophobisch. Mit dem Religiösen sind Begriffe verbunden, die zunächst anachronistisch wirken - wie Himmel, Seele, Sünde, Unsterblichkeit. Sie reißen aber den Menschen aus einer horizontalen Dimension heraus und befreien ihn so.

Frage: Gott macht den Menschen klein, sagen die Gegner der Religion.

Roß: Ich finde, es ist eher das Gegenteil der Fall: Religion macht den Menschen groß. Die Orientierung an einer letzten Wahrheit entzieht ihn dem Zugriff irdischer Mächte. Denken Sie an die "Gewissenshelden" der abendländischen Geschichte: von Sokrates über Jesus und Thomas Morus bis zu Dietrich Bonhoeffer.

Frage: Religion kann aber auch Machtinstrument sein und als Fundamentalismus zu Krieg und Gewalt führen.

Roß: Über Jahrhunderte diente die Praxis der Religion auch im Abendland als Herrschaftsideologie. Gottes Wille legitimierte die Machtverhältnisse. Und heute berufen sich Terroristen auf den Islam. Schaut man aber auf die eigene Logik zumal des Christentums, dann hat sie etwas revolutionär Egalitäres: Alle sind gleich vor Gott, alle müssen sich beim Jüngsten Gericht vor ihm verantworten. Hier liegt ein enormes demokratisches Potenzial.

„Wenn die Religion ganz aus dem Gesichtskreis verschwindet, droht die Welt- und Selbstwahrnehmung flach zu werden“

—  Zitat: Jan Roß

Frage: Allerdings finden die Kirchen weniger Zuspruch.

Roß: Die Religionsfragen sind oft mit Phrasenmüll zugeschüttet. In der öffentlichen Debatte geht es endlos und mit immer wiederkehrenden Argumenten um Kirchenpolitik: Priesterehe, Frauenweihe oder lateinische Messe. Das Kirchliche gewinnt seinen Sinn aber nur von den Glaubensfragen her. Sonst klappert es bloß leer und hohl vor sich hin.

Frage: Sie sagen, die Religion hat keinen Platz im normalen Sprechen unserer Zeit. Wohin hat man sie verbannt?

Roß: In institutionelle Sonderwelten mit einer eigenen klerikalen Sprache, einem eigenen Jargon. Die Gesellschaft stellt dafür auch Nischen bereit, nach Art des "Wortes zum Sonntag". Und die Zumutung des Kreuzes wird selbst von christlichen Honoratioren zum "abendländisches Kultursymbol" heruntergedimmt. Daneben besteht offenbar ein erhebliches spirituelles Bedürfnis, das aber nicht dem Christentum zugutekommt.

Frage: Wie sollte die Kirche ihre Sprache ändern?

Roß: Gewiss nicht durch Anpassung, wie bei der "Bibel in gerechter Sprache". Sondern durch eine relevante Sprache, die den Klerikalismus meidet und gehaltvolle Kernbegriffe wie Sünde, Gnade oder Erlösung wieder zum Klingen bringt. Sie sind eigentlich reich und tief. Als Kategorie der Selbstbeschreibung und kritischen Befragung, einer realistischen Selbsterkenntnis sind sie unschätzbar wichtig. Hier liegen Möglichkeiten, die man freilegen muss.

Redakteur und Schriftsteller Jan Roß.
Bild: ©KNA

Redakteur und Schriftsteller Jan Roß.

Frage: Wie sieht die nachchristliche Welt aus?

Roß: Manchmal erinnert sie an die vorchristliche Welt, an das antike Heidentum, besonders in seiner Spätzeit. Das war auch eine sehr diesseitige und desillusionierte Epoche - mit dem Versuch, aus dem Erdenleben ein Maximum an Leistung und Spaß herauszuholen, und wenig Hoffnung auf ein Danach oder Draußen.

Frage: Sie haben als Protestant bereits eine Biografie über Papst Johannes Paul II. geschrieben. Weshalb diese Empathie oder Sympathie mit der katholischen Kirche?

Roß: Das hat viel mit Zufällen zu tun. Ich interessierte mich damals vor allem für den Zusammenhang von Religion und Politik und wollte den Papst aus Polen als Beispiel einer geschichtsmächtigen Figur nehmen. Dann, beim Schreiben, wurde er für mich ein richtiger Held. Aber ich habe nie daran gedacht, katholisch zu werden. Ich empfinde, ökumenisch-theologisch wahrscheinlich nicht ganz korrekt, die Verschiedenheit der Konfessionen weniger als Skandal denn als Farbenvielfalt.

Frage: Ein Wort des Protestanten zum Pontifikat von Papst Benedikt XVI. Was bleibt von ihm?

Roß: Er hat Grundprobleme der Moderne in einer luziden, authentischen Sprache thematisiert und das nicht einfach als Theologe, sondern als geistlicher Mensch. Er hat viel für die geistige Präsenz der Religion im öffentlichen Gespräch geleistet, dafür, dass man sie wieder intellektuell ernst nehmen muss. Und seine "Hermeneutik der Kontinuität" war wichtig: Er hat darauf bestanden, dass die Glaubens- und Kirchengeschichte nicht irgendwie in den 1960er-Jahren mit einer Modernisierung anfängt, sondern dass sie von weither kommt und in eine ferne Zukunft reicht.

Frage: Und was erwarten Sie von Franziskus?

Roß: Mir fällt es noch schwer, diesen Papst zu "lesen". Aber es geschieht hier eindeutig etwas Neues. Vielleicht gelingt es ihm, dem abgenutzten, in sterilen Konfrontationen fast unbrauchbar gewordenen Reformbegriff einen neuen, frischen Sinn zu geben: Reform heißt zurück (oder hin) zu Jesus. Das hätte dann nichts mehr mit den bekannten Fronten zwischen Hans Küng und Kardinal Meisner zu tun. Wenn er diesen erschöpften Kirchenpolitikdiskurs unserer Weltgegend aufbricht und tatsächlich eine Erneuerung aus dem Evangelium in Gang setzt, wäre das eine große Sache.

Das Interview führte Christoph Scholz (KNA)