COMECE: Vor diesen Herausforderungen steht Europa
Sechs Jahre lang war der Münchner Kardinal Reinhard Marx Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE. Am Donnerstag wurde ein neuer Vorsitzender gewählt. Im Interview erzählt Marx über die Höhepunkte seiner Amtszeit und die Herausforderungen, vor der die Kirche in Europa steht.
Frage: Herr Kardinal, was hat die Kirche auf politischer Ebene in Europa in den vergangenen sechs Jahren erreicht?
Marx: Ich kann nicht sagen, dass die Bedeutung der Kirche in den vergangenen Jahren auf politischer Ebene in Europa gesunken wäre – eher gestiegen. Man spürt, dass die Stimme der Kirche aufmerksamer gehört wird und wir präsent sind. Zum einen hat Papst Franziskus sehr stark zu Europa Stellung genommen, zum anderen erkennt auch die Politik wieder mehr, wie wichtig der Beitrag gesellschaftlicher Gruppen ist.
Frage: Im Zuge der Flüchtlingskrise sprachen viele von einer Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa. Wie sehen Sie diese Beziehung heute?
Marx: Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren meiner Mitgliedschaft bei der COMECE gesehen, dass sich manches verändert hat, vielleicht manchmal auch anders als wir gedacht haben. Vor 30 Jahren gab es noch eine große Euphorie, die Länder des Ostens in die EU zu integrieren. Da ist sicher einiges sehr schnell gegangen, vielleicht auch zu schnell. Wir spüren jetzt, dass wir zwischen und innerhalb der einzelnen Länder nicht in gleicher Weise am sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben. Auch das führt zum Teil zu populistischen Bewegungen.
Die Flüchtlingskrise war wie ein Katalysator und hat manches ans Licht gebracht. Sie ist aber nicht die einzige Ursache des Problems, das liegt tiefer. Wir spüren – auch in der Kirche –, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen gibt, was die Europäische Union ist, was eine freie Gesellschaft ist, was eine offene Demokratie ist. Darüber muss man reden. Wir als Kirche sollten jedoch nicht zum Konflikt beitragen, sondern Teil der Lösung sein, indem wir versuchen, zu ergründen, woher die Fragen und Sorgen kommen.
Frage: Wie können Ost- und Westeuropa einander wieder näherkommen?
Marx: Für die Zukunft in Europa ist es entscheidend, die Kräfte des Dialogs in Gang zu bringen. Die Menschen sollten miteinander reden, über Ländergrenzen hinweg. Politiker, Bürger und auch Kirchenleute sollten sich Zeit nehmen, sich gegenseitig zu verstehen. Dieser Grundsatz des Dialogs ist etwas, das besonders die Kirche fördern kann. Sie hat nicht auf alles eine Antwort, aber sie kann Räume schaffen, in denen Begegnung und Dialog möglich werden. Das brauchen wir mehr denn je in Europa – nicht übereinander reden, sondern miteinander.
Frage: Die EU hat mit Blick auf die Justizreform in Polen ein Strafverfahren gegen das Land eingeleitet. Wie sollte sich die COMECE vor diesem Hintergrund gegenüber der Polnischen Bischofskonferenz positionieren?
Marx: Natürlich soll die Kirche in den verschiedenen Ländern die katholische Soziallehre vertreten. Damit muss sie auch deutlich machen, dass Menschenrechte und Menschenwürde unsere Grundlage bilden. Ich sehe manche Entwicklungen in Polen mit Sorge. Aber ich bin kein Politiker, der alle politischen Entscheidungen in den Ländern kommentieren sollte. Eine Mehrheit in einem Parlament bedeutet zum Beispiel nicht, dass diese Mehrheit identisch ist mit dem ganzen Volk.
Frage: An welchen Moment als COMECE-Präsident erinnern Sie sich besonders gerne?
Marx: Die Begegnung des Papstes mit den Staats- und Regierungschefs der EU in der Sixtinischen Kapelle im März letzten Jahres ist eines der Bilder, das mir in Erinnerung bleibt. Aber genauso wichtig waren für mich die vielen kleinen Begegnungen mit den Bischöfen und vielen Menschen aus allen Ländern der EU, bei denen man über den Tellerrand hinausschaut. Es hat mich fasziniert, diese Welt Europas kennenzulernen. Ich gehe auch mit ein bisschen Wehmut. Denn ich habe mich wirklich gerne mit diesen europäischen Themen beschäftigt und bleibe neugierig auf die Kontakte mit anderen Ländern und anderen Sprachen. Ich werde also weiter ein engagierter Europäer bleiben.
Frage: Und gab es auch Momente, an die sie sich ungern erinnern?
Marx: Ich war erstaunt, dass es so schwer ist, begreiflich zu machen, welch ein riesiger Fortschritt in der Menschheitsgeschichte die Europäische Union ist. Das hat mich manchmal ein wenig bekümmert. Ich frage mich, warum es nicht gelingt, deutlich zu machen, dass die EU ein zwar schwieriges, aber herausragendes politisches Werk ist.
Am Donnerstag haben die Mitglieder der EU-Bischofskommission COMECE den Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er sprach über eine EU, die an "Attraktivität verloren hat", den Brexit und seine Pläne als neuer Vorsitzender.
Frage: Herr Erzbischof, was bedeutet Europa für Sie?
Hollerich: Europa ist für mich eine Persönlichkeit wie Robert Schuman. Er wurde in Luxemburg geboren, hat in Deutschland studiert und war Politiker in Frankreich. Er hat alle schwierigen Phasen miterlebt und dann den Pariser Vertrag orgeschlagen. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl bedeutete damals Frieden. Wir haben uns so an den Frieden gewöhnt, dass er uns gar nicht mehr erstrebenswert erscheint. Dabei bemerken wir nicht, dass wir den Frieden verspielen können.
Europa ist für mich auch die Kindheitserinnerung an einen Staatsbesuch von Bundespräsident Gustav Heinemann in Luxemburg. Die Bilder der Protestbewegungen sind bei mir noch präsent. Heute empfinden die meisten Luxemburger Deutschland als großen Freund. Und das ist doch eine wunderbare Änderung des Ganzen. Europa sind für mich auch die Erinnerungen an die Kanalisierung der Mosel. Damals kam unsere Großherzogin als einzige Dame zur Eröffnung. Europa heißt für mich, Grenzen zu überschreiten.
Frage: Was sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Probleme in der EU?
Hollerich: Bisher hatten wir eine Europäische Union, in die jeder hinein wollte. Nun wollen einige aussteigen. Das ist ein Problem für die Attraktivität der Union, das wir nicht herunterspielen sollen. Wir müssen uns fragen, wieso die EU an Attraktivität verloren hat.
Frage: Was bedeutet der Brexit für die COMECE?
Hollerich: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Auf jeden Fall müssen wir auf die Politik einwirken, damit Antagonismen so wenig wie möglich hochkommen. Wir als Bischöfe wollen keine aggressive Trennung. Die Engländer, die Waliser, die Schotten, die Nordiren, sind ja immer noch Europäer. Auch wenn sie die politische Gemeinschaft verlassen, bleiben sie Europäer und müssen Verbündete werden. Auch durch Worte oder Reaktionen kann man Gegenreaktionen auslösen, die man später bereut. Da sollte man sehr vorsichtig sein.
Frage: Welche Rolle soll die Ökumene in Ihrer Amtszeit als Vorsitzender der COMECE spielen?
Hollerich: Die katholische Kirche ist nicht allein in Europa. In einigen Ländern sind wir die Mehrheit, in anderen eine kleine Minderheit. Wir leben mit anderen Christen zusammen. Entweder man pocht auf die Konfessionalität oder man betont das Gemeinsame. Für den konkreten Dienst am Menschen in Europa sollten die Christen zusammenarbeiten. Alles andere wäre ein Gegenzeugnis.
Frage: Der Theologe Paul Zulehner hat gesagt, dass die Doppelgleisigkeit aus COMECE und dem Rat der europäischen Bischofskonferenzen CCEE die Kirchen in Europa schwäche. Könnten die beiden Gremien unter Ihnen zusammenwachsen?
Hollerich: Für die Zusammenarbeit bin ich gut platziert, da ich selbst Mitglied der CCEE bin. Ich gehe auf alle Jahrestagungen, bin zum Präsidenten der Jugendkommission gewählt worden und habe auch das beste Verhältnis mit allen Leuten der CCEE.
Frage: Wie stellen Sie sich die Arbeit mit der COMECE konkret vor?
Hollerich: Ich plane, viel in Brüssel präsent zu sein. Luxemburg ist nicht weit weg. Ich möchte Kontakt mit den Politikern haben. Denn ich glaube, dass dieser Dialog wirklich notwendig ist.